Die Kunsthalle Osnabrück wird 30 und lässt zu ihrem Jubiläum ein prominentes Gebäude von documenta-Künstler Ibrahim Mahama verhüllen.
Geschenke zum Auspacken gibt es in diesem doppelten Jubeljahr keine. Stattdessen wird eingepackt. Den Sommer über soll die ehemalige Dominikanerkirche, wo die Kunsthalle seit ihrer Eröffnung 1993 zu Hause ist, unter einer Hülle aus Jutesäcken verschwinden. Die Regie für dieses sicherlich sehr beeindruckende Schauspiel übernimmt Ibrahim Mahama. Ein Geburtstagsgast, mit dem Osnabrück und die Kunsthalle gewiss eine gute Wahl getroffen haben. Denn Mahama ist einer, der sich mit seinen Themen auf der Höhe der Zeit bewegt, der seinen Zeitgenossen einiges zu sagen hat und dafür immer wieder eine ebenso spektakuläre wie eindringliche Sprache findet.
Das hatte der Künstler aus Ghana zum ersten Mal vor großem Publikum und mit durchschlagendem Erfolg bei der Venedig Biennale 2015 bewiesen, als er den Verbindungsweg am Arsenale komplett mit seinen Jutesäcken verhängte. Nicht weniger Aufsehen erregte zwei Jahre darauf sein Auftritt bei der Documenta in Athen und Kassel: Dort verschwanden die beiden gegenüberliegenden Gebäude der klassizistischen Torwache unter dem braunen Flickenkleid aus Bastfasern und erinnerten im ikonischen Kostüm plötzlich an Bunkerbauten.
Wer beim Stichwort Verhüllung vielleicht doch kurz an Christo und Jeane-Claude gedacht hat, der kommt bei solchen Bildern ganz schnell davon ab, etwaige Verbindungen zu suchen. Keine Spur von Glanz und Faltenspiel im Sonnenschein, die etwa beim verpackten Reichstag beeindruckten. Mahama lässt stattdessen Schmutz und Verschleiß für sich sprechen. Seine Verhüllungen scheinen nicht schillernd, sie sind grob, schwer. Aber auch schön.
Neben der starken ästhetischen Wirkung ist für Mahama auch die mit den historisch aufgeladen Materialien verbundene Deutung seiner Arbeiten sehr wichtig. Es sind nicht einfach alte staubende Jutefetzen, die er zusammenschneidern lässt. Stempel, Buchstaben, Schriftzüge auf dem groben Stoff erzählen eine lange, bewegte, globale Geschichte: Produziert werden die Säcke in Asien und dann in Afrika zum Transport benutzt – zuerst tragen sie hochwertigere Waren, Kakao, Kaffee, Kokos etwa, Reis, Mais, Bohnen. Sind sie älter und zerschlissen, wird Holzkohle darin verpackt zum Transport nach Amerika und Europa. Mahama erwirbt die geschichtsträchtigen Säcke gegen Ende ihres nützlichen Daseins im Tausch gegen neue.
Wenn er nun die alten Exemplare zu Kunstwerken verwandelt, so deuten sich darin oft ähnliche Ideen, Erzählungen, Erinnerungen an. Es geht um soziale Prozesse und globale Zusammenhänge. Um koloniale Geschichte und was sie heute bedeutet. Um Produktion und Warenströme, um schwere Arbeit auf der einen Seite und Turbokonsum auf der anderen.
Es müssen nicht immer Säcke sein, die solche Botschaften transportieren. Ein Bild mit ähnlichem Gewicht schuf Mahama in der Leipziger Galerie Reiter: Dort bedeckte der Künstler den Boden der Ausstellungsräume 2021 mit steinigem Dreck und arrangierte darauf zig rostige, mehr oder weniger kaputte und geflickte Schubkarren, die er zuvor bei Arbeitern in Ghana eingetauscht hatte. Auch Krankentragen aus dem Zweiten Weltkrieg haben schon Eingang gefunden in Mahamas Installationen. So 2018 in der Berliner daadgalerie, der Galerie des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Die Bahren von einem Schrottplatz in Athen hatten während des Zweiten Weltkriegs zum Transport verwundeter Soldaten gedient und später als Filmrequisiten.
