Wie wird aus einem Museum für Gegenwartskunst ein gegenwärtiges Museum? Mit der »spielzeit #1« startet eine neue Ära auf Schloss Morsbroich.
Kinder quietschen, Wasser spritzt, Picknickdecken unter Bäumen. Ein hübscheres Entree hätte Jörg van den Berg sich kaum wünschen können. Und er brauchte den Kindergarten nicht einmal einzuladen. Wenn es warm ist und die Sonne scheint, kommen die Kleinen ungefragt fast jeden Tag zum Museumsschloss, um sich im Brunnen-Kunstwerk von Jeppe Hein auszutoben. An diesem schönen Maitag freut sich van den Berg wahrscheinlich doppelt über den Besuch, denn der Direktor will sein neues Konzept vorstellen, und dazu passt die öffentliche Plansch-Party perfekt.
Hereinspaziert zur »spielzeit«. Die Museumstüren bleiben offen, und so kommt zum fröhlichen Quietschen von draußen ein frischer Durchzug ins Schloss. Nennen wir es lieber Rückenwind, denn auch den kann Morsbroich gut gebrauchen – nach all dem Ärger: Ungern erinnert man sich an das Jahr 2016, als Leverkusen sein renommiertes Museum schließen und die super Sammlung verkaufen wollte, um die leeren Stadtkassen zu füllen. Glücklicherweise konnten die Sparfüchse gestoppt und das Haus gerettet werden. Doch dann hat sich plötzlich der damalige Leiter Markus Heinzelmann verabschiedet. Drei Jahre lang musste das Museum ohne einen Nachfolger auskommen.
Letzten Sommer war er dann endlich gefunden und scheint seither wirklich entschlossen. Voller Tatendrang spricht Jörg van den Berg vom Neuanfang. Und scheut sich nicht, selbst vorzumachen, wie er sich die aktive Zukunft denkt: Rasch den roten Wickelrock umgebunden und auf die Schaukel gestiegen. Mitten im Gartenzimmer mit Blick nach draußen geht es hin und her und hin und her in der Hoffnung, dass mit der Schaukel auch die Ideen für die Umgestaltung des Museums in Schwung kommen. Das Spielgerät ist ein wesentliches Element im »Parklabyr«, das Margit Czenki und Christoph Schäfer im zentralen Raum des Erdgeschosses eingerichtet haben. Labor und Labyrinth mischen sich im Namen, der Programm ist.
Denn Czenki und Schäfer haben hier eine Art öffentliches Planungsbüro eingerichtet, wo jeder und jede sich an der Neugestaltung des Schossparks beteiligen kann. Auf dem langen Tisch liegen Stifte und Blöcke. Wer aber lieber liegend als sitzend oder schaukelnd kreativ werden will, kann auf der grünen Chaiselongue mit Schildkrötenfüßen ruhen und sich vielleicht von der Tapete inspirieren lassen, deren Dekor die Graureiher aus dem Park in den Innenraum holt.
So bekommt der Besucher, die Besucherin gleich zum Start eine Vorstellung davon, wie van den Berg und seine Kurator*innen, Fritz Emslander und Thekla Zell, den Neustart angehen wollen. Gemeinsam, partizipativ, prozesshaft. Und umfassend: vom Museum in den Park. Im Raum neben dem »Labyr« hat Gabriele Oberkofler dafür eine kleine Anzuchtstation eingerichtet. Es keimt schon mächtig in Schüsseln und Petrischalen. Demnächst wird die Künstlerin mit dem kleinen Gemüse nach draußen ziehen und fahrbare Gärten anlegen: Speisechrysanthemen, Rankspinat und Zimmerknoblauch sollen dort gedeihen.
Zum mobilen Gärtlein mag sich bald ein Hexenhäuschen gesellen, entworfen von Mark Dion. Die gezeichneten Pläne dazu hängen bereits im Museum. Und eine Menge märchenhaftes Inventar ist auch schon da. Jeder darf eigene Dachbodenfunde mitbringen und so die Ausstattung bereichern. Nur an der Finanzierung des verwunschenen Eigenheims im Grünen muss die Museumsmannschaft noch arbeiten.
