Was schenkte Max Ernst einst seiner Frau Dorothea Tanning? Das zeigt das Max Ernst Museum in Brühl in einer sehenswerten Ausstellung. Eine »Zeitreise der Liebe«.
An einem verschneiten Dezemberabend stand er vor ihrer Tür mit nassen Schuhen. Max Ernst war unterwegs in New York, auf der Suche nach Kandidatinnen für eine Ausstellung, die den Titel »Dreißig Frauen« tragen sollte. Doch bei Dorothea Tanning interessierten ihn bald mehr als nur die Bilder. Am selben Abend forderte er seine junge Gastgeberin bereits zur ersten Schachpartie heraus. Noch fünf Jahrzehnte später wird Tanning jenen Besuch in ihrem Erinnerungsbuch detailliert zu schildern wissen: »Es war die Weihnachtszeit 1942, und Max war mein Weihnachtsgeschenk«.
Jedes Jahr ein Bild – manchmal auch zwei
Nach dem ersten Schachspiel dauerte es nicht lange, bis das lebendige Geschenk bei der Künstlerin einzog. Von nun an wohnten und arbeiteten Max Ernst und die bald 20 Jahre jüngere Dorothea Tanning gemeinsam – in New York, Arizona, an der Loire, in der Provence, bis zu Ernsts Tod 1976. In jedem dieser vielen Jahre schenkte der Künstler seiner Angebeteten ein Bild, manchmal auch zwei. 2005 hat die Kreissparkasse Köln Tanning alle 36 sogenannten D-paintings abgekauft und dem Brühler Max Ernst Museum als Leihgaben überlassen. Eine große Bereicherung für das Haus, denn diese meist handlichen Kunststücke ziehen im Ein-Jahres-Rhythmus einen anschaulichen Querschnitt durch Max Ernsts Schaffen und führen nebenbei noch einmal die Fülle seiner künstlerischen Techniken vor Augen: Décalcomanie, Grattage, Collage, Assemblage, Frottage; der Künstler hat nichts ausgelassen in seinen kleinen Liebesbeweisen.
Jürgen Pech, wissenschaftlicher Leiter des Max Ernst Museums, hat sich über 20 Jahre lang immer wieder mit dem einmaligen Ensemble beschäftigt und widmet ihm jetzt eine gründlich recherchierte Publikation. Dazu kommt eine schöne, kleine Ausstellung, wo die D-paintings von vielen Fotos, Briefen, Dokumenten begleitet werden. Einzelne Werke und Gedichte von Tanning runden seine »Zeitreise der Liebe« ab, die an jenem Dezembertag in New York begann.
Bis ins Alter kreativ
Dass Tanning ihn so nachhaltig begeistern kann – das hätte Max Ernst an diesem Abend wahrscheinlich selbst kaum für möglich gehalten. Gefiel der Künstler sich bis dahin doch eher als bindungsscheuer Schürzenjäger. Bis ins Alter attraktiv und »leicht entflammbar«, so beschrieb Ernst-Kenner Werner Spies den flatterhaften Freund. Zwei Ehen hatte der schon hinter sich, bevor er Tanning kennenlernte. Und die dritte mit der vermögenden Mäzenin Peggy Guggenheim lief noch, als Ernst 51-jährig bei seiner neuen Flamme einzog.
Dabei muss man wissen, dass der in Brühl gebürtige Exilant Guggenheim einiges zu verdanken hatte. Und dass ausgerechnet sie es war, die den labilen Gatten auf Talentsuche durch New Yorker Künstlerinnen-Ateliers schickte. Ein Riesenfehler, wie sie zu spät erkannte. Zu einem P- wie Peggy-Painting ist es somit nie gekommen. Bereits zu ihrem 33. Geburtstag am 25. August 1943 überreichte Max stattdessen Dorothea das erste Bildgeschenk, während eines gemeinsamen Urlaubs in dem kleinen Ort Sedona in Arizona.
