Clemens Walter ist künstlerischer Leiter des Medienkunstfestivals FUTUR 21. Ein Gespräch mit dem Videokünstler über den Geist alter Orte und Zukunftslabore.
Seine Filmarbeiten hat er schon auf Festivals in Buenos Aires, New York, Paris, Tokio oder auf der Berlinale präsentiert. Clemens Walter wird oft für seine außergewöhnlichen Videoprojektionen engagiert, die er an den Schauspielhäusern in Düsseldorf, der Schaubühne in Berlin oder am Staatsschauspiel Dresden zeigt. Nun ist er in eine neue Rolle geschlüpft: Als künstlerischer Leiter des FUTUR 21-Festivals setzt er gleich 16 Industriemuseen neu in Szene. Was ihn an seiner neuen Aufgabe reizt? Und was sie von seiner bisherigen Arbeit in Museen und Theatern unterscheidet? Ein Gespräch über die Frage, wie man Historisches mit Reality-Games und Audio-Walks verbindet und den Reiz von Orten, die so ihre ganz eigenen Gerüche verströmen.
kultur.west: Herr Walter, worum geht es bei FUTUR 21?
WALTER: Um die großen, brennenden Fragen der Gegenwart: Wie gehen wir in Zukunft mit Energie um? Wie mit den nötigen Ressourcen? Wie erreichen wir Nachhaltigkeit? Und wie wird künftig unsere Arbeitswelt aussehen? All diese große Zukunftsfragen stehen aktuell im Raum und müssen diskutiert werden. Mit dem Medienkunstfestival FUTUR 21 leisten LVR und LWL einen gemeinsamem Beitrag zu dieser Diskussion, der ebenso umfangreich wie spannend ist.
kultur.west: Was ist das Besondere?
WALTER: Wir verwandeln die 16 Industriemuseen der beiden Landschaftsverbände in temporäre Zukunftslabore. Insgesamt 32 künstlerische Arbeiten werden dort zu sehen und zu erleben sein. Die beteiligten Künstler*innen umfassen ein weites Spektrum. International bekannte Namen finden sich ebenso im Programm wie regionale Newcomer. Das Spektrum der gezeigten Arbeiten reicht von Fassadenprojektionen über Video-Installationen bis hin zu interaktiven Mixed-Reality-Games und Audio-Walks. Viele Arbeiten stehen dabei in direktem Dialog mit dem Publikum. Das heißt: Bei vielen Formaten ist Mitmachen erwünscht oder sogar Bestandteil des Kunstwerks. Außerdem, und das ist das wirklich Besondere: Die Industriedenkmäler, in denen all das stattfindet, dienen nicht als bloße Kulisse. Alle Künstler*innen haben versucht, den Geist dieser alten Orte aufzusaugen und zum Teil ihrer Kunstwerke zu machen.
kultur.west: Sie selbst stammen ja eher aus dem klassischen »white cube«-Zusammenhang, den nüchternen Präsentationen von Kunstmuseen. Wie war Ihr erster Eindruck bei der Begegnung mit diesen Räumen?
WALTER: Das sind alles Orte mit wahnsinnig starkem Charakter. Manche riechen beispielsweise nach Holz, andere nach Maschinenöl. Und durch die Präsenz von Maschinen und anderen Relikten sind es bereits ‚besetzte‘ Orte im positiven Sinne. Den Orten fehlt zunächst nichts – es gibt aber viele Anknüpfungspunkte. Auch unsere Künstlerinnen und Künstler sind total beeindruckt, gerade die, die nicht aus der Region stammen. Woanders spielt Industriekultur eine viel geringere Rolle und ist seltener zu finden. Leider waren Corona-bedingt nicht alle direkten Begegnungen mit internationalen Gästen im Vorfeld möglich.
kultur.west: Wie passen Industriekultur und Kunst zusammen?
WALTER: Industriekultur und Kunst haben nicht zwingend etwas miteinander zu tun. Aber es sind alles Orte mit starkem Charakter, und tatsächlich sind sie prädestiniert für die Beschäftigung mit Zukunftsfragen. Denn es sind die Orte, die früher einmal selber für Innovation standen. Hier wurden neue Techniken erfunden, weiterentwickelt, erprobt und angewendet – allerdings unter anderen Bedingungen als den heutigen.
kultur.west: Was hat Fortschritt damals bedeutet und was bedeutet er heute?
WALTER: Das Verständnis für Themen wie Energie und Ressourcen war früher schon da, aber die Motivation war eine andere. Gespart wurde Wasser beispielsweise früher schon, aber damals stand die Optimierung der Prozesse im Vordergrund, oder frisches Wasser war einfach knapp. Heute wird in erster Linie an ökologische Verantwortung gedacht. Auch die ersten Schornsteine stellten eine deutliche Verbesserung dar, weil sie die oft giftigen Gase über Siedlungen hinweg verteilten und damit die Lebensverhältnisse der Arbeiter und ihrer Familien verbesserten. Aber das bedeutete am Ende nur eine Verschiebung der Probleme an andere Orte. Solche Zusammenhänge sind uns heute in Zeiten der Globalisierung klar. Wir stellen die Fragen von damals daher heute neu und in der Regel in einem viel größeren Kontext.
kultur.west: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei FUTUR 21?
WALTER: Nachhaltigkeit, Ressourcenknappheit und Energiegewinnung lassen sich heute kaum mehr ohne den Hintergrund des Klimawandels sehen. Aber auch über Arbeit wurde hier schon viele nachgedacht, als in der Zeit des Strukturwandels viele der ehemaligen Industriestätten zu kulturellen Orten wurden, an denen gesellschaftlicher Wandel unübersehbar war. Wir bringen also aktuelle Fragen dorthin zurück, wo sie ihren Ursprung haben und immer schon diskutiert wurden.
kultur.west: Was wird von den Zukunftslaboren bleiben?
WALTER: FUTUR 21 stellt nicht nur die Fragen der Gegenwart in einen historischen Zusammenhang, sondern stellt sie auch an die Industriemuseen. Aus all den künstlerischen Arbeiten und Präsentationen lassen sich Erfahrungen ableiten, auf die ich schon sehr gespannt bin. Und: Jeweils eine der beiden gezeigten künstlerischen Positionen in jedem Museum wird dauerhaft bestehen bleiben, um den Impuls von FUTUR 21 auf diese Weise nachhaltig zu verankern. Was bleiben wird, ist daher in jedem Fall auch eine Beschäftigung der Museen mit den Themen Nachhaltigkeit, Energie, Arbeit und Ressourcen. Die Industriekultur ist gerade dabei, sich neu auszurichten – das forcieren wir auch mit FUTUR 21.
Zur Person
Clemens Walter arbeitet als Videokünstler und Filmeditor und lebt in Berlin. Die Ausbildung zum Diplom-Schnittmeister absolvierte er an der Filmuniversität Potsdam Babelsberg. Als Videokünstler arbeitet er nicht nur in Theatern, sondern auch in Museen: So entstand 2020 in Kooperation mit der Regisseurin Yael Reuveny Mseubin eine Videoinstallation für die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin.