Am 18. Oktober eröffnet die neue Kunsthalle Barmen in Wuppertal. Sie möchte ein brandheißer Ort für zeitgenössische Kunst und ihre Vermittlung werden – so wie zuletzt vor 100 Jahren.
Der bronzene Bismarck mit seiner Pickelhaube dreht der Barmer Ruhmeshalle den Rücken zu. Er blickt auf die Fußgängerzone, auf »Backwerk« und »Blume 2000«. Kinder klettern auf den Granitsockel des Denkmals. Berührungsängste mit dem Kunstverständnis der Vorväter? Keine Spur – und das soll bitte auch so bleiben, wenn es nach den Initiator*innen der neuen Barmer Kunsthalle geht. Denn die entsteht ausgerechnet in einem Bau, dessen Architekt den Gästen Respekt abnötigen wollte.
»Be afraid of the enormity of the possible«, leuchtet es heute in farbigem Neon jenen entgegen, die die 15 Stufen der imposanten Freitreppe zum Säulenportal hinauflaufen. Angst vor der Zukunft? »Seid gespannt auf die Vielfalt der Möglichkeiten« – so will Isabelle Meiffert, künstlerische Leiterin der ersten Ausstellung in der neuen Kunsthalle, den Imperativ verstanden wissen. Die Leuchtschrift ist eine Arbeit des chilenischen, in New York lebenden Künstlers Alfredo Jaar, die er bereits mehrfach gezeigt hat und die in jedem Kontext anders verstanden werden kann – eine zweideutige, aber fröhliche Hommage an die Ungewissheit. Tatsächlich ist die neue, auf vorerst drei Jahre angelegte Kunsthalle in diesem Gebäude ein Projekt der tausend Möglichkeiten. Ein sechsköpfiges Team um Katja Pfeiffer, Professorin für Kunst an der Bergischen Universität Wuppertal, stellt sich unerschrocken den Herausforderungen.
Die Ruhmes- und Kunsthalle entstand ab 1897 in historistischem Stil, mit dem Geld der stolzen Bürger der damals noch selbstständigen Stadt Barmen und zu Ehren des Kaisers. Einzelausstellungen zu Franz Marc, Alexej von Jawlensky und Emil Nolde sowie die Werke von August Macke machten Wuppertal in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer Hochburg des Expressionismus, der damaligen Gegenwartskunst.
Bloß keine Ehrfurcht vor hoheitlicher Architektur, lautete das Motto beim Wiederaufbau der im Krieg stark zerstörten Halle. Die sozialdemokratisch regierte Stadt eröffnete das Gebäude als »Haus der Jugend« neu, brachte Stadtteilbibliothek und ein Veranstaltungszentrum dort unter. Das Konzept funktionierte, junge Menschen gingen ein und aus – nur die Ausstellungsflächen in der zweiten Etage, eine Dependance des Von der Heydt-Museums, zog immer weniger Publikum an. 2020 war dann ganz Schluss mit der Kunst in der Kunsthalle.
»Ich kenne die Räume seit meinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Als ich hörte, dass sie nicht mehr bespielt werden, war ich fassungslos. Dass ich nun die Chance habe, dieses Potenzial zu heben, ist ein Geschenk«, sagt Katja Pfeiffer. Ein »Gravitationszentrum für zeitgenössische Kunst« möchte sie aus dem Ort machen – »das hat Wuppertal bislang nicht«. Die Bergische Universität ist Trägerin der Kunsthalle; beteiligt ist die komplette Fakultät Kunst und Design mit den Studiengängen Kunst, Industrial Design sowie Mediendesign und Raumgestaltung. Für Pfeiffer, die überwiegend angehende Kunstpädagog*innen ausbildet, ist die Kunsthalle eine einzigartige Chance, Kuratieren und Kunstvermittlung zu verweben. »Wie geht kulturelle Bildung in und mit dieser Stadt? Daran wollen wir spielerisch und experimentell arbeiten.« Die Vermittlung sei dabei nicht darauf beschränkt, die Kunst zu erklären, im Gegenteil: Sie werde von Anfang an mitgedacht.