»Immer wieder geht es um eine materielle Darstellung von Geschichte«, so Bettina Klein, die Mahamas Berliner Schau damals kuratiert hatte und jetzt als Kennerin und Kuratorin die Arbeit für Osnabrück begleitet. Auch hier wird es nicht bei den Jutesäcken bleiben, hinzu kommt in ghanaischen Webereien eigens gefertigter Gonja-Baumwollstoff. Diese Zugabe spielt wohl an auf Osnabrücks Historie als einer der wichtigsten westfälischen Textilproduktionsstandorte unter anderem für Leinengewebe, das unter dem Namen »true born Osnaburghs« bekannt wurde und dessen Herstellung hier Jahrhunderte zurückreicht. Man muss wissen, dass dieser Stoff auch gegen Gefangene aus den Küstenregionen Afrikas getauscht und zur Herstellung von Kleidung für die Zwangsarbeiter*innen auf den Plantagen in Westindien verwendet wurde.
Fortsetzung in Ghana
Diese globalen Connections werden auch zur Sprache kommen, wenn Mahamas Osnabrücker Projekt im November mit einem Symposium in Ghana eine Fortsetzung findet. Kurator*innen, Dramatiker*innen, Historiker*innen, Musiker*innen und Künstler*innen aus Deutschland und Ghana wollen sich dann treffen, um die in Westfalen aufgeworfenen Fragen weiterzudenken. An einem besonderen Ort: in Tamale. Die Stadt im armen Norden von Ghana ist Mahamas Heimat, hier kam er 1987 zur Welt, und hierher kehrt er immer wieder zurück. Das Hin und Her zwischen Kontinenten und Kulturen ist entscheidend für Mahamas Werk, das nicht allein aus materiellen Kunststücken besteht.
»Es ist ihm ein großes Anliegen, diese Region zu unterstützen«, so Kuratorin Bettina Klein. »Geld, das er im westlichen Kunstbetrieb verdient, investiert er dort in den Aufbau und die Weiterentwicklung eines großen Kulturzentrums, das gleichzeitig als sozialer Treffpunkt dient.« Riesige Gebäude habe Mahama dort in den letzten Jahren hochgezogen und kürzlich erst ein paar ausrangierte Flugzeuge dazu gestellt, die als Klassenräume hergerichtet wurden. Diverse Veranstaltungen locken Prominenz aus Kunst und Wissenschaft ins Mahamas Savanna Centre for Contemporary Art (SCCA) und lenken so den Blick auf diesen Teil der Welt.
Auch eine Art Kunst ist dieses Werk von Mahama, das mitten im armen Afrika Gedanken an Joseph Beuys und seinen Begriff der Sozialen Plastik weckt. Und beweist, dass der globale Austausch nicht nur mit Kaffee und Kohle in Jutesäcken funktioniert.
Ibrahim Mahma: TRANSFER(S)
Kunsthalle Osnabrück
bis 1. Oktober
Savanna Centre for Contemporary Art (SCCA), Tamale
Herbst 2023
Weitere Projekte der Kunsthalle im Jubiläumsjahr:
Aram Bartholl wird im Kirchenraum der Kunsthalle einen begehbaren Parcours aus Elektroschrott einrichten, der unseren Umgang mit Energie, Rohstoffen und Arbeitsrechten kritisch hinterfragt. Die imposante Installation mit dem Titel »REMINDER! – Package Ready for Pickup« soll dazu einladen, über die Konsequenzen unseres täglichen Konsums nachzudenken (bis 25. Februar 2024).
»Bist Du bereit?« heißt eine Gruppenausstellung mit 30 lokalen Initiativen und einer Installation von Diane Hillebrand. Sie will zurückschauen auf die Vergangenheit der Kunsthalle, aber noch mehr den Blick nach vorn richten in die Zukunft der Institution (bis 24. Februar 2024).