Seit bald 30 Jahren gedeiht auf Gut Hasselrath in Pulheim nicht nur das Grün im Park – sondern auch die Kunst. Ein Besuch im »Bewohnten Garten« von Michael Zimmer.
Erst Autobahn, dann Landstraße, schließlich nur noch ein schmaler Weg, der sich durch abgemähte Felder und Kartoffeläcker zieht. Aus Köln sind es gerade mal 20 Minuten hierher. Doch sobald sich das gewichtige Tor hinter dem Heck zugezogen hat, fühlt man sich wie in einer etwas anderen Welt. Zwischen Hecken verborgen. Zuerst knirschen noch die Kiesel unter den Autoreifen. Danach ist nur mehr der Wind zu hören, wie er durch die Bäume streicht, und ab und zu ein Schnattern auf dem glatten See.
Hier lebt Michael Zimmer. Vor 30 Jahren hatte er den Ort für sich entdeckt: Gut Hasselrath hat seinen Namen von einem uralten Rittergeschlecht. Als sich der Kunstsammler allerdings zum Kauf entschloss, war längst nichts mehr übrig vom einstigen Glanz. Stattdessen stand da ein ruinöses Haus aus dem 19. Jahrhundert, der Hof war komplett betoniert, davor lag eine Müllgrube. »Das wollte keiner haben.« Es muss einige Phantasie gekostet haben, sich auszumalen, was daraus zu machen ist: Wiesen, Büsche, Hügel, Senken, Trauerweiden, Wiesenblumen, meterhohes Schilf, Farne, Streuobst auf dem Trampelpfad… »Inzwischen sind wir so etwas wie eine Oase in diesem industrialisierten Sektor. Mit dem nahen Braunkohlekraftwerk, mit Bayer in Dormagen und der durchoptimierten Landwirtschaft rings um«, sagt Zimmer. Rehe, Wildschweine, Fasane, Enten, Gänse, Füchse wohnen im Garten. Aber sie sind nicht die einzigen, die sich eingelebt haben. Hier und da und dort sind Skulpturen zu entdecken, die sich in die Natur fügen und immer wieder überraschen.
Fast ohne Hüllen
Zimmers Gartentour startet vor dem Haus. Joep van Lieshouts »Leader« dort könnte auf den ersten Blick wie eine gruselige Mischung aus Erlöser und Darth Vader wirken. Doch entpuppt sich der »Anführer« schnell als Trugbild, als leere Hülle, die ihr ebenso körperloses Reittier auf den Hof lenkt. Fast ohne Hüllen kommt dagegen Olaf Metzels zierliche Türkin aus, unweit eher beiläufig im Erika-Beet platziert. Sie ist entblößt bis auf das eng um den Hals gewundene Kopftuch. Nacktheit und Verschleierung mögen auf West und Ost anspielen, auf unterschiedliche Werte, die Metzel in einer einzigen Figur kollidieren lässt – immer wieder geht er in seiner Kunst mit dem Thema Migration um. Wie hier interessiert sich Zimmer vor allem für die Figur, das Menschliche, auch wenn er diese Leitlinie seiner Sammlung ziemlich großzügig auslegt.
Ein Weilchen ist man schon durch den Garten gestreift und hätte dabei fast übersehen, dass da unter Bäumen im Dickicht jemand sein Zweimann-Zelt aufgeschlagen hat. Als ob er jederzeit den Reißverschluss öffnen und hinausgucken könnte. Diesmal bleibt der Mensch allerdings nur ein Gespinst, denn das Zelt ist leer und von Martin Honert aus festem, starren Polyester gemacht. Die Farne rund ums Kunstwerk hat Zimmer eigens anpflanzen lassen. Auf die Idee zur Skulpturensammlung im Garten war einst der befreundete Udo Kittelmann gekommen, der Anfang der 90er Jahre – lange bevor er später die Berliner Nationalgalerie leiten sollte – Direktor des Kölnischen Kunstvereins war. Zimmer schlug ein. Während Kittelmann oft die künstlerischen Angelegenheiten übernahm, verlegte sich der Hausherr darauf, die Werke mit den Künstlern in den Garten zu fügen. Beim Weg mit dem Sammler über Wiesen und durchs Gestrüpp merkt man schnell, wie ernst er diese Aufgabe nimmt und wie sehr sein Ehrgeiz das Projekt prägt. »Skulptur bewohnt den Garten«, so erklärt er selbst es. »Das ist nicht der Garten für die Skulptur, sondern das ist die Skulptur, die sich einfindet in den Garten.«
Paul McCarthys Skulptur bekam einen eigenen Hügel
