In der Kiwi Musikbibliothek schreiben Thees Uhlmann, Tino Hanekamp, Frank Goosen oder Anja Rützel über ihre Lieblingsbands – die Beatles, Leonard Cohen, die Toten Hosen und Take That.
Jeder hatte sie damals, diese Wand voller Poster und Plakate, so dass man die Tapete nicht mehr sehen konnte. Filmplakate, lückenhafte Starschnitte (gut, ihr fehlte ein Bein und die linke Hand, aber egal, das Wichtigste hing). Sorgsam aus Magazinen herausgetrennte Fotos von Bands, Sänger*innen und Schauspieler*innen. Meist waren diese Poster in Petersburger Hängung sorgfältig kuratiert, um im Freundeskreis als geschmackssicher zu gelten. Wer wollte schon zu den Uncoolen gehören? Die echten Lieblingslieder wurden zu Hause gehört, ohne popkulturelle Rechtfertigung. Hätten wir damals schon Walter Benjamin gelesen, hätten wir sehr gelassen gewusst, dass »es Dinge gibt, die verdienen, dass man niemanden von ihnen überzeugt«.
Es lohnt sich aber dann doch, sich mit dem Musikgeschmack anderer Leute zu beschäftigen. Dümmer wird man davon sowieso nicht und es fördert die Toleranzflexibilität. Ein guter Ansatz dafür ist die Musikbibliothek, die der Verlag Kiepenheuer & Witsch herausgibt. Bekannte Autor*innen und Musiker*innen schreiben und schwärmen darin höchst subjektiv auf jeweils rund 100 Seiten über ihre Lieblingsband oder die Lieblingssänger*in.
Schmierstoffe der Gesellschaft
Thees Uhlmann bekennt sich zu den Toten Hosen. Vom ersten Konzerterlebnis als Schüler bis heute, quer durch die Jahrzehnte. Früher hätte man den guten Thees dafür auf dem Schulhof mit einem »Die Ärzte sind viel geiler!« beherzt in die Büsche geschubst, heute ist man nach der Lektüre versöhnt. Denn am Ende sieht Uhlmann, dass sich bei einem Hosen-Konzert 84.000 Menschen freuen: »Freuen, dass sie am Leben sind, dass sie gerade zuhören können, wie sich diese Band, die alle eint, durch 35 Jahre ihrer Songs prügelt. Und im Publikum sind zwischen Crust-Punks und Volksmusik-Ultras vor allen Dingen normale Menschen. Ich finde das wunderbar, und ich denke, dass das vielleicht einer der letzten Schmierstoffe der Gesellschaft ist.«
Der Schriftsteller Klaus Modick legt hingegen seine Huldigung an Leonard Cohen als kleinen Roman an. Über Lukas und Harry, die 1968 als Zwei-Mann-Combo über die Schulfeste tingeln, Beatles und Kinks covern, bis eines Tages nicht nur die Mitschülerinnen Gitte und Julia in ihr Leben treten, sondern auch Cohens geheimnisvolle »Suzanne«.
Frank Goosen schlägt mit seinem Buch über die Beatles bewährt im Bochum der 70er Jahre auf und ballert anfangs munter mit der Pop-Referenz-Kanone los: Beach Boys, Dieter Thomas Heck, Bob Dylan, Karel Gott, Stones, Freddy Quinn. Und natürlich seine Omma. Dazu erste Erfahrungen mit Mädchen und Musik. Letztere verfestigen sich, als sein Vater mit drei Beatles-LPs im Kinderzimmer steht. Für die Schwarzarbeit als Elektriker in einem Musikgeschäft hatte er kein Geld genommen, sondern zum Inhaber gesagt: »Gib mir lieber ein paar Platten für meinen Jungen!« Der Beginn eines lebenslangen Fan-seins, das Goosen später noch an die Originalschauplätze in Liverpool führen wird.
Unverwüstliche Liebe
Die Journalistin und Autorin Anja Rützel, ausgewiesene Expertin für Biber, Einsamkeit, Buffy the Vampire Slayer und Trash-TV (man lese jeden Januar mit Freude ihre Dschungelcamp-Tageszusammenfassungen bei Spiegel Online!), greift tief in die 90er Jahre und huldigt zurecht den Jungs von Take That. Sie vergleicht ihre Band-Liebe mit einem neuseeländischen Langflossenaal (»Sie ist langsam gewachsen und deshalb unverwüstlich«), ordnet die Musiker der »Boyband-Gemütsdiversifizierungsformel« unter (»süß/sensibel/sexy/lustig/auch dabei«), charakterisiert von Gary Barlow bis Robbie Williams alle mit wunderbarer, ironischer Zuneigung und macht aus den Postergesichtern echte Menschen. Es ist für den Leser zudem sehr befreiend, sich endlich zu Bands wie Take That bekennen zu können. Falls nötig. Und »Back for Good« für eine der schönsten Schmacht-Balladen der 90er zu halten. Anja Rützel bringt es auf den Punkt: »Take That sind meine liebsten Fluchthelfer aus dem schrundigen Alltag, und an manchen, seltenen Tagen glaube ich wirklich daran, dass das Leben so dramatisch und toll sein kann, wie ihre Musik behauptet. ›Could it be magic?‹ Möglicherweise.«
Kiwi Musikbibliothek:
Thees Uhlmann: »Die toten Hosen« / Tino Hanekamp: »Nick Cave« /Anja Rützel: »Take That« / Klaus Modick: »Leonard Cohen« / Sophie Passmann: »Frank Ocean« / Frank Goosen: »Die Beatles« / Lady Bitch Ray: »Madonna« (ab 8. April)
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2020
Lesungen mit Frank Goosen am 3. März im Theater am Ziegelbrand/Menden, am 4. März im Kulturzentrum A. Everding/Bottrop, am 17. März im Ebertbad/Oberhausen, am 18. März in der Zeche Carl/Essen und am 23. März in der Stadtbibliothek Duisburg. Weitere Lesungen im April und Mai.