Deutscher Zivilist und französischer Besatzungssoldat, 1923. Foto: Haus der Essener Geschichte / Stadtarchiv
Eine Ausstellung im Essener Ruhr Museum auf Zollverein dokumentiert den Besatzungsalltag der Jahre 1923 bis 1925 im Revier.
Die Geschichte der Weimarer Republik (1918-1933) stellt sich über weite Strecken als eine Geschichte der Krise dar. Land unter hieß es 1923 im Ruhrgebiet: Französische und belgische Streitkräfte marschierten ein, weil Deutschland die Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg unzureichend erfüllt hatte. Ein Jahrhundert später dokumentiert eine Ausstellung im Essener Ruhr Museum auf Zollverein nun den Besatzungsalltag im Revier.
Fünf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte die junge Weimarer Republik mit massiven Widrigkeiten zu kämpfen. Die Reparationsforderungen der Siegermächte, die dem Land im Versailler Vertrag von 1919 auferlegt worden waren, bedeuteten eine schwere Bürde. Wirtschaftskrise und Inflation taten ein Übriges. Weil etwa die Abtretung von Goldmark und Kohle unter dem Soll blieb, besetzte im Januar 2023 eine rund 100.000 Mann starke Armee das gesamte Ruhrgebiet. Der Einmarsch löste landesweit Empörung aus. Reichskanzler Wilhelm Cuno rief zum »passiven Widerstand« auf, Streiks lähmten das öffentliche Leben.
Die Proteste versuchten die Franzosen mit harter Hand im Keim zu ersticken. Berühmt-berüchtigt ist der »Essener Blutsamstag« – weil Arbeiter der Firma Krupp die Beschlagnahmung ihrer Lastkraftwagen zu verhindern suchten, wurden 13 von ihnen erschossen. Wie der »Ruhrkampf« sowohl nationale Politik als auch den Alltag zwischen Duisburg und Dortmund prägte, diesem Thema widmet das Ruhr Museum in Essen die Ausstellung »Hände weg vom Ruhrgebiet! Die Ruhrbesetzung 1923-1925«. Zahlreiche Fotos, Dokumente und Objekte vermitteln dann einen Eindruck von der Zeit, als das Revier brannte.
Der Wiener Liedermacher und Sänger Voodoo Jürgens veröffentlicht sein drittes Album »Wie die Nocht noch jung wor«. Im Frühjahr tourt er durch NRW.
Seit ein paar Jahren gibt es ein Revival der Mundart: Mit Bands wie Wanda oder Bilderbuch kehrte sie nach und nach in die deutschprachige Pop-Musik zurück. Auch in Österreich ist sie durch die Erben von Falco, Wolfgang Ambros oder Opus längst wieder im Mainstream angekommen. Aber da gibt es noch Künstler wie Voodoo Jürgens, der zwar Österreicher ist, aber als Austropop seine Musik nicht verstanden wissen will. Lieber bezeichnet er sich selbst als Liedermacher oder Bänkelsänger.
Als Mitglied der Britpop-Band Die Eternias hatte David Öllerer, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, noch auf englisch gesungen. Dann aber besann sich der ehemalige Friedhofsgärtner mit seiner Single »Heite grob ma Tote aus« auf seine muttersprachlichen Wurzeln. So affektiert der Wiener Schmäh bei Wanda oder Bilderbuch klingen kann, so bodenständig und authentisch klingt er bei Voodoo Jürgens. Manchmal eben auch so authentisch, dass selbst alteingesessene Wiener Probleme haben, die Texte zu verstehen. Doch die Musik von Voodoo Jürgens ist, so simpel sie auch zunächst klingen mag, keine Begleitmusik fürs Kaffeehaus und den kleinen Braunen. Seine Texte portraitieren Rumtreiber und Ausgestoßene, Huren und Freier oder eben die Strichkatzen und Vorstadt-Strizzis mit schwarzem Humor und jeder Menge Melancholie. Seine Stimme mäandert dabei zwischen gniedelndem, nasalem Sing- und einfühlsamem Sprechgesang.
