Der Deutsche Friedenspreis für Fotografie geht an Emeke Obanor für seine Arbeit »Heroes«. In der Serie zeigt er Mädchen, die von der Terrororganisation Boko Haram entführt worden waren.
Lange war die Fotografie für ihn nicht mehr als ein Hobby. Doch mit der Zeit erkannte Emeke Obanor die Kamera als ein Mittel, soziale Ungerechtigkeit aufzudecken und Veränderungen zu bewirken. Seit drei Jahren arbeitet er professionell als Fotograf in seiner Heimat Nigeria – und hat nun den Deutschen Friedenspreis für Fotografie gewonnen. Ein Gespräch mit dem 48-Jährigen über die Mädchen seiner Serie »Heroes«, über seine eigenen Hilfsprojekte und die Frage, ob und wie Fotografien die Welt verändern können.
kultur.west: Herr Obanor, in Ihren Arbeiten setzen Sie sich oft für unterdrückte, misshandelte, ausgegrenzte Menschen ein. Sind Sie Fotograf geworden, um für eine bessere Welt zu kämpfen? OBANOR: Ich lebe in einer Umgebung, in der fest verankerte Traditionen und Bräuche fast alle sozialen Aspekte des Lebens dominieren. Fotografie ist für mich zu einem Werkzeug geworden, Licht und Aufmerksamkeit auf Themen und Probleme zu lenken, die die meisten aus Angst, Scham oder wegen ihrer Bindung an alte Traditionen ignorieren möchten. Wenn meine Fotografie zu Veränderung und Gerechtigkeit beitragen würde, dann hätte sie ihren Zweck erfüllt.
kultur.west: Wie wollen und können Sie das mit Ihren Bildern erreichen?
OBANOR: Probleme, die man nicht immer so klar gezeigt hat, führe ich oft in besonders krassen Aufnahmen vor Augen. Solche Bilder zwingen dazu, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die sonst vielleicht im Verborgenen bleiben würden. Ich hoffe, dass meine Bilder, insbesondere die Porträts, die Gesellschaft herausfordern, sich diesen aktuellen Themen zu stellen und Leute an verantwortlicher Stelle in die Lage bringen, etwas gegen die Missstände zu tun.
kultur.west: In Ihrer Arbeit »Heroes« zeigen Sie Mädchen, die von der Terrororganisation Boko Haram entführt worden waren und frei gekommen sind. Obwohl diese Mädchen während ihrer Gefangenschaft gegen die angeprangerte »westliche Bildung« indoktriniert und radikalisiert wurden, ist bei ihnen der Mut nicht gebrochen. Sie sind zur Schule zurückgekehrt und kämpfen weiter um ihre Ausbildung.
OBANOR: Ja, ich möchte die Stärke und Widerstandsfähigkeit dieser Mädchen vor Augen führen. Für mich sind sie die wahren Heldinnen, weil sie nach dem Trauma, das sie durchgemacht haben, die Rückkehr zur Schule wagen – trotz des Terrors, trotz der wirtschaftlichen Not, trotz kultureller und geschlechtsspezifischer Vorurteile. Inmitten düsterer Realitäten wollen sie eine Ausbildung machen.
kultur.west: Wie haben Sie Kontakt gefunden zu den Mädchen, die sie in dieser Serie fotografiert haben?
OBANOR: Eine junge Frau erzählte uns von ihrer Schwester, die entführt worden war und nach dem traumatischen Erlebnis in Gefangenschaft versuchte, sich zu rehabilitieren und wieder zur Schule zu gehen. Ich beschloss, andere wie sie zu finden.
kultur.west: Unter welchen Bedingungen haben Sie die Bilder aufgenommen?
OBANOR: Ich habe versucht, eine sichere Umgebung zu schaffen, in der sich die Mädchen wohlfühlen können. Ich habe viel Zeit damit verbracht – gegenseitiges Vertrauen und das Verständnis füreinander sind sehr wichtig. Auch nach diesem Projekt wollen wir das Thema verfolgen und Betroffenen Hilfestellung leisten.
kultur.west: Haben sich die Mädchen gerne fotografieren lassen oder war vielleicht manchmal auch Angst im Spiel?
OBANOR: Die Mädchen fühlten sich im Allgemeinen wohl und haben sich gern fotografieren lassen. Man muss wissen, dass diese Bilder am Ende eines langen Prozesses stehen: Die Mädchen hatten Zeit, zu erfahren und zu verstehen, was wir erreichen wollen. Für sie war das Projekt ja auch von großer Bedeutung, weil es ihre Geschichte erzählt: Viele von ihnen haben dadurch das Gefühl bekommen, endlich eine Stimme zu haben. Es ist wie eine Reise, die uns alle verändert hat – mich, meine Mitarbeiter und die Mädchen selbst.
kultur.west: Sie haben diese Serie 2020 veröffentlicht. Wie leben die »Heldinnen« dieser Bilder heute?
OBANOR: Die meisten befinden sich tatsächlich noch in schwierigen Situationen, einige mussten die Schule abbrechen, und andere kämpfen noch immer. Mit unserer Organisation »Greenleaves Heritage« versuchen wir, zu helfen. Wir bauen ein Zentrum auf für Opfer von Gewaltkonflikten und sexuellem Missbrauch. Es soll Unterkunft und Zuflucht bieten für 280 Betroffene, die hier psychologische Hilfe erhalten und eine Ausbildung machen können, die ihren Lebensunterhalt sichern soll.
kultur.west: Und woran arbeiten Sie als Fotograf aktuell?
OBANOR: Mein aktuelles Projekt trägt den Titel »Borderline«. Ich sehe Nigeria in einer Menschenrechtskrise im Bereich der psychischen Gesundheit. Gekennzeichnet durch eine schlechte gesellschaftliche Einstellung gegenüber psychisch kranken Menschen. Verbunden mit Aberglauben und unzureichenden Ressourcen und Einrichtungen, es mangelt an Personal und finanziellen Mitteln. Untersuchungen zeigen, dass 80 Prozent der Menschen mit ernsthaften psychischen Problemen in Nigeria keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Mit meinem Projekt möchte ich die Aufmerksamkeit auf diese Situation lenken.
kultur.west: Wie reagieren die Menschen in Nigeria und im Ausland auf Ihre Arbeit?
OBANOR: Die Resonanz auf meine Arbeit im Ausland ist sehr positiv – meine Fotografien wurden wiederholt ausgezeichnet und in mehreren Publikationen veröffentlicht. Zu Hause in Nigeria sind die Reaktionen gedämpft. Doch haben meine Bilder auch hier durchaus Interesse geweckt und Diskussionen angeregt.
kultur.west: Wie ist aktuell die Situation für Fotografen in Nigeria?
OBANOR: Das Medium ist im Aufwind. Das Interesse an der Fotografie als Kunstform nimmt zu, und auch der Pool an Fotografen und Mäzenen wächst. Man ist Teil eines Netzwerks von Fotografen, die in verschiedenen Genres arbeiten. Dabei bewegt man sich in einem riesigen Ozean relevanter Themen. Doch bleibt man als Fotograf in Nigeria auf sich selbst gestellt. Es gibt kaum Unterstützung durch die Regierung. Und es ist immer noch sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, ein Fulltime-Fotograf zu sein.