Die Julia Stoschek Collection wird 15. Gefeiert wird das natürlich mit einer Ausstellung – zur Geschichte und Gegenwart des Bewegtbildes.
In den 1960 und 70er Jahren ging es los mit den Experimenten: Immer mehr Künstler*innen begannen damit, überkommene Darstellungskonventionen und -strategien in Video und Film infrage zu stellen, den eigenen Körper zum Gegenstand der Kunst zu machen oder ihre Rolle im Kunstbetrieb zu befragen. In den Anfängen waren »Film- und Videokunst (…) zutiefst demokratische Medien, ohne Limitierungen und Restriktionen für Künstler*innen und Rezipient*innen«, so Julia Stoschek.
Vor 20 Jahren hatte die junge Unternehmerin damit begonnen, Videokunst zu sammeln, ein Medium, das im Kunstkontext immer als ein bisschen sperrig galt. Aber, »ich bin schließlich mit Bewegtbildern groß geworden, es ist die Kunst meiner Generation«. Heute ist die Julia Stoschek Collection (JSC) eine der weltweit größten Privatsammlungen und Zentrum für zeitbasierte Kunst mit dem Fokus auf zeitgenössischen Positionen. Ihr Ziel: »Die öffentliche Präsentation, Förderung, Konservierung sowie wissenschaftliche Aufarbeitung medialer und performativer künstlerischer Praktiken.«
2007 war in Düsseldorf mit »Number one: Destroy, she said« der Ausstellungsraum eingeweiht worden. Seither wird meist jährlich wechselnd eine Auswahl der inzwischen mehr als 870 Kunstwerke von 290 Künstler*innen der JSC präsentiert: neben zeitbasierten Werken wie Film, Einkanal- und Mehrkanal-Videoinstallationen, Multimedia-Environments, Performances-, Klang- und Virtual-Reality-Arbeiten auch Fotografie, Skulptur und Malerei. Das Spektrum reicht von frühen Werken der 1960er und 70er Jahre von Pionieren des Queer Cinema bis zu aktuellen Arbeiten, die sich etwa mit den Untiefen des Darknet auseinandersetzen. Neben großen Ausstellungen werden in verschiedenen kleineren Formaten immer wieder auch einzelne Werke vorgestellt.
Sei 2016 gibt es einen zweiten Ausstellungsraum in Berlin, seit 2017 die Julia Stoschek Foundation, die unter anderem internationale Institutionen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen bei der Realisierung ihrer Projekte im Bereich zeitbasierter Kunst unterstützt. Zudem existiert seit 2019 das Curatorial & Research Residency Program mit Forschungs- und Arbeitsresidenzen.
Immer wieder gibt es Kooperationen mit anderen Institutionen oder mit externen Künstler*innen oder Gastkurator*innen. So wie in diesem Jahr, in dem die JSC mit »Wordbuilding« ihr 15-jähriges Jubiläum in Düsseldorf feiert. Die Ausstellung »untersucht die Beziehungen zwischen Gaming und zeitbasierter Medienkunst (…), bildet die jüngsten Entwicklungen der Bewegtbild-Kunst ab und zeigt auf, wie Künstler*innen sich mit Computerspielen auseinandersetzen und diese zur Kunstform machen«, heißt es in der Ankündigung. Kuratiert wird die Gruppenschau mit dem Untertitel »Videospiele und Kunst im digitalen Zeitalter« von Hans Ulrich Obrist.
Ganz offensichtlich werden inzwischen auch Computerspiele als Medium und ökonomisch relevantes Massenphänomen ernstgenommen. Kein Wunder also, dass die Kunstwelt, die sich gerne als Avantgarde versteht, auch dieses Medium für sich entdeckt und anverwandelt hat. Warum sollten nicht auch Videospiele mit ihrer Ästhetik irgendwann die Kunst kapern?
Und genau das zeigt die große Jubiläums-Schau der JSC: Die Künstler*innen sammeln im Computerspiele-Universum viel Material und Bausteine für die Erfindung neuer virtueller Welten, oder auch für die Störung vertrauter Rituale. Politisch sind die Arbeiten meist hochaktuell und sehr zeitgenössisch, wenn es um hybride Identitäten, Gender oder antikoloniale Debatten geht. Es gibt experimentale Videofilme aus found footage, digitale Animationen, narrativ oder dokumentarisch, improvisiert oder mit Skript. Die modifizierten Videospiele dienen oft auch zur Untersuchung der Beziehung zwischen Technologie und Kultur und deren Schnittstellen, viele laden ein zu Interaktion. Gesellschaftskritik vermischt sich mit Pop-Ästhetik, Surrealismus, Fabelwesen oder dystopischen Visionen der sozialen Medien. Es geht um Begriffe von Katastrophe, um Begehren und Erinnerung, virtuelle Realität und Skulptur, um Oktopusse und Superhelden im Raumanzug.
Erinnerungswürdige Präsentationen
2017, zum zehnjährigen Jubiläum, hatte der britische Künstler Ad Atkins das Konzept für die Ausstellung (»Generation Loss) entwickelt und in räumlichen, akustischen, technischen und inhaltlichen Verknüpfungen die Wechselbeziehungen innerhalb der Sammlung erlebbar gemacht. Erkennbar wurde dabei ausdrücklich, welch große Rolle Präsentation und räumliche Installation für die Kunstform Video spielen, wie schnell sich die Inszenierungsformen wandeln und was die Zeit mit dem Medium macht – ein bildreiches Nachdenken über die eigenen Bedingungen.
Auch andere Präsentationen haben sich mitunter konkreten Themen oder Werken gewidmet: »Fragile« etwa rückte den Aspekt der Körperlichkeit in den Mittelpunkt, mit dem vor allem Künstler*innen der Body Art und Performance Kunst seit den 1960/70er Jahren experimentieren. No 4 widmete sich dem Filmemacher Derek Jarman, No 5 dem 16-mm-Film »Cities of gold and mirrors« des französischen Künstlers und documenta-Teilnehmers Cyprien Gaillard.
2012/13 ging es mit »Number six: Flaming creatures« besonders spektakulär zu: Die Schau erinnerte mit experimenteller Videokunst an die »Camp«-Bewegung, jene künstlerische Erlebnisweise, die in den Empfindsamkeiten und Manierismen um 1900 einen ersten Höhepunkt fand und die in den urbanen Kulturen und der Kunstszene in den USA in den 1950er und 60er Jahren Kult wurde: exzentrisch, obsessiv, übertrieben, trivial, laut, bunt, gewollt amateurhaft, eine Parodie und »lustvolle Maskerade«, clownesk, verführerisch und abstoßend. Eine erinnerungswürdige Präsentation – wie so viele andere auch.
Da an den Standorten in Düsseldorf und Berlin jeweils nur ein Bruchteil der Arbeiten gleichzeitig gezeigt werden kann, hat die Stoschek Collection den gesamten Sammlungsbestand online zugänglich gemacht, kostenlos und ohne Beschränkungen. Schließlich, so die Sammlerin »will und muss Kunst gesehen werden.«
»Worldbuilding: Videospiele und Kunst im digitalen Zeitalter«, bis 10. Dezember 2023