Das Museum Folkwang zeigt Martin Kippenbergers Riesen-Installation »The Happy End of Franz Kafka’s ›America‹«. Parallel dazu sind in der Villa Hügel Plakate und Künstlerbücher des Dortmunders zu sehen.
Sie brauchen etwas Anlauf, setzen sich dann aber doch in Bewegung. Zwei ausrangierte Kampfjet-Schleudersitze drehen sich auf einem bunt lackiertem Schienenkreis nicht nur um die eigene Achse, sondern auch um ein riesiges Spiegelei in der Mitte. Anstelle von Fallschirmen sind auf den Kopfstützen lediglich zwei windschiefe Regenschirme befestigt. Der Absturz ist nah, die Assoziation zu Carl Spitzwegs Gemälde »Der arme Poet« ist gewollt. Diese Skulptur hat Martin Kippenberger (1953-1997) eigentlich für die Ausstellung »Tiefes Kehlchen« entwickelt, die 1991 im Rahmen der Wiener Festwochen in einem stillgelegten U-Bahnschacht stattfand. Jetzt ist sie Teil von Kippenbergers Groß-Installation »The Happy End of Franz Kafka’s ›America‹« im Essener Museum Folkwang.
Mit der Ausstellung nutzt das Museum seinen großen Tageslichtsaal endlich in ganzer Weite ohne zusätzliche Wände und Kabinette. Soviel Platz ist auch nötig – die Installation besteht aus einem 20 mal 23 Meter großen Spielfeld, das an zwei Seiten von Zuschauertribünen flankiert wird. Darauf hat Kippenberger 50 höchst unterschiedliche Ensembles aus jeweils einem Tisch und zwei Stühlen arrangiert; ein Kommunikationsraum für Bewerbungsgespräche und Personalrekrutierungen. Damit interpretiert er das fehlende Ende von Kafkas Roman »Der Verschollene/Amerika«, der seinerzeit nur Fragment blieb. In Kafkas Text wird der junge Karl Roßmann von seinen Eltern nach Amerika geschickt, um dort das große Glück zu suchen. Stattdessen muss er sich mit den Härten des Lebens herumschlagen, bis er eines Tages ein Plakat des großen Theaters von Oklahoma entdeckt, das Hoffnung verspricht: »Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Verflucht sei, wer uns nicht glaubt!« Die Bewerbungsgespräche sollen auf der Trabrennbahn in Clayton stattfinden, ob Roßmann tatsächlich Künstler wird, bleibt offen.
Kippenberger, der in Dortmund geboren wurde und in Essen-Bergerhausen aufwuchs, hat zeitlebens mit lässiger Ironie, Liebe zum Wortwitz, Provokationen und dem Hang für angeschrägte Ideen für Aufmerksamkeit in der oft bierernsten Kunstwelt gesorgt. Mit Installationstiteln wie »Ich geh jetzt in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald«, der fiktiven und angeblich weltumspannenden U-Bahn »Metro-Net«, die aber nur aus einigen Attrappen von Lüftungsschächten und Eingängen in verschiedenen Ländern bestand, dem gekreuzigten Frosch »Zuerst die Füße« oder sein Gemälde »Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen« voller schwarz-rot-goldener Eck- und Winkelelemente.
»The Happy End of Franz Kafka’s ›America‹« passt als riesiges, ironisches Wimmelbild genau in diese Reihe. Überall sind Zitate und Anspielungen auf die Kunsthistorie (Spitzweg!), Designgeschichte und Popkultur, aber auch auf Kippenbergers Leben und Werk zu entdecken. So sperrt er einen eckenlosen, roten Kinderstuhl von Luigi Colani in seine alte Fernsehkommode, stellt statt Stühlen einen Wachturm und einen Hochsitz gegeneinander oder huldigt alten Wildwestfilmen, in dem er das Holz eines Stuhls durchbohrt – Knieschuss, Streifschuss, Kopfschuss. Die aufgetürmten Spanplatten, die an einer Stelle als Tisch dienen, hat sich Kippenberger aus dem Müngersdorfer Stadion besorgt. Als Papst Johannes Paul II. 1987 dort die Philosophin Edith Stein selig sprach, schützten die Platten den Rasen in Köln. Für Kippenberger waren sie von der katholischen Kirche geweihtes Material für seinen Tisch, an dem sich nun die Skulpturen zweier balinesischer Wasserwächter gegenüber sitzen. 1994, bei der Erstpräsentation im Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen, hat Kippenberger Möbel aus den dortigen Büroräumen in seine Installation integriert, im Museum Folkwang sind es nun Einrichtungsgegenstände aus der Villa Hügel, die die Tisch-Stuhl-Ensembles ergänzen.