Auf seinem neuen Album erzählt Jürgens mehr Persönliches, als er es bislang auf seinen Alben getan hat. »Es geht ma ned ei«, der erste Vorbote des neuen Albums, erzählt in schönster und auch traurigster Weise von der Trennung einer Frau. Bei Voodoo Jürgens klingen auch scheinbar banale Zeilen gleich viel romantischer, wenn sie im besten Wiener Dialekt vorgetragen werden: »Für di hätt i ollas gmocht / Na, es geht ma ned ei, na« (Hierbei stelle man sich das »na« bitte möglichst langgezogen vor). Begleitete sich Vodoo Jürgens zunächst noch selber auf der Gitarre, wird er auf »Wie die Nocht noch jung wor« von der Band Ansa Panier (frei als Festtagsgewand zu übersetzen) begleitet. Von Balladen über Wiener Soul bis hin zu Kneipenhits findet sich musikalisch alles, was die österreichische (und internationale) Palette hergibt. Voodoo Jürgens wirkt auf dem neuen Album nahbarer, persönlicher. Am besten ist es, ihn live zu sehen. Erst dann versteht man: Das ist kein Austropop – diese Musik ist für Antihelden gemacht. Vodoo Jürgens’ Dialekt ist weder Koketterie, noch Attitüde. Sondern für echte Straßenmusik gedacht.
16. Februar, FZW Dortmund
17. Februar, Zakk Düsseldorf
22. Februar, Gebäude 9 Köln
»Wie die Nocht noch jung wor« erschien im Dezember auf Lotterlabel (Sony)
Wieder einmal bittet das Moers Festival Künstler*innen aus aller Welt, Grenzen zwischen Nationalitäten und Genres einzureißen – mit dabei sind diesmal der Saxophonist MilKenny Garrett, die Trondheim Voices oder Jason Sharp.
Pfingsten kam nicht nur der Geist Gottes über die Jünger Jesu – seit 1972 sind es auch die Jünger des Jazz, die nach Moers kommen. Wobei Jazz in diesem Fall viel mehr eine Haltung, denn ein Genre bezeichnet, wie es der künstlerische Leiter Tim Isfort immer wieder betont. Das Moers Festival hat als eine kleine Zusammenkunft der Free-Jazz-Gemeinde im Schlosshof von Moers begonnen, wuchs aber dann schnell zu einem der bedeutendsten Festivals für Jazz und Weltmusik heran. Wie viele andere Festivals hat es auch unter finanziellen Einbußen durch die Pandemie zu kämpfen gehabt. Nun aber steht fest: Dank öffentlicher Mittel ist sein Fortbestand bis mindestens 2028 gesichert.
Und die Pläne sind ambitioniert: Fortan werden in jedem Jahr der Fokus auf ein afrikanisches Land gelegt und schon 2023 Musiker*innen aus Äquatorial-Guinea zu Gast sein. Unter dem Motto »Mut und Demut« will das Moers Festival nicht nur musikalische Genres, sondern auch Perspektiven hinterfragen, hinter denen persönliche Geschichten, Lebensumstände und Blickwinkel von Musiker*innen aus aller Welt stehen. Außerdem wird Jason Sharp, Saxophonist und Komponist elektro-akustischer Musik mit seinem Projekt Fyear zu Gast sein, das irgendwo zwischen neuer Elektronik, Spoken-Word-Performance und Free Jazz mäandert.
Auch einige Programmpunkte, für die bereits der Ticketverkauf gestartet ist, stehen fest: Jazz-Urgestein und Saxophonist Kenny Garrett tritt auf, der in Miles Davis’ Band, mit Art Blakey Woody Shaw und Freddie Hubbard spielte. Der Festival-Sonntag ist einem Komponisten gewidmet, den man wohl auch nicht als allerstes mit Jazz in Verbindung gebracht hätte – zum 100. Geburtstag von György Ligeti sind gleich mehrere Projekte geplant, der als einer der herausragendsten Komponisten für Neue Musik in Europa gilt und vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte immer ein strikter Gegner von faschistoiden Ideologien und menschengemachten Grenzen war. Anlässlich seines Geburtstages entwickeln zahlreiche Musiker*innen und Komponist*innen aus dem Moers-Kosmos Werke, die sich Ligeti widmen, ihn feiern oder neu interpretieren. Mit dabei sind dann die Trondheim Voices oder das Vokalensemble des SWR.
Der 60-jährige Hein Mulders hat seinen neuen Posten als Intendant am Kölner Musiktheater angetreten.
Das Stück ist gigantisch. »Les Troyens« (Die Trojaner) von Hector Berlioz benötigt ein riesiges Orchester mit allein sechs Harfen (besser acht), mehreren kleinen Ensembles auf und hinter der Bühne, 200 Stimmen (mindestens) im Chor. Mit diesem vierstündigen Stück, bei dem es trotz der Masse auf die subtilen Feinheiten des Klangs ankommt, hat Hein Mulders seine Intendanz an der Kölner Oper begonnen. Ungewöhnlich, denn der 60-jährige Niederländer ist kein »Hoppla-jetzt-komm-ich-Typ«. Sondern im Gegenteil ein nachdenklicher, offener Mensch, der gut zuhören kann. »Les Troyens« hatte Kölns Generalmusikdirektor Francois-Xavier Roth schon geplant, bevor Hein Mulders begann.