So wird dann hoffentlich das neue Museum heranwachsen. Neben Czenki und Schäfer, Dion und Oberkofler helfen dabei noch elf weitere »Werkstattkünstler*innen«. Einige haben sich schon mit fertigen Arbeiten eingerichtet: Für ihr Werk »Blank III« bestäubte Schirin Kretschmann den Fußboden beinahe raumfüllend mit Gipsstaub. Und eine komplette Raumflucht nimmt Tilo Schulz mit seiner Sichtblende aus gestaffelten MDF-Platten in Beschlag. Alle sind sie geleitet von van den Bergs Frage: »Wie wird aus einem Museum für Gegenwartskunst ein gegenwärtiges Museum?« Noch steht die Antwort aus. Doch ist van den Berg überzeugt, »dass ein solches Haus einen essenziellen Beitrag zu Zukunftsfragen unserer Gesellschaft leisten kann«. Das treibt ihn an.
Obwohl das Ende offen ist, weiß der Direktor seinen Prozess bereits gut durchfinanziert. Die Stadt, die vor ein paar Jahren noch über die Schließung des Hauses verhandelt hat, sichert dem Direktor vorerst 400.000 Euro jährlich zu. Van den Berg freut sich über den großen »Vertrauensbeweis« und sieht, sicher nicht zu Unrecht, eine Wende im Verhältnis der Stadt zu ihrem Museum.
Wundertüte für Leverkusen
Statt eines klassischen Programms bekommt Leverkusen nun also eine Wundertüte, die sich nach und nach füllt. Wie sich schon jetzt abzeichnet, wird die hauseigene Sammlung darin eine größere Rolle spielen als bisher. Fehlen werden dafür aber vorerst sicher jene spannenden, oft ungewöhnlichen und immer wieder inspirierenden Einzel- und Themenausstellungen, die man kannte aus Morsbroich und in den vergangenen Jahren so sehr schätzte. Das neue Kurator*innen-Team hat sich für den Neustart bewusst gegen die gewohnt dichte Taktung von Wechselausstellung entschieden. Man möchte sich Zeit lassen beim Schaukeln und Grübeln. Will alle mitnehmen auf dem Weg zum Museum der Zukunft. Eine günstige Jahreskarte sorgt dafür, dass das nicht zu sehr ins Geld geht. So kann man immer wiederkommen – schauen, was sich verändert hat. Oder eigene Wünsche mitbringen.
Der richtige Ort dafür ist schon eingerichtet: Mit einer roten Bank und einem Regal voller Bilder aus der hauseigenen Sammlung. Je nach Besucher*innen-Wunsch wird zweimal in der Woche das Werk an der Wand in diesem »Schauraum« gewechselt. Die rote Bank davor bietet sich an zur mußevollen Betrachtung. Auch im grafischen Kabinett und in der »Filmkammer« ist künftig Platz für wechselnde Präsentationen aus der eigenen Sammlung – Videoarbeiten von Sven Johne und Gerhard Richters frühe Editionen sind dort zum Start der »spielzeit« eingezogen.
Das alles ist also ein Anfang. Van den Berg weiß nicht, ob es ihm gelingt, auf Morsbroich die Zukunftsfragen zu beantworten. »Das ist ein Risiko.« Doch er arbeitet daran. Nicht allein für sich im stillen Kämmerlein. Sondern im herrschaftlichen Jagdzimmer – neuerdings umfunktioniert zum »public office«. Wo einst der Arbeitstisch von Freiherr Friedrich Daniel von Diergardt stand, sitzt demnächst ein Museumsdirektor »zum Anfassen«, bereit zum Gespräch. Seinen Rucksack hat er schon platziert neben dem Schreibtisch mit Blick auf Jeppe Heins Brunnen. Die Kinder sind wohl mittlerweile weitergezogen zum Mittagessen in den Kindergarten. Für heute haben sie ihre erfrischende »spielzeit« vor dem Museum beendet. Aber morgen geht’s bestimmt weiter – dann hilft der Kindergarten wieder bei der Arbeit am Museum der Zukunft.
Museum Morsbroich, Leverkusen
2022: Spielzeit #1
bis 16. September 2022