Das führt direkt zur parallel laufenden Ausstellung »Vergessene Einrichtungsprobleme der Villa Hügel« im ehemaligen Wohnhaus der Familie Krupp. In diesem Fall passt die abgeliebte Formel »Intervention« hervorragend – in der Eingangshalle haben die Kurator*innen zwischen die riesigen Familienbilder ein ebenso riesiges Foto jenes Kunstkatalogs gehängt, der der Ausstellung ihren Namen gibt. 1996 stellte Kippenberger in der Villa Merkel in Esslingen aus, auf dem Umschlag des Katalogs war hingegen ein idyllisches Foto der Villa Hügel abgedruckt. Könnte sein, dass da jemand Heimweh gehabt hat. Aber auch sonst interveniert es sich ganz hervorragend in den herrschaftlichen Räumen – in der Bibliothek sind 120 Künstlerbücher Kippenbergers zu sehen, die in den Dialog mit dem historischen Bestand treten. Für ihn waren Bücher das ideale Medium, seine Ideen und Projekte schnell und erschwinglich zu veröffentlichen. Reiseberichte, angewandte Kalauer, Kommentare zur Kunstwelt und Biografisches mit Titeln wie »Dieses Leben kann nicht Ausrede für das nächste sein« oder »Vom Eindruck zum Ausdruck. 1/4 Jahrhundert Kippenberger« anläßlich seines 25. Geburtstags – ein Band mit leeren Seiten, das man selbst mit Fotoaufklebern aus seinem Leben gestalten konnte.
Ungeschönt und provokativ
Nebenan, im Gartensaal, haben zwei kleinere Installationen Platz gefunden, die »Westfalenorgie mit Vorgeschichte für König von Kippenberger« und die »Berliner Mauer«. Im ersten Stock der Villa Hügel sind 100 Kippenberger-Plakate aus der Sammlung des Museum Folkwang zu sehen. Hier verdichten sich seine Sprach- und Bilderwelten perfekt auf das Format DIN A1. Selbstgewählte, ungeschönte und teils provokative Einblicke in alle seine Lebenslagen – der Künstler als kleiner Junge am elterlichen Esstisch, nackt als junger Mann auf einer Wiese, dann wieder und bereits älter, in zu großer Feinripp-Unterhose oder stolz seinen Sonnenbrand präsentierend. In der Auswahl befinden sich auch Ausstellungsplakate wie »Gib mir das Sommerloch« von 1986, dessen Namen auf eine fast ausgebuchte Bonner Galerie zurückgeht, die ihm für seine Ausstellung nur noch einen Monat im Sommer anbieten konnte. Zudem sind Plakate von Künstlerkolleg*innen wie Albert Oelhen, Cosima von Bonin, Jeff Koons, A.R. Penk und Wolfgang Joop zu sehen, die Kippenberger bat, eigene Plakate für seine Ausstellungen zu entwerfen.
Es bleibt die Frage, wie das Werk Kippenbergers aussehen würde, wenn er heute noch leben würde und die gegenwärtigen Äußerungs- und Selbstdarstellungs-Werkzeuge wie Twitter, Instagram und Selfies zur Verfügung hätte. Wäre die heutige Gesellschaft überhaupt noch angemessen ironiefähig für seine Ideen? Und noch dies: Wie hätte Bertha Krupp wohl reagiert, wenn sie gewusst hätte, dass eines fernen Tages dieser wunderbare Herr in ihren Schlafgemächern lächelnd seine Sonnenbrandplautze zeigen würde?
Für den Besuch der Ausstellungen ist die vorherige Anmeldung und Buchung von Zeitfenster-Tickets nötig.
Martin Kippenberger »The Happy End of Franz Kafka’s ›America‹«
Bis 16. Mai 2021, www.museum-folkwang.de
Martin Kippenberger »Vergessene Einrichtungsprobleme der Villa Hügel«
Bis 16. Mai 2021, www.villahuegel.de