Manch ein Musiktheatermacher würde bei solchen Vorgaben mit den Zähnen knirschen. Hein Mulders nicht. Er hat ein kompromissbereites, ausgleichendes Naturell – und findet das Stück ebenfalls großartig. Die Besetzung hat er zusammen mit Roth entwickelt. Während der – durchaus erfolgreichen – Intendanz von Birgit Meyer war immer zu hören, dass es Machtkämpfe zwischen dem Dirigenten und der Opernchefin gab. Die scheinen nun vorbei zu sein. »Francois-Xavier Roth und ich sind ein match made in heaven«, sagt Hein Mulders, was sich vielleicht mit »himmlische Fügung« am besten übersetzen lässt. »Ich bedauere es sehr, dass er nach zehn Jahre als Generalmusikdirektor aufhören wird.« Roth hat schon angekündigt, dass er 2025 Köln verlassen will.
Bis dahin könnte er noch das neue Opernhaus am Offenbachplatz eröffnen. Im März 2024 soll das nach aktuellen Berechnungen geschehen, zwölf Jahre nach Beginn der Sanierung. Hein Mulders hat sich bei einigen Reden optimistisch gezeigt – und ist dafür ausgelacht worden. So wie die Kölner Oberbürgermeisterhin Henriette Reker bei ihrer Rede vor der Premiere. Nun äußert sich Mulders vorsichtiger. Verärgert ist er wegen der Reaktionen aber nicht. Humor und die Fähigkeit, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, gehören zu seiner Persönlichkeit.
Auch der Pförtner schwärmte von ihm
Das war auch an seiner vorigen Wirkungsstätte so. Zehn Jahre hat Mulders das Aalto-Musiktheater in Essen geleitet. Und auch wenn der Start etwas holperig war und die Zuschauerzahlen nach der extrem erfolgreichen Intendanz von Stefan Soltesz einbrachen, gab es dort kein böses Wort über den Intendanten zu hören. Auch der Pförtner schwärmte, dass Hein Mulders ihn mit Namen kannte und immer freundlich und respektvoll gewesen sei. Mit dieser Einstellung hat er sich nun auch dem Kölner Ensemble genähert. Bei einem Intendanzwechsel haben viele Angst vor einem großen Umbau. Mulders hat zunächst darauf verzichtet. »Nach zwei Jahren Pandemie hatten die Sängerinnen und Sänger kaum eine Chance, sich zu präsentieren«, erklärt er. »Ich habe erst einmal alle um ein Jahr verlängert, damit wir uns kennenlernen können. Jetzt habe ich einige nicht verlängert, aber in sehr moderatem Rahmen.«
An die Ausweichspielstätte, das Staatenhaus, hat sich ein Teil des Publikums nach sieben Jahren gewöhnt. Gerade Stücke, bei denen die Komponisten über die Grenzen eines normalen Opernhauses hinausgedacht haben, lassen sich hier großartig umsetzen. Wie »Die Soldaten« von Bernd Alois Zimmermann oder nun auch »Les Troyens«. Da sitzt das Orchester in einer Art Manege mitten im Bühnenbild, die Musik ist auch optisch das Zentrum des Stücks. Nur die Harfen sitzen draußen. Ein Schock war allerdings nach der Premiere der Blick auf die Auslastungszahlen. »Die ersten Vorstellungen waren nicht gut besucht«, gesteht Mulders. »Aber der Verkauf hat wahnsinnig angezogen, viele haben es sich zwei- oder dreimal angesehen.«
Eigene Spielstätte für die Kinderoper
Schon bei Birgit Meyer war die Kölner Oper nicht nur ein Ort für die älteren Semester. Das scheint sich fortzusetzen. »Ich war gerade in einer Vorstellung von Puccinis ‚Turnadot‘. Da waren mehr junge als ältere Leute, also viele in den 20ern und 30ern«, erzählt Mulders. »Köln ist eine ganz andere Welt als Essen. Das ist schon eine richtige Großstadt.« Am Aalto-Musiktheater fehlte ihm eine kleinere Spielstätte für das nicht ganz so große Repertoire. Nun in Köln hat er sogar zwei davon. Eine für die Kinderoper: »Ich habe die Kapazität der Kinderoper von 200 auf 320 Plätze pro Vorstellung erhöht. Wir zeigen einen Mix aus Hits und Stücken, die das Publikum herausfordern.«
Studiert hat Mulders ziemlich vielfältig. Nicht nur Musikwissenschaften, sondern auch Archäologie, Italienisch und Kunstgeschichte. Außerdem ist er ein guter Pianist. »Meine Eltern wussten nicht,« erzählt er, »dass ich für ein Klavierstudium an der Musikhochschule vorgespielt habe. Aber ich habe schnell erkannt, dass ich nicht als ausübender Künstler weitermachen wollte, sondern als Produzent.« Er wurde Manager des niederländischen nationalen Jugendorchesters in Amsterdam. Als herausragender Experte für Stimmen konzentrierte er sich dann auf die Oper. Hein Mulders ist jemand, der fest daran glaubt, dass eine Gesellschaft das Opernrepertoire braucht. In Essen hat er neben den Klassikern viele selten gespielte Stücke in den Spielplan genommen. Und verschiedenste Regiestile gezeigt. Nun hat er mit der Oper Köln ein Musiktheater, das ihm alle Möglichkeiten bietet.
