Zum 25. Jubiläum des Felix-Nussbaum-Hauses beschäftigt sich eine Ausstellung mit dem Widerstand in der zeitgenössischen Kunst.
Das Ende steht am Anfang. 1944 malt Felix Nussbaum die Apokalypse aus seiner Sicht: Musizierende Skelette tanzen auf einem Schutthaufen aus Filmrollen, Noten und Mikroskopen, auf der Schneiderpuppe seiner Frau oder dem Auto seines Vaters. Der jüdische Künstler (1904-1944) ahnt, dass seine Situation ausweglos ist – nur wenige Wochen später werden Nussbaum und seine Frau, die Malerin Felka Platek, von der Wehrmacht verhaftet und in Auschwitz ermordet.
Das ikonische Werk des Osnabrücker Künstlers ist der Ausgangspunkt für eine Ausstellung, die nichts weniger als Kunst unter Druck, die widerständige Kraft der Kunst zeigen will: »#nichtmuedewerden« haben das Kuratorenteam um Alejandro Perdomo Daniels, Anne Sibylle Schwetter und Maren Koormann die Jubiläumsschau genannt, die zum 25-jährigen Geburtstag des Felix-Nussbaum-Hauses gezeigt wird – und zugleich in das Festjahr zu 375 Jahren »Westfälischer Frieden« fällt. Zwei denkwürdige Anlässe, um von Nussbaums Werk ausgehend einen Bogen bis zu Positionen von heute zu schlagen. Mit Arbeiten von internationalen Künstler*innen wie Yael Bartana, Candice Breitz, Petrit Halilaj, Hiwa K oder Ariel Reichman, die wie Nussbaum die Themen Flucht und Vertreibung, Rassismus, Diskriminierung, Gewalt oder Entmenschlichung bearbeiten.
Dass ausgerechnet ein Zitat von Felix Nussbaum der Ausstellung einen Arbeitstitel gibt, ist natürlich kein Zufall: »Ich wehre mich und werde nicht müde« – der Satz ist programmatisch für den unerschütterlichen Glauben des in Osnabrück geborenen Künstlers in die Kraft der Kunst. Ihnen haben die Kurator*innen nun zeitgenössische Arbeiten wie »Gesprächspartner« gegenübergestellt, die Nussbaums unerschütterlichen Glauben an die Kunst bis heute reflektieren. Denn nicht wenige der aktuellen Künstler*innen kämpfen ihrerseits mit den Mitteln der Kunst gegen Ungerechtigkeiten. Zeigen Missstände auf, werben für Reflexion und Empathie. Wie etwa Francis Alÿs, der mit »1943 (2012)« eine Arbeit über die Rolle von Künstler*innen in Zeiten des Krieges zeigt. In Form eines Prosagedichts, das eine Liste bemerkenswerter Avantgarde-Künstler*innen zusammenfasst – darunter auch Felix Nussbaum. Dan Perjovschi wird wiederum eine Wand mit seinen denkwürdigen Zeichnungen gestalten – und dabei auch auf den Westfälischen Frieden Bezug nehmen.
Berühmtes Selfie
Zu sehen ist auch eines der wohl bekanntesten Selfies der jüngsten Kunstgeschichte: 2014 war Ai Weiwei von Staatsbeamten festgenommen worden, hatte den Moment des Abführens allerdings öffentlich gemacht: Chinas wohl berühmtester zeitgenössischer Künstler fotografierte sich dabei, wie ihn die Beamten in einen Aufzug quetschten. Auf dem Weg ins Gefängnis. Kurze Zeit später ging sein Selfie um die Welt – und machte sichtbar, was der Öffentlichkeit eigentlich verborgen bleiben sollte. Wie weit die Bandbreite der gezeigten Arbeiten ist, macht Mona Hatoum deutlich, deren Kunst oft sehr sinnlich ist: Sie wird »Impenetrable« ausstellen, einen zarten, hängenden Kubus, der trotz seiner leichten und luftigen Struktur den Ausstellungsraum physisch in Besitz nehmen dürfte. Denn der schwebende, minimalistische Corpus besteht aus scharfem Stacheldraht.
Am Ende der Ausstellung wartet eine interaktive Installation von Andreas Angelidakis auf die Besucher*innen: »Post Ruin (Pink) (2019)« besteht aus ruinenhaften Architekturteilen, die mit Schaumstoff gefüllt sind – und dazu einladen, Neues entstehen zu lassen. In einem Raum des Austauschs. »Gemeinsames Grundthema aller Werke ist das menschliche Miteinander«, fasst es Nils-Arne Kässens zusammen. Er leitet das Museumsquartier Osnabrück, zu dem das Nussbaum-Haus mit seiner eindrücklichen Architektur gehört: Daniel Libeskind hatte das Kunsthaus als begehbare Skulptur konzipiert, durch das sich die Besucher*innen wie durch eine Spirale fortbewegen, die sich in die Höhe dreht. Ein labyrinthisches »Museum ohne Ausgang«, das Gefühle von Zerrissenheit, zunehmender Enge und ansteigender Orientierungslosigkeit baulich sichtbar und räumlich erfahrbar macht – und in dem an der höchsten Stelle der »Triumph des Todes« wie in einer Sackgasse wartet. Allerdings, um die Besucher*innen zum Umkehren zu bewegen – und zum (Mit)fühlen, (Mit)denken und (Mit)handeln.
10. September bis 7. Januar 2024