Schloss Moyland gehörte lange zu den Sorgenkindern der NRW-Kultur. Doch ausgerechnet während der Corona-Krise kommt Bewegung in den wichtigsten Beuys-Standort des Landes.
Am 2. Mai soll die große Jubiläumsschau eröffnen, die das Museum auf Schloss Moyland dem ganz und gar Unvergleichlichen zu seinem 100. Geburtstag widmet. »Joseph Beuys und die Schamanen« befasst sich mit einer Facette des Künstlers, die von den einen schon immer mit tiefer Inbrunst verehrt, von den anderen stets mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert wurde: Beuys hatte einen Hang zum Esoterischen, das vieles von seinem Werk überhaupt erst erklärlich macht, in Teilen aber auch verrätselt und etwas entrückt erscheinen lässt. Dass seine Fanschar ihn auch den »Heiligen Jupp vom Niederrhein« nannte, kam nicht von ungefähr. Es sei Beuys auch um »die Überwindung von Gegensätzen wie Ratio und Intuition« gegangen, schreiben die Kuratorinnen Barbara Strieder und Ulrike Bohnet sehr treffend im Ausstellungstext.
Dieses Gegensatzpaar hat auch in der Geschichte der Stiftung Schloss Moyland eine nicht ganz unwesentliche Rolle gespielt, und das eigentlich sogar schon vor ihrer Gründung im Sommer 1990. Die war nämlich vor allem das Ergebnis eines extrem schlechten Gewissens des früheren NRW-Wissenschaftsministers Johannes Rau, der dem renitenten Großkünstler Joseph Beuys 1972 den Professorenstuhl vor die Tür der Düsseldorfer Kunstakademie gestellt hatte. In der Folge kam es zu Hungerstreiks unter Studierenden, und der legendäre Slogan »1000 Raus ersetzen keinen Beuys« entstand (harte ideologische Auseinandersetzungen an Universitäten sind mitnichten eine Erfindung der Generation Z).
Als Joseph Beuys dann 1986 im Alter von erst 64 Jahren starb, hatte er sich zwar den Professorentitel und »sein« Atelier 3 in der Kunstakademie zurück erstritten, genauer gesagt: vor Gericht vererglichen, seine Ideen zur grundsätzlichen Akademiereform aber nicht umsetzen können. Den nicht nur öffentlich stets menschelnden Johannes Rau, mittlerweile Ministerpräsident des Landes, trieb der frühe Tod von Beuys auch wegen seiner Mitwirkung an dessen Demissionierung um. Das sei, glauben nicht wenige Beobachter*innen jener Zeit bis heute, ein wichtiger Auslöser für die Gründung der Stiftung Schloss Moyland 1990 gewesen.
Dabei musste es aus vielerlei Gründen ruckzuck gehen, weshalb die Formalien mit extrem heißer Nadel gestrickt wurden. Das trifft vor allem auf den Stiftungsvertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, der Familie Steengracht, die das Schloss samt zugehörigem Park einbrachte, und den beiden Brüdern van der Grinten zu, die Beuys schon seit ihrer Jugend kannten und seine wichtigsten Sammler waren: Bis zu 6500 Kunstwerke und unzählige Archivalien überführten sie in die Stiftung (eine vollständige Inventarliste wurde nie erstellt). Das Land verpflichtete sich im Gegenzug nicht nur, den künftigen Betrieb von Archiv, Museum und Park quasi alleine zu finanzieren, sondern auch dazu, dass alle Entscheidungen im dreiköpfigen Vorstand des Stiftungskuratoriums einstimmig gefällt werden mussten.
Ständiges Stühlerücken im Vorstand
Dieser Grundsatz hat spätestens seit der Eröffnung des Hauses 1997 für so manche Kraft- und Machtprobe gesorgt, fast immer zwischen den van der Grintens auf der einen Seite und dem Rest der Beteiligten auf der anderen. Oft ging es um die künstlerische Leitung. Der erste Direktor erlebte nicht mal seinen Amtsantritt, der nächste ging nach einem Jahr. In Kuratorium, Vorstand und Förderverein gab es ständig Stühlerücken. Irgendwann wurde die langjährige Pressesprecherin und dann Leiterin des Archivs, die ausgewiesene Beuys-Expertin Bettina Paust, zur Direktorin befördert. Das blieb sie zwar für die vertraglich vereinbarten sieben Jahre, doch vor allem ihre Modernisierung der Ausstellung führte zu großen Verwerfungen. Eine der berühmten Petersburger Hängung nicht ganz unähnliche Variante des dicht-an-dicht präsentierten Beuys-Werkes galt bei den van der Grintens als sakrosankt, doch Paust sorgte für eine zeitgemäße und luftige Präsentation. Das führte schließlich zum Eklat. Gerhard van der Grinten, aus der zweiten Generation der Stifterfamilie, wurde irgendwann sogar von der Stiftungsaufsicht des Landes als Sprecher des Vorstandes abgesetzt. Doch das Vetorecht der Familie blieb, so dass der auslaufende Direktorinnen-Vertrag von Paust nicht verlängert wurde. Es folgten zähe Auseinandersetzungen vor Gericht.