Dabei hilft Zimmer nach – mit mal mehr und mal weniger Aufwand und unterstützt vom Landschaftsarchitekten Bernhard Korte, der auch auf der Insel Hombroich gewirkt hat. Als Bühne für Paul McCarthys mächtige und meterhohe Bronze wurde eigens ein Hügel aufgeschüttet und mit Trauerweiden gepflanzt. Pierre Huyghes berühmter Frauenakt mit Bienenstock, den Zimmer bei der Documenta sah und sogleich kaufte, steht auf einem romantischen Plätzchen unter Bäumen, umgeben von einem Sortiment ausgewählter Blüten. Die raue Frauenfigur von Hans Josephsohn wird dagegen von dichten Buchs- und Ilexbüschen eingerahmt, die wie Kissen zugeschnitten auf dem Rasen liegen. Ist ihr Ort einmal hergerichtet, bleibt die Skulptur wo sie ist, so Zimmers Prinzip. »Auch wenn wir die Stücke einmal ausleihen, kehren sie danach immer an ihren Platz zurück.« Seit einem Vierteljahrhundert trifft man etwa Antony Gormleys Arbeit aus hohlem Gusseisen »Still Running« ohne Sockel einfach auf dem Rasen. Zumindest sieht es so aus, denn das Fundament ist unter dem Grün nicht zu sehen. Das ist Zimmer sehr wichtig, wie es scheint. Denn er beginnt nun, die spezielle konische Konstruktion genau zu beschreiben und ihre Vorzüge zu erklären. »So etwas entwickele ich gerne mit, das macht mir Freude.«
Zimmer kennt sich gut aus mit solch praktischen Fragen rund ums Bauen, auch wenn eher der Schreibtisch sein Platz ist. Nach dem Kunstgeschichts-Studium hatte er die Immobilien-Firma seines Vaters mit rund 60 Mitarbeitern übernommen, sie zum deutschlandweit größten Unternehmen für Asset Management aufgebaut und dann verkauft. Heute arbeitet er als Berater großer Konzerne in Immobiliengeschäften. Alles in allem ein bisher offenbar überaus einträgliches Berufsleben. Im Garten und mit der Kunst könne er abschalten, so Zimmer. Fast jeden Morgen drehe er mit dem schwarzen Riesenschnauzer eine große Runde. Und selbst in den stressigsten Phasen habe es ihm gut getan, sich für den Austausch mit den Künstlern Zeit zu nehmen. Mittlerweile ist man bei den »Trashstones« von Wilhelm Mundt angekommen, die am Ufer, umgeben von hohem Gras, wie in einer Nische ruhen und silbrig glänzend den Sonnenschein reflektieren. Zuerst wäre Mundt ein zentraler Ort oben beim Haus lieber gewesen, erinnert sich Zimmer. Und es habe einige Mühe gekostet, ihn zu überzeugen. Heute aber sei der Künstler froh um das lauschige Plätzchen am Wasser, auch wegen des reizvollen Lichtspiels. Zum Dank kommt er regelmäßig her, um seine Steine zu polieren.
Demnächst kommt ein Pavillon von Thomas Schütte hinzu
Auch für Thomas Schütte hat sich der Sammler reichlich Zeit genommen – fünf Tage sei man gemeinsam unterwegs gewesen, bis die »Gartenzwerge« ihr Zuhause gefunden hätten. Aber damit nicht genug. Anschließend musste Zimmer noch einen Fachmann auftreiben, der ihm eine fünf Tonnen schwere Betonscheibe als Sockel fertigt und per Kran installiert. Wichtig war Schütte dabei eine Fuge, um die Scheibe scheinbar über der Wiese schweben zu lassen. Mit dem Ergebnis war der Künstler dann offenbar zufrieden. Denn er spendierte Zimmer den Entwurf für einen Pavillon, der demnächst errichtet werden und als Gruppenraum und Bibliothek dienen soll. Auch sonst ist noch einiges geplant für die nächste Zeit. Zimmer hebt die Frauenquote unter den Gartenbewohnern. Auf seiner Einkaufsliste stehen Nicole Eisenman mit einem kleinen Brunnen und ein Pinocchio von Cosima von Bonin. Das Wildblumenbett für die sechs Meter lang ausgestreckte Frauenfigur von Tracey Enim zeigt sich bereits in voller Blüte. Im September wird die Dame wohl hineingelegt. Ist ein Ende in Sicht? Wann ist Zimmers Garten komplett? »Nein, es gibt kein festes Ziel«, sagt der Sammler lächelnd. »Ich hatte vor 25 Jahren nicht das Ziel, einen Skulpturengarten aufzubauen, das hat sich zufällig ergeben – und bei dieser Zufälligkeit will ich es auch in Zukunft belassen.«
DER BEWOHNTE GARTENSTIFTUNG ZUR FÖRDERUNG ZEITGENÖSSISCHER KUNSTGUT HASSELRATH, PULHEIM
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»A SCULPTURE GARDEN« HRSG. VON UDO KITTELMANN UND MICHAEL ZIMMER IM VERLAG STEFAN SCHUELKE FINE BOOKS (196 SEITEN, 39,80 EURO)