Überraschungen im Alltag
Wie also soll es gelingen, die Nutzer*innen der Stadtteilbibliothek nach oben zu locken, die shoppenden Passant*innen zu einem Abstecher zu verleiten, die Kunsthalle zum Treffpunkt für Studierende zu machen und auch das klassische Kunstpublikum mitzunehmen?
Isabelle Meiffert, Gastprofessorin an der Bergischen Universität, will die Menschen im Wortsinn vor dem imposanten Eingangsportal abholen: »Shared Spaces«, die erste Ausstellung, beginnt schon auf dem Vorplatz. Der liegt zwischen Bundesstraße 7 und Fußgängerzone, hat einige Bäume, Bänke und Mülleimer – aber bislang kaum Aufenthaltsqualität. »Ich bin Fan davon, Menschen in ihrem Alltag zu überraschen«, sagt Meiffert. Das dürfte mit einer Schwitzjurte gelingen, die das Künstlerkollektiv Baltic Raw Org (BRO) aus Hamburg aufbaut – eine Sauna mit Bar, an der man Heilwasser trinken, Atemübungen absolvieren und 20 Minuten lang schwitzen kann. »Mit der Kleidung fallen Hierarchien«, hofft Katja Pfeiffer.
Unhierarchisch soll es auch an einem temporären Brunnen zugehen, der eigens für die Ausstellung entsteht – direkt neben Bismarck-Denkmal und Ruhmeshalle, aber weit weniger repräsentativ. Der sprudelnde »Fountain of knowledge« des Berliner Künstlers Raul Walch lädt dazu ein, sich an den hölzernen Rand zu setzen und beim Blick aufs Wasser zu reflektieren – im doppelten Wortsinn.
Wer derart eingestimmt in Richtung Portikus und durch den Eingang schreitet, macht einen Zeitsprung und findet sich in einem Kultur- und Jugendzentrum der 60er Jahre wieder – innen erinnert nichts mehr an Ruhm und Kaiser. Ein von Studierenden neu gestaltetes Leitsystem lockt die Treppe hinauf zur eigentlichen Kunsthalle – ein klassischer, 400 Quadratmeter großer White Cube, bestehend aus fünf Räumen mit Oberlicht. Neun hochformatige Monitore begrüßen im ersten Raum: Überlebensgroß zu sehen sind Nachrichtensprecher*innen, aufgenommen in einem Moment, in dem sie abwartend schweigen – eine Arbeit des Berliners Heiner Franzen, die, so Meiffert, auch ohne Kunsterfahrung funktioniert.
Blitze im Kopf
In einem Museum in Australien entdeckte die Kuratorin die immersive Lichtinstallation der kroatischen Künstlerin Ivana Franke: Um sie zu erleben, muss man die Augen schließen, während LED-Lichter in einer bestimmten Frequenz blitzen. Die Farben, Muster und Bilder, die in den Köpfen entstehen, sind so individuell wie die Menschen.
Eine Foto-Strecke des Künstlers Isaac Chong Wai (Jahrgang 1990) dokumentiert eine Performance, die in diesem Jahr auf der Biennale in Venedig (bis 21.11.) zu sehen ist: Fünf Tänzer*innen asiatischer Herkunft zeigen eine scheinbare endlose Bewegung des Fallens und Wieder-Aufstehens – eine Arbeit in Reaktion auf Rassismus-Erfahrungen, die auf die Stärke des Zusammenhalts verweist.
Ein ganzer Raum ist dem LAB vorbehalten, dem Vermittlungslabor, in dem die Besucher*innen auch werken können. Vorbild dafür sind unter anderem Upcycling-Möbel, die die Industrial Designer der Wuppertaler Uni bereits aus Sperrmüll und Zurrgurten entworfen haben.
Die Bergische Universität stellt das wissenschaftliche Personal und die Verwaltung für das Experiment, Träger einer Kunsthalle zu sein – das Geld für die Kunst muss das Team selbst besorgen. Und so ist Isabelle Meiffert nicht nur als Kuratorin, sondern auch als Funding-Managerin unterwegs. Für die erste Schau hat es knapp geklappt, drei Ausstellungen sollen es im kommenden Jahr werden. Die nächste entsteht in Kooperation mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dann geht es um das Thema Pilze.
»Shared Spaces«, Kunsthalle Barmen, 18. Oktober bis 11. Januar 2025