Zum Beethoven-Jubiläum hat Bonn eine große Ausstellung organisiert. Da durch die Corona-Pandemie die Bundeskunsthalle allerdings gerade – wie so vieles – geschlossen ist, wird der Mythos des Meisters jetzt ins Internet geholt – bei einem virtuellen Ausstellungsrundgang. Zeit also, unsere Besprechung aus dem Archiv zu holen.
Entschlossen die Miene, die Mähne zerzaust. Der Hemdkragen steht offen, und um den Hals hat der Held keck ein rotes Tuch geknotet. Ludwig van Beethovens Blick richtet sich leicht nach oben, als empfinge der Meister eben Inspiration von höherer Stelle. Wie Joseph Stieler ihn 1820 porträtierte, so stellt man sich den Komponisten-Star bis heute vor. Als ungestümes, unnahbares Genie. Dazu passt, dass er seiner Arbeit nicht im repräsentativen Interieur nachgeht. Der Maler zeigt den Musiker stattdessen in freier Natur, die »Missa solemnis« komponierend.
Stielers Image prägendes Beethoven-Bildnis lädt nun auch zur großen Geburtstagsausstellung in die Bundeskunsthalle ein. Natürlich nicht, um alten Klischees zu frönen. Vielmehr möchte man in Bonn den Mythos des Meisters auf den Prüfstand stellen. Mit einer biografischen Schau, die den Menschen Beethoven in möglichst vielen Facetten beschreibt und das Einzelschicksal in den ganzen großen politischen und gesellschaftlichen Kontext des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts rückt.
Musik für alle
Rund 250 Exponate kommen dafür in der Bundeskunsthalle zusammen – Bücher und Briefe, Instrumente, Partituren, Grafiken und Gemälde. Ein Scherenschnitt von 1785 zeigt, dass der musikalische Supermann nicht immer so selbstbewusst und unfrisiert war, wie Stieler ihn sah. Als junger Musiker im kurkölnischen Bonn, der schon mit 14 in die Dienste des Kurfürsten trat, zeigte Beethoven sich eher angepasst in der Mode des Ancien Régime: Steif und zugeknöpft, das Haar zum Zopf geknüpft und vor der Brust den Spitzenkragen. Mit dem Ruhm erst wuchs die Gleichgültigkeit gegenüber solchen gesellschaftlichen Normen und modischen Zwängen. Auch seine Musik sollte nun mehr sein als nur adeliges Vergnügen oder gefällige Untermalung. Der gereifte Beethoven wollte Kompositionen schaffen, die über alle Grenzen Gemeinschaft stiften.
»Was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen.«
Ludwig van Beethoven
Die Mode ist ein Thema in der Bundeskunsthalle, ein anderes ist die politische Haltung des Helden, der gern als Ikone des erstarkten Bürgertums, ja gar als eine Art Revolutionär gehandelt wird. »Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt«, soll der zornige Beethoven 1806 einem fürstlichen Gönner ins Gesicht geschleudert haben. »Was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen.« Äußerungen wie diese mögen den Topos des Revoluzzers belegen. Doch stellt die Schau heraus, dass der stolze »Freiberufler« sich doch auch gern von Aristokraten alimentieren ließ und stets bemüht war um Festanstellung in adeligen Diensten.
Von Krankheiten gequält
1809 gelang es dem 39-Jährigen, sich durch eine feste monatliche Rente finanziell abzusichern. Gleichzeitig litt er aber mehr und mehr unter seinem »neidischen Dämon«. Diverse Krankheiten quälten und stürzten Beethoven in eine tiefen Lebens- und Schaffenskrise. Der Komponist als Patient – auch das ist ein Thema in Bonn. »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht«, so hatte er es 1801 bereits einem Freund geschrieben. Ganz besonders zu schaffen machte es dem Musiker, dass er immer schlechter hörte. Seine ganze Verzweiflung kommt im »Heiligenstädter Testament« zum Ausdruck, das als Leihgabe der Universitätsbibliothek Hamburg nach Bonn kommt.
Alles Mögliche stellte Beethoven an, um sein Gehör nicht komplett zu verlieren: Er probierte es mit Mandelmilch, gekochten Nussschalen und Rettich im Ohr. Auch einer Gleichstrom-Therapie hat er sich unterzogen. Doch nichts half. Nur Hörrohre, wie sie in Bonn zu sehen sind neben Konversationsheften, in die Beethovens Besucher Nachrichten oder Fragen notiert haben. Wie ein Gehörloser wohl Musik erleben kann? In der Ausstellung lässt sich dieser Frage auf dem Emoti-Chair nachgehen – ein Stuhl, der Musik in Vibration umwandelt.
Auf den Spuren des Menschen und Musikers Ludwig van Beethoven mag uns schließlich auch sein Zeitgenosse Johann Wolfgang von Goethe ein gutes Stück vorwärts helfen. Die beiden Künstler trafen sich im böhmischen Teplitz an einem Sommertag 1812 – Goethe war 63, Beethoven 42 Jahre alt. »Zusammengefasster, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. Ich begreife recht gut wie er gegen die Welt wunderlich stehn muss«, schreibt der Dichter nur Stunden später seiner Frau und kommt mit seiner Charakterisierung dem Beethoven in Joseph Stielers Porträt recht nahe. In einem anderen Brief wird Goethe später konkreter: Beethovens Talent habe ihn in Erstaunen gesetzt; »allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht.«
Durch die Corona-Pandemie ist die Ausstellung »BEETHOVEN – WELT. BÜRGER. MUSIK« (die eigentlich bis 26. April 2020 laufen sollte) gerade nicht in der Bundeskunsthalle Bonn zugänglich. Dafür aber als virtuelle Ausstellung im Internet anzuschauen: