Cristian Măcelaru hat seinen Vertrag als Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters um weitere drei Jahre verlängert – bis 31. Juli 2025. Was heißt es, ein Orchester zukunftsfähig zu machen? Ein Gespräch aus unserem kultur.west-Archiv.
Der erste Eindruck? »Entspannt.« Pause. Dann ergänzt er: »Sehr gut vorbereitet.« Pause. »Hungrig«. Mit diesen Eindrücken umschreibt Cristian Măcelaru die Mentalität seiner Musiker, als er ihnen erstmals gegenüberstand. Es war im Februar 2017, als Măcelaru seine Premiere beim WDR Sinfonieorchester gab, mit Musik von Avner Dorman und Strawinsky. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, ist er Chef des in Köln beheimateten Orchesters, frisch inthronisiert seit seinem Eröffnungskonzert Anfang September.
Er nun soll den Traditions-Klangkörper in neue Bahnen lenken. Der Rumäne wirkt wie ein von den Verantwortlichen bewusst auserkorener Kontrapunkt zu seinem Vorgänger, dem eher stillen Jukka-Pekka Saraste. Für Măcelaru, dem die Antworten (noch) in englischer Sprache nahezu druckreif über die Lippen kommen, war Kommunikation von klein auf ein Basis-Wert. Aufgewachsen im rumänischen Temeswar, wusste er sich als jüngstes von zehn Kindern früh Gehör zu verschaffen, auch musikalisch, denn jedes der zehn Kinder spielte ein Instrument. Obwohl Armut das Leben im Ceaușescu-unterdrückten Rumänien prägte, besonders im ländlichen Raum, und nach Schulschluss die Arbeit auf dem Feld kaum Freiräume bot, lieferte die Musik einen unersetzlichen Nährwert. »Ausbildung und kostenfreier Zugang zur Musik – das war das einzig Positive am damaligen System.«
Măcelarus Weg führte nicht nach Mitteleuropa, sondern zunächst in die Vereinigten Staaten, um sich dort als Geiger ausbilden zu lassen. Er wurde jüngster Konzertmeister in der Geschichte des Miami Symphony Orchestra und saß später im Houston Symphony Orchestra. Als Dirigent ist er in den USA inzwischen weit bekannter als hierzulande (noch) – Măcelaru gastiert regelmäßig bei den berühmten Orchestern von Chicago, New York und Philadelphia, wo er während drei Spielzeiten als »Conductor in Residence« engagiert war. Nun kehrt er »heim nach Old Europe«, auch weil die Arbeitsbedingungen gerade in Deutschland andere sind. »In Amerika stehen die Proben unter einem größeren Druck. Man hat weniger Zeit und muss umso schneller und effektiver sein, kann weniger ausprobieren. Es bleibt kaum Luft, um tief in die Musik einzudringen – das ist hier anders. Hier bietet sich mehr Raum, um Dinge entdecken zu können.«
Wenn Măcelaru dirigiert, pendeln seine Bewegungen zwischen besonnen und emphatisch, immer frei von billigen Effekten und ständig mit seinen wachen Augen hin- und her switchend zwischen Partitur und den Blicken seiner Musiker. Măcelarus musikalisches Credo zielt darauf ab, ein Orchester auf möglichst einfache, natürliche Weise spielen zu lassen. Aber wie? »Ich habe eine klare Rangfolge: An erster Stelle steht der Komponist, an zweiter das Orchester, an dritter ich.« Heißt, praktisch gesehen: »Zunächst versuche ich zu verstehen, was ein Komponist mitteilen möchte und wie er ausdrücken will, was ihn bewegt und in welcher Tradition er sich bewegt. Das versuche ich anschließend meinen Musikern zu vermitteln, damit sie daraus ihren eigenen Zugang zu dieser Musik ableiten und bereit sind, das Beste zu geben. Erst dann kann ich helfen und nachjustieren, um aus diesen Einflüssen eine Einheit zu formen, denn für das Publikum soll die Musik so klar und natürlich wie möglich klingen.«
Als Gast-Dirigent aufzutreten, bedeutet für Măcelaru davon abhängig zu sein, wie die Musiker gerade drauf sind. »Sie können einem Dirigenten enorm helfen, aber an einem weniger guten Tag auch Widerstände aufbauen. Als Chefdirigent hingegen kann ich dazu beitragen, dass sich ein Orchester langfristig entwickeln kann – und umgekehrt kann das Orchester auch mir helfen, mich zu verbessern.« Beim WDR soll er das Orchester ins digitale Zeitalter führen, wie es im offiziösen Sprachgebrauch heißt. Natürlich ist der Auftrag schwammig, das weiß auch Măcelaru, der sich ein bisschen wie in der Rolle eines Lotsen sieht: Er möchte vor allem den Inhalt und die Emotionen einer Musik vermitteln, die – weit überwiegend – aus vergangenen Jahrhunderten stammt. »Doch in der Klangsprache eines Haydn oder Mahler soll sich gleichzeitig unser Leben von heute spiegeln. Wir können das Publikum, egal ob alt oder jung, motivieren, die Bedeutung dieser Musik besser zu verstehen.« Das ist eine Frage von Hörgewohnheiten, von Balance, von Ausdauer, von Zeit – und zunehmend eine Frage der Medien. Streaming, Videos, Podcasts. Vieles ist denkbar. Noch liegen nicht alle Pläne konkret auf dem Tisch, aber wenn man Măcelaru aufmerksam zuhört, wird schnell klar, dass für ihn vermitteln nicht überstülpen bedeutet. Er wirkt vielem gegenüber offen, solange das Fundament, die Musik selbst, nicht ächzt oder Gefahr läuft, sich zu verbiegen. Programme entwickeln und umsetzen, das ist für ihn auch eine Frage der inneren Haltung und gleichzeitig ein Gesellschaftsauftrag, den er bereitwillig annimmt. Auch diese Gedanken schwingen mit, wenn er von einer Heimkehr nach Europa spricht…
(Hinweis: Der Text ist am 19. September 2019 erschienen)