Im Mai geht das Ausstellungsprojekt »Ruhr Ding« wieder an den Start – diesmal zum Thema »Schlaf«. Kioske und Parkdecks stehen dann zum Wachen oder Tagträumen bereit.
Lauter Filmkulissen: Gefängnis und Polizeistation. Auch ein Schlafzimmer soll einziehen in die große alte Industriehalle. Im nächsten Frühjahr werden sich die Szenerien mit Geschichten füllen. Dann kommt Michel Gondry mit seiner »Home Movie Factory« zu Besuch. Den Oscar-prämierten Regisseur würde man eher in Hollywood vermuten, doch für das »Ruhr Ding« schaut er in Mülheim an der Ruhr vorbei. In der Halle, die das Haus der Vereine beherbergt, ist jede*r eingeladen, sich als Drehbuchautor*in, als Schauspieler*in, Kameramann oder -frau zu versuchen und in rekordverdächtiger Zeit von nur drei Stunden einen kleinen Do-it-yourself-Film zu produzieren.
Die Film-Fabrik ist eines von rund 20 »Ruhr Ding«-Projekten, die den Süden des Reviers im Mai und Juni 2023 für einige Wochen künstlerisch beleben werden. Neben Mülheim sind Essen und Witten Schauplätze des dezentralen Ausstellungsprojekts. Gondrys Arbeit passt perfekt ins vertraute Konzept: Immer wieder besetzt das »Ruhr Ding« überraschende Orte mit Kunstwerken, die Sparten übergreifend und oft zum Mitmachen gedacht sind. Am besten per Fahrrad oder auch mit Bus und Bahn soll man sich von einer Arbeit zur nächsten bewegen – von der Zeche durch den Park, am Fluss vorbei in die City…. Dabei werden die Werke meist eigens für diesen Anlass geschaffen. Sie sind ortsbezogen und offen für alle – auch ohne Eintrittskarte.
Die Idee stammt von Britta Peters, Leiterin der »Urbanen Künste Ruhr«, die bei ihrem »Ruhr Ding« jedes Mal eine andere thematische Klammer setzt: Die erste Ausgabe trat 2019 unter dem Titel »Territorien« an und rückte regionale und nationale Abgrenzungsbewegungen in den Fokus. Alle redeten damals vom Brexit, und auch der überall erstarkende Rechtspopulismus wurde diskutiert. 2021 dann hieß es »Ruhr Ding: Klima« – man ging die Erderwärmung an, schaute aber gleichzeitig auf das gesellschaftliche Klima.
Nun also steht die dritte und wohl letzte Ausgabe an. Ihr Motto »Schlaf« klingt vergleichsweise beliebig. Doch bietet das Schlagwort nicht nur Raum für allerhand Gedankenspiele. Es lässt sich auch in Beziehung bringen zur Region: Wer schläft, der träumt oft. Und wer wacht, der arbeitet die meiste Zeit. Die klare Trennung zwischen Schlaf, Freizeit und Erwerb habe erst mit der Industrialisierung in unseren Alltag gefunden, bemerkt Britta Peters. Und beobachtet, wie der alte Acht-Stunden-Rhythmus in unserer postindustriellen Zeit immer unwichtiger werde. Ein Prozess, der sich besonders klar im Ruhrgebiet abzeichne und dem Thema Schlaf hier eine eigene Bedeutung verleihe. Bis hin zum drohenden Verlust der nötigen Ruhephasen angesichts ständiger Verfügbarkeit im Digitalen – auch dies ein Gedanke, dem die Künstler*innen in ihren Werken immer wieder nachgehen.
Mit Blick auf das »Ruhr Ding« heißt es ebenfalls wach bleiben – auch ohne digitale Nötigungen. Zum Beispiel für die Fahrradtour gut 15 Kilometer durch die postindustrielle Ruhr-Landschaft nach Essen-Steele, wo das Ausstellungsprojekt einen zweiten Hotspot aufschlagen wird. Nicht etwa, weil die Kulisse so malerisch, der Ort so sehenswert wäre. Ganz im Gegenteil bietet dieser Teil von Essen ein treffendes Beispiel für die katastrophal verfehlte Städteplanung der 1960er und 70er Jahre. Hunderte Altbauten wurden in Steele abgerissen, machten Platz für die neue Einkaufsstadt. Peters zitiert den Titel einer Doktorarbeit, die sich mit dem urbanen Desaster beschäftigt: »Endstation Größenwahn«. Es scheint bezeichnend, dass sie als Kuratorin gerade diesen Ort für ihr »Ruhr Ding« wählt.
Stephanie Lüning wird einen städtischen Platz in Steele mit traumhaft buntem Schaum fluten. Zum einmaligen Spektakel kommt eine mehrwöchig schäumende Arbeit: Lüning hat bereits Erfahrungen gesammelt mit Pkw, die zu scheinbar unerschöpflichen Schaumquellen werden. Als Standort in Steele kommt ein Parkdeck infrage. Als weitere Schauplätze hat das »Ruhr Ding« dort etwa einen Kiosk im Auge, den Wojciech Bakowski aus Warschau in eine Art Guckkasten mit alptraumhaftem Inhalt verwandeln will. Und eine Mietwohnung im Center Carrée. Dort möchte die polnische Künstlerin Alicja Rogalska das Thema Frauen und Finanzen angehen – künstlerisch aber auch ganz praktisch mit einer Beratung, die montags und dienstags für persönliche Geld-Gespräche zur Verfügung stehen soll.
Gut beraten, könnte man dann noch einen Abstecher nach Witten einplanen, wo das »Ruhr Ding« einen Hauch von Luxus verbreiten wird. Denn das Wiener Theaterkollektiv God‘s Entertainment will den als Theater- und Konzertsaal genutzten imposanten Saalbau mit einem Kreuzfahrtschiff-Ambiente ausstatten. Das Gefühl von gediegener Geborgenheit könnte hier allerdings gestört werden durch eine riesige Kraken-Skulptur, die, platsch auf dem Dach des Baus postiert, ihre acht Arme ausbreiten soll.
Nachtarbeit in Witten
Witten ist ein kleiner Ausnahmeort im Ruhrgebiet, geprägt durch die Universität Witten-Herdecke und ihre Studierenden. Doch hat auch hier die Industriearbeit weiterhin einen Platz. Um die 5000 Leute arbeiten in Schichten, man hört das Stahlwerk auch bei Nacht.
Melanie Manchot wird nachtaktiv. Die gebürtige Wittenerin bringt in ihrer für das »Ruhr Ding« realisierten Videoarbeit sieben Orte im Revier bei Nacht zusammen. Und acht Einheimische – Frauen, die im weitesten Sinne Nachtarbeit ausführen. Eine Reinigungskraft etwa, eine Schichtarbeiterin, eine Bäckerin, eine Pflegekraft, eine Pole-Tänzerin führen den Betrachter, die Betrachterin durch Zeche, Villa, Saalbau… Und am Ende zur Eisbahn auf Zeche Zollverein, wo alle Protagonistinnen in einer hypnotischen Schlusssequenz der Arbeit zusammenkommen sollen.
Ein wenig Entspannung verspricht zum Abschluss ein Besuch in der profanierten Kirche Sankt Bonifatius in Gelsenkirchen, wo Irena Haiduk auf Dauer ihren »Healing Complex« installiert hat. Ein Ort, an dem man das Miteinander erleben und sich obendrein erholen kann – zum Beispiel beim Brot backen im Gemeinschafts-Ofen.
Trotz erholsamer Brotzeit scheint aber jetzt schon klar: Dieses »Ruhr Ding: Schlaf« lässt sich kaum in einer Schicht bewältigen. Ein, zwei Schlafphasen wird es schon brauchen, will man all die Arbeiten ausgeruht erleben.