Der Düsseldorfer Kunstpalast konfrontiert uns mit dem dämonischen Dasein. Die Ausstellung »Tod und Teufel. Faszination des Horrors« reiht rund 120 Werke zu einem Parcours des Schreckens.
An Fleischerhaken baumeln Körper- und Hautfetzen. Die Brocken in Blutrot, von Neonröhren grell beleuchtet, gleichen Kadavern. Zweifelsfrei identifizieren lassen sie sich nicht. Eindeutig hingegen der abschreckende Eindruck, den die garstigen Objekte hervorrufen. Kaum gemindert wird der Ekel durch die Information, dass es sich hier um ein Kunstwerk handelt, um eine Silikonskulpur der schwarzen US-Künstlerin King Cobra. »Red Rack of Those Ravaged and Unconsenting« heißt die Mixed-Media-Arbeit. King Cobra – ihr bürgerlicher Name lautet Doreen Lynette Garner – erinnert hier auf denkbar drastische Art an jene versklavten Afroamerikanerinnen, die im 19. Jahrhundert vom Arzt James Marion Sims einer barbarischen Prozedur unterzogen wurden, um (pseudo-)medizinische Experimente durchzuführen. Sims, der in die Annalen als »Vater der modernen Gynäkologie« einging, wollte beweisen, dass Schwarze unempfindlicher gegen Schmerzen sind als Weiße. Deshalb operierte er seine Opfer ohne Betäubung – und gegen deren Willen.
In einer Metzgerei würde dieses Mahnmal vermutlich weniger auffallen als im Museum. Doch im Düsseldorfer Kunstpalast ist der normale Museumsbetrieb durch eine Sonderausstellung teilweise außer Kraft gesetzt. Unter dem Titel »Tod und Teufel. Faszination des Horrors« inszeniert das Haus am Ehrenhof eine Schau, die uns mit den dunklen Seiten der Existenz konfrontiert – mit dem Bösen und Dämonischen, mit Mord und Totschlag, mit dem, was unerklärlich ist, was Furcht, gar Grauen erregt.
»Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die Angst, und die älteste und stärkste Art von Angst ist die Angst vor dem Unbekannten«, wusste H. P. Lovecraft, der Großmeister fantastischer Horrorliteratur. Diese Angst vor dem Unbekannten ist wohl die mächtigste Triebfeder für die weitgefächerte Darstellung horrender Dinge in der Kunst. Von Literatur und Film über die bildende Kunst bis hin zu Musik, Mode und Computerspielen zieht sich die Spur des Schreckens, die Westrey Page, Kuratorin der Kunstpalast-Schau, anhand von rund 120 Exponaten verfolgt.
Ihren Ausgang nimmt die emotionale Achterbahnfahrt bei Albrecht Dürers Meisterstich »Ritter, Tod und Teufel« von 1513 – freilich ist weder Dürers Personifikation des Todes noch die Verkörperung des Teufels geeignet, heutige horrorerprobte Betrachter das Fürchten zu lehren. Von den Dämonen der Renaissance, Francisco de Goyas noch immer schockierendem Grafikzyklus »Die Schrecken des Krieges« (1810–1814) oder den Schauerlandschaften der Romantik führt der Parcours zu den Horrorfilmen der Stummfilmzeit. Das alles ist gleichsam eine Ouvertüre zum Wechselbad der Gefühle, das die Betrachter*innen im Hauptteil der Schau erwartet. Hier wetteifern Werke aus den letzten zwei Jahrzehnten um den wirkungsvollsten – in diesem Fall: haarsträubendsten – Effekt.
»Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?«, sang einst Wolfgang Petry. Eine rhetorische Frage, die sich beim Besuch der Düsseldorfer Horrorparade gar nicht stellt – oder durch den Augenschein beantwortet wird. Die Höllenfahrt im Kunstpalast ist der Wahnsinn, weil sie am laufenden Band schaurig-sehenswerte Erlebnisse beschwert. Wer hier als Rezipient gleichgültig bleibt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Was die bildende Kunst angeht, so präsentiert die Freakshow am Ehrenhof unter anderem Arbeiten von Berlinde de Bruyckere, Jake & Dinos Chapman, Eliza Douglas, Teresa Margolles, Gregor Schneider, Erasmus Schröter und Andres Serrano. Nicht minder illuster die Reihe der Modedesigner*innen, deren Kollektionen mit dem Grauen kokettieren – fotografisch dokumentiert werden unter anderem düster-morbide Kreationen von Rei Kawakubo, Rick Owens, Alexander McQueen und Viktor & Rolf. Einschlägige Plattencover und Filmplakate runden das Spektakel ab.
Die Hauptrolle spielt der Tod
Wie alt ist das Horror-Genre? Schwierige Frage. Jedenfalls uralt. Tief verwurzelt in Brauchtum und Religion ist die Angst vor Dämonen, die uns aus heiterem Himmel in finstere Gefilde entführen. Eskortiert von den Handlangern des Teufels, geht es schnurstracks in die Hölle – Hieronymus Boschs visionäre Darstellung dieses unwirtlichen Ortes, Teil seines Triptychons »Der Garten der Lüste«, kann einem noch heute Alpträume bereiten. Das Böse ist immer und überall? Was die Band »Erste allgemeine Verunsicherung« verkündete, mag übertrieben erscheinen – aber nur für jene, die vorwiegend auf der Sonnenseite des Lebens verkehren.
Auf der Bühne des Horrors dagegen tummeln sich etliche bedrohliche Gestalten: Vampire, Werwölfe, Hexen, Monster, Außerirdische, Serienmörder, Kannibalen, Psychopathen und Folterknechte. Die Hauptrolle jedoch spielt der Tod – unsere Sterblichkeit und die Frage, ob uns ein Leben danach erwartet und wie dieses wohl verlaufen mag, hat die Menschen zu allen Zeiten tief beunruhigt. Der ultimative Horror, sozusagen. Kein Zufall also, dass Via Lewandowskys Arbeit »Bona Fide Erstechen« unter vielen bizarren Exponaten der Ausstellung heraussticht: Der Berliner Künstler schuf eine ganze Serie von fiktiven, scheinbar zweckdienlichen Selbstmordmaschinen, die er aus Haushaltsgegenständen fertigte. Zwar steht bei Lewandowsky der Suizid im Vordergrund. Doch wer dächte nicht unwillkürlich an Franz Kafkas Erzählung »In der Strafkolonie«? Obwohl – oder vielleicht, gerade weil – Kafka die Folter und Tötung eines Verurteilten durch ein mörderisches Exekutionsinstrument in vollkommen nüchternem Ton beschreibt, geht diese Schilderung buchstäblich unter die Haut.
Die Düsseldorfer Ausstellung macht ein Dilemma bewusst. Einerseits erfreuen sich Horrorfilme und abgründige Videospiele zunehmender Popularität – die bildende Kunst spielt hier nur eine Nebenrolle. Andererseits wird das destruktive Potenzial, das in solchen extremen Werken zum Ausdruck kommt, beinahe gebetsmühlenartig zum Anlass genommen, um vor Gewaltverherrlichung und sittlicher Verrohung zu warnen. Zweifellos sind diese Risiken nicht aus der Luft gegriffen. Doch belegt die Kunstpalast-Ausstellung »Faszination des Horrors«, dass eine pauschale Verurteilung dämonischer Kunst fehl am Platz ist. Ja, auch Horror kann subtil sein – jedenfalls in der Kunst. Schrecklich schön, diese Kategorie des Erhabenen, die bis in die Antike zurückreicht, ist fundamentaler Bestandteil der Ästhetik.
»Tod und Teufel. Faszination des Horrors«
Kunstpalast, Düsseldorf
bis 21. Januar 2024