Ruhrtriennale: Łukasz Twarkowskis Performance »Respublika« ist immersives Theatererlebnis und soziales Experiment.
Am Ende von Łukasz Twarkowskis die Grenzen des Theaters sprengender Inszenierung »Respublika« steht ein Rave. Für anderthalb Stunden können sich Zuschauer*innen und Akteure auf einer Tanzfläche gemeinsam im selben Rhythmus verlieren. In den gut vier Stunden zuvor erleben wir die Rekonstruktion eines sozialen Experiments mit. Dafür verwandelt sich die Jahrhunderthalle in den Nachbau einer Waldkommune, in der eine Aussteiger-Gruppe versucht, dem Diktat des Kapitalismus zu entfliehen.
kultur.west: Herr Twarkowski, mit Ihrer sechsstündigen Performance führen Sie das Publikum auf ungewohntes Terrain…
TWARKOWSKI: Ja. Die Inszenierung wandelt fortwährend auf einer Grenze. Fiktion und Wirklichkeit lassen sich nicht eindeutig voneinander trennen. Das Ensemble präsentiert eine Rekonstruktion von Ereignissen, die sich fünf Jahre zuvor ereigneten, als diese Gruppe gemeinsam für ein Jahr in den Wald gegangen ist. Das Publikum erlebt dies mit und kann in bestimmten Situationen und an einzelnen Punkten selbst Teil des Geschehens werden. Die Trennlinie zwischen Vergangenheit und Gegenwart löst sich auf ebenso wie die zwischen Spiel und Realität. Die Idee dahinter ist, dass das Publikum Teil unserer Gemeinschaft wird und sich ein anderes Leben vorstellen kann.
kultur.west: Klingt das nach einer Verpflichtung zum Mitspielen?
TWARKOWSKI: Eine Idee steht über dem gesamten Projekt: Es gibt keinen Druck. Niemand ist verpflichtet, alles zu verfolgen oder alles mitzubekommen. Die Zuschauer*innen haben von Anfang an verschiedene Möglichkeiten der Teilnahme. Es gibt zwar keine klassischen Zuschauerreihen, aber Plattformen, die erlauben, alles von einer erhöhten Position aus zu betrachten. Von dort aus sieht man die Performance als live entstehenden Film, der auf zwei Leinwände projiziert wird. Auch während des Schlussteils der Inszenierung, dem Rave, lässt sich das Ganze aus der Distanz verfolgen. Dabei eröffnet sich ein besonderer Blick: als ob man von einem Hügel aus auf eine im Tanz vereinte Gemeinschaft blickt.
kultur.west: Während Sie an »Respublika« arbeiteten, begann die Pandemie. Hat die Produktion dadurch eine andere Bedeutung bekommen?
TWARKOWSKI: Unsere große Befürchtung ist, dass die zur Eindämmung des Corona-Virus ergriffenen politischen Maßnahmen gewaltige, lang’ nachwirkende Folgen für die Kunst und unser Leben im Allgemeinen haben werden. Sie stärken konservative und letztlich auch äußerst rechte Positionen. Die Einschränkung sozialer Kontakte und die Furcht davor, Flüssigkeiten und anderes mit anderen Menschen auszutauschen, schaffen ein konservativeres Klima innerhalb der Gesellschaft. Etwas, das den Ideen und Absichten unserer Arbeit entgegensteht.
kultur.west: Hilft Theater, diese Wendung zum Konservativen wieder rückgängig zu machen?
TWARKOWSKI: Eine der schönsten Erfahrungen für uns ist, wenn nach einer Vorstellung Zuschauer*innen sich bei uns bedanken, weil sie für diese sechs Stunden das Gefühl hatten, Teil einer größeren Community gewesen zu sein. Dieses Gefühl ist in unserer heutigen Zeit so selten. Meistens fühlen wir uns fremd und entfremdet. Wir haben kaum einmal den Eindruck, etwas verändern zu können. Dafür müssen wir wie in »Respublika« in einem Raum sein, der Alternativen zum gesellschaftlichen Status quo eröffnet. Insofern kann die Inszenierung ein wenig Hoffnung geben.
Zur Person
Der 1983 geborene Theatermacher und Videokünstler Łukasz Twarkowski verbindet in seinen Arbeiten Theater, Film, Musik und Bildende Kunst zu immersiven Performances. Für seine 2017 am Nationaltheater in Vilnius entstandene Inszenierung »Lokis« hat er das »Goldene Kreuz«, Litauens höchste Theaterauszeichnung, erhalten.
»Respublika«, Premiere: 9. September, Auff.: 10., 15., 16. & 17. September, Jahrhunderthalle Bochum. Am 17. findet im Anschluss an die Vorstellung ein Rave statt: »The Third Room X Respublika«.