Wenn man in den Jahren nach 2010 auf dem Flur des Kulturministeriums in Düsseldorf laut »Moyland« sagte, erstarben umgehend alle Gespräche und die in der Nähe Stehenden verschwanden entweder fluchtartig in ihre Büros oder gleich über die Treppen ins Freie (immerhin 14 Etagen tiefer). Es war fast wie derzeit mit dem Virus: Nicht mal in Aerosol-Kontakt wollte man kommen mit dem scheinbar verfluchten Ort am Niederrhein. Die Ministerinnen Ute Schäfer und Christina Kampmann (beide SPD) verzweifelten regelmäßig an den strukturellen Konfliktlinien. Neben den van der Grintens sorgte auch die Witwe des Künstlers, Eva Beuys, immer wieder für juristische Auseinandersetzungen. Sie hält das Urheberrecht an einer Vielzahl der mitunter ikonischen Abbildungen und Fotografien ihres verstorbenen Mannes als Person, aber auch von seinen Aktionen. Irgendwann musste im Kulturministerium ein jährlicher Wechsel der Zuständigkeit eingeführt werden, weil jede*r, die oder der das mal machen musste, nach kurzer Zeit am Ende von Geduld und Kraft war.
Professionell wie besonnen: Franz Rudolf van der Grinten
Bei ihrem Amtsantritt Mitte 2017 hatte Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) einige komplexe Baustellen übernommen, doch Moyland galt bei allen als der schwerste Fall. Nach einiger Zeit traten dann neue handelnde Personen auf den Plan: Im Ministerium übernahm mit Claudia Determann eine Fachfrau, die gerade erst in die Kulturabteilung gewechselt war und juristisch versiert, aber unbelastet von der Vorgeschichte ins Thema eintauchte. Im dreiköpfigen Stiftungsvorstand vertritt mittlerweile Harry Schmitz, der Kaufmännische Direktor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast, die Interessen des Landes. Und mit dem Kölner Galeristen Franz Rudolf van der Grinten ist auf der anderen Seite ein ebenso professionell wie besonnen vorgehender Sohn des im letzten November verstorbenen Sammlers Franz Joseph zurzeit sogar wieder der Sprecher des Gremiums. 2019 wurde dann mit der versierten Kulturmanagerin Julia Niggemann endlich eine neue Verwaltungsdirektorin gefunden. Gleichzeitig steckte das Land endlich Geld in überfällige bauliche Modernisierungen: Vor allem Depots werden derzeit renoviert, moderne Belüftungssysteme installiert. Über 8000 Kunstwerke der Sammlung haben die Restaurator*innen jüngst akribisch gesäubert. Und der großzügige Schlosspark wird wieder dem Urzustand angenähert, samt historischer Sichtachsen. So wird auch von außen für alle sichtbar, dass es hier wieder nach vorne geht. Der intern größte Erfolg allerdings ist an dem Lächeln abzulesen, mit dem Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen auf Nachfragen zur internen Zuständigkeit reagiert: Referatsleiterin Determann hat mittlerweile mehrfach abgelehnt, das Projekt wieder abgeben zu können.
Wer übernimmt die künstlerische Leitung?
Personalien bleiben trotzdem ein Thema: Eine Organisationsuntersuchung der Münchner Kulturberatung actori hat ergeben, dass der Stellenplan auf Moyland zu knapp bemessen ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Kulturministerin Pfeiffer-Poensgen sagte kultur.west dazu: »Moyland soll ein im weitesten Sinne interessanter Ausstellungsort sein, den Menschen auch besuchen, weil der Park und die ganze Anlage so herrlich sind. Und es soll ein für die Erforschung des Werkes von Joseph Beuys interessanter Ort werden.« Das wird nach Ansicht der Experten mittelfristig mehr Geld kosten als die aktuell drei Millionen Euro, die das Land bisher jährlich für den Betrieb bereitstellt. Düsseldorf scheint auch dazu bereit zu sein, nicht zuletzt mit Blick auf die vielleicht wichtigste Entscheidung für die nähere Zukunft Moylands: Wer wird nach fünf Jahren der Vakanz bzw. des Interims die künstlerische Leitung übernehmen? »Das Haus hatte durch die schwierigen Vorzeiten einfach nicht die Attraktivität für manch interessante künstlerische Leiterin oder Leiter. Darüber werden wir aber im Laufe des Jahres hoffentlich entscheiden können«, sagt Pfeiffer-Poensgen im Interview. Durch die Entwicklung der jüngeren Zeit fühlt man sich jetzt gerüstet, nach der nächsten Kuratoriumssitzung im Juni soll die Ausschreibung erfolgen. Die Ministerin äußert die Hoffnung, dass die oder der nächste Direktor*in 2022 anfangen wird. Gerade die begehrtesten Kandidat*innen für solche Jobs sind allerdings oft nicht sofort verfügbar.
So scheint ausgerechnet jene Bürokratie den bedeutendsten Ort der Erinnerung an Joseph Beuys und sein Werk in eine bessere Zukunft zu führen, die der Künstler so sehr hasste. Damit würde pünktlich zu seinem 100. Geburtstag auch ein Satz widerlegt, den er bei seiner documenta-Teilnahme 1972 prägte: »Die Kunst ist in einer Krise. Alle Gebiete sind in einer Krise.« Moyland jedoch ist gerade auf dem besten Weg heraus.
»Joseph Beuys und die Schamanen«
2. Mai bis 29. August 2021