Himmlische Lichterscheinungen
Im Abklatsch-Verfahren der Décalcomanie lässt der Künstler hier zwei Formen entstehen, die er als Doppelporträt deutet: Links er selbst, wie so oft als Vogel mit spitzem Schnabel und vis à vis die Geliebte im Profil. Er bekrönt sie mit einem kleinen D und zeigt zwischen den beiden Gestalten ein leuchtend gelbes Gestirn, wohl den Vollmond. Solche himmlischen Lichterscheinungen tauchen immer wieder auf in der Werkgruppe: Für seine Dorothea lässt Max Sterne funkeln, Blitze zucken, Polarlichter glühen.
Auch das titelgebende Dorothea-D ist fast überall in diesen kleinen Bildern zu finden. Nur ausnahmsweise fällt es weg oder wird zu einem X wie im Painting von 1971 – ob eine Ehekrise dahinter steckt? Möglich wäre es, denn Hinweise auf Privates sind allenthalben auszumachen in diesen Arbeiten. Im Hochzeitsjahr 1946 etwa malt Max für seine Dorothea ein extra großes D-Painting: »Die Phasen der Nacht« zeigt eine Art Landschaftspanorama bei Vollmond, inspiriert wohl vom Blick aus dem Fenster des einfachen Holzhauses, das Ernst zusammen mit dem örtlichen Zimmermann in Sedona errichtet hatte. Der Großstadt überdrüssig, war das Paar hierher gezogen.
»Max in einem blauen Boot«
Im Gebüsch des Hochzeitsbildes präsentiert sich Ernst selbst, diesmal als Eule bei Nacht – mit leuchtenden Augen und einem markanten M im Brust-Gefieder. Etwa zu gleichen Zeit porträtiert Tanning ihren »Max in einem blauen Boot« ganz realistisch – schlank, gebräunt, mit schütterem Schopf. Das Drumherum wirkt surreal und deutet wohl den Umzug an: aus der Wolkenkratzer-Metropole in die scheinbar endlose Weite der Wildnis. Hier auf dem Hügel in Sedona führten die beiden ein recht spartanisches Leben. Im Holzhäuschen, die ersten zwei Jahre ohne fließendes Wasser für Dusche, Garten und Toilette. Doch mit Ernsts Ruhm wuchs langsam auch der Wohnkomfort, und zur Hütte kam der steinerne Erweiterungsbau.
1954 gelang dem Künstler dann der internationale Durchbruch auf der Biennale in Venedig, wo er mit 63 Jahren den großen Preis für Malerei erhielt. Im selben Jahr schenkte er Dorothea drei hell leuchtende Muschelblumen – mit flüssiger Farbe und einem Malspachtel auf die kleine Holztafel gedreht. Dank dem Preisgeld aus Venedig konnten sie sich bald ein neues Domizil in der französischen Touraine im Tal der Loire leisten. »In dieses Haus kam alles, was wir besaßen. Unsere Träume und Ticks hatten 6000 Meilen weit Wasser und Land überquert und neue gesellten sich hier dazu.« Das Paar empfing auf dem Land viel Besuch aus der Szene und erfreute ihn zum Beispiel mit rauschenden Kostümfesten, die Ernst in den maskierten Wesen seines leicht gruseligen D-painting von 1958 aufleben lässt.
Lebensende in der Provence
Ihrem durchaus luxuriösen Ende geht die Liebesgeschichte ab 1970 in der Provence entgegen. Tanning hatte dort einen prachtvollen Neubau in Seillans selbst entworfen – samt Pool in Schlüssellochform. Mit nassen Füßen in New York war sie gestartet, ihren Ausklang findet die Story nun in der Sonne des Südens, die Ernst in einem gelb leuchtenden D-painting feiert. Fünf gemeinsame Jahre verlebten Max Ernst und Dorothea Tanning noch »in diesem soliden Hafen, wo nichts den glatten Fluss der Arbeit und der guten Laune zu hemmen schien«.
Nach dem Tod ihres Mannes zog Tanning zurück nach New York und wurde dort über 100 Jahre alt. Nicht genug, um sich aus dem Schatten des berühmten Gatten zu lösen. Der Erfolg, den sie selbst als Künstlerin und Poetin verdient, kam erst posthum und gipfelte 2019 in einer großen Tanning-Retrospektive der Londoner Tate Gallery. Zig schöne Geburtstagsbilder hat sie bekommen. Doch was die eigene Karriere angeht, wurde Tanning nichts geschenkt.
Bis 22. März 2020, Max Ernst Museum Brühl des LVR