Ein Haus für Gerhard Richter in Köln, ein Fotozentrum für Düsseldorf – die Kulturlandschaft in NRW soll immer weiter wachsen, wenn es nach dem Willen einiger Politiker geht. Ein Kommentar.
»Wie viele Platten wollt ihr denn noch kaufen?« Mein Mitbewohner Tom stand vor dem coolsten Plattenladen Essens, unten auf der Viehofstraße, und brüllte durch ein Schaufenster das musiksüchtige Volk drinnen an. Einerseits waren wir BFBS-Dauerhörer Mitte der 80er Jahre total wild auf den ganzen heißen Scheiß aus London oder Manchester. Andererseits stellte sich selbst Vinyl-Junkies wie uns irgendwann die Frage: Machte das eigentlich Sinn, mit The Clash und Tracey Ullman nicht nur gegen Thatchers Neoliberalismus, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt anzusingen, aber gleichzeitig der Plattenindustrie die damals noch Deutsche Mark schubkarrenweise in den Rachen zu schütten? Nein, machte es nicht.
Daran musste ich denken, als während der Sommerferien Kölns früherer Oberbürgermeister Fritz Schramma seiner Nach-Nachfolgerin Henriette Reker im Express anempfahl, dem in seiner Wahlheimatstadt bislang angeblich frevelhaft unter Wert geschätzten Gerhard Richter jetzt aber mal zügig ein eigenes Museum anzubieten. In der einstigen römischen Provinzhauptstadt Nieder-Germaniens wirkt die Antike mental ja bis heute nach: Köln gilt immer noch als nördlichste Großstadt Italiens. Entsprechend schlugen die Wogen des Palavers sofort hoch, wenn auch nur kurz. Erst erklärte Reker, dass sie längst an Richter dran sei, der sich aber nachhaltig reserviert zeige. Dann sagte der 87-jährige Meister via Deutschlandfunk und dpa höchstpersönlich öffentlich ab: Er »brauche kein eigenes Haus«. Selbst das wollten ein paar ganz Verwegene aus dem Schramma-Lager im Nachgang noch zu einem Signal seiner eigentlichen Bereitschaft umdeuten… ach ja, Köln.
Das könnte man alles einfach nur lustig finden, offenbarte sich dahinter nicht ein bemerkenswertes Aus-der-Zeit-gefallen-sein des Kulturbereichs. Als würde es die sonst allgegenwärtige Debatte um Klima, Verkehr und unser Wirtschaften als Ganzes nicht geben, als kennten die Szene und ihr politischer Arm weiter nur eine Denkrichtung: mehr, mehr, mehr. Ein Richter-Museum in Köln, ein Fotozentrum in Düsseldorf und vielleicht fehlt ja irgendwo in NRW noch ein Konzertsaal – außer in Bonn, wo sie das auch schon nicht in time and money auf die Reihe kriegen.
Man fragt sich allen Ernstes, ob die Verantwortlichen in Kultur- und Kunstinstitutionen, aber auch in den Fachausschüssen der Stadt- und Landesparlamente eigentlich den Schuss nicht gehört haben: Selbst in der vergleichsweise wohlhabenden Landeshauptstadt Düsseldorf fällt die Bühnentechnik der Oper laufend aus, das Vordach des Gebäudes muss provisorisch abgestützt werden. Gleichzeitig gibt es dort für eine mindestens dreistellige Zahl früherziehungswilliger Kinder mangels Raum und Lehrpersonal nicht mal einen Platz in der Musikschule. Doch statt das selbst hier nicht unendlich vorhandene Geld in den Erhalt der vorhandenen Substanz zu stecken, muss jetzt natürlich ganz dringend noch ein üppig ausgestattetes Fotozentrum her – und eine neue Oper sowieso.
An allen Stadttheatern NRWs von Aachen bis Oberhausen wüssten die Intendantinnen aus dem Stand viele Millionen Euro in ihre Gebäude zu stecken und würden sich damit doch nur gerade mal dem fortschreitenden Verfall ein bisschen entgegenstemmen. Auch viele Bibliotheken im Land sehen aus wie in einer 70er-Jahre-Zeitschleife stecken geblieben. Beinahe allen Museen mangelt es an genügend geeigneten Depot- und Restaurierungsräumen; von zeitgemäßer Klima- oder Ausstellungstechnik ganz zu schweigen. Free W-LAN? Tja, später, mal sehen, die Kosten, Sie wissen schon… Es ist höchste Zeit sich zu fragen, wann die in Theaterstücken, Romanen und Bildender Kunst seit Jahrzehnten allgegenwärtige Kritik an der Wachstumsideologie und der gleichzeitige Ruf nach Nachhaltigkeit endlich aus der Sphäre der Kunst auch in die Köpfe der Akteurinnen und Entscheider*innen des Kulturbetriebes vordringen. Verdammt noch mal: Wie viele Platten wollt ihr denn noch kaufen?