Eline Arbo beschäftigt sich oft mit Außenseiter-Rollen und verwandelt Edvard Griegs Liederzyklus »Haugtussa« bei der Ruhrtriennale in eine schillernd düstere Musiktheater-Kreation.
»Heute werde ich ein Kämpfer!« Immer wieder erklingt dieses Mantra in »Weg met Eddy Bellegueule«. »Das Ende von Eddy«, der autobiografische Debütroman von Édouard Louis, der am 18. August im Rahmen der Vortrags- und Gesprächsreihe »Brave New Voices« in der Bochumer Jahrhunderthalle zu Gast sein wird, ist von vielen Theatern adaptiert worden. Aber Eline Arbos 2020 entstandene Bühnenversion entwickelt eine ganz besondere Dringlichkeit und Kraft. Fortwährend wiederholen die vier Performer, die Eddy gemeinsam verkörpern, diesen einen Satz. Nur ist er kein Kämpfer, zumindest nicht in dem Sinne, in dem es von einem Jungen aus der nordfranzösischen Arbeiterklasse erwartet wird. Er will diese Erwartungen an seine Männlichkeit auch gar nicht erfüllen. Aber der Druck, der auf ihm als Außenseiter lastet, ist gewaltig.
Dieser immense gesellschaftliche Druck, der Anpassung fordert und Abweichungen ahndet, ist in allen Arbeiten von Eline Arbo präsent. Gegen ihn begehren ihre Protagonist*innen auf. Im Gespräch bekennt die 1986 im norwegischen Tromsø geborene Regisseurin, die seit September 2023 als Nachfolgerin von Ivo Van Hove das Internationaal Theater Amsterdam leitet: »Meine Inszenierungen drehen sich nahezu immer um Menschen, die Außenseiter sind, die entweder mit dem ihnen zugewiesenen Platz in der Welt ringen oder ihn zumindest in Frage stellen.«
»Meine Inszenierungen drehen sich nahezu immer um Menschen, die Außenseiter sind.«
Eline Arbo
Entsprechend nahe sind sich der queere Eddy Bellegueule und die junge Veslemøy aus Arne Garborgs 1895 erstmals veröffentlichtem Gedichtzyklus »Haugtussa«. Im Kern greift Eline Arbo in ihrer Bühnenadaption auf Edvard Griegs gleichnamigen, nur sehr selten aufgeführten Liederzyklus zurück. Aber sie erweitert ihn, der als einzige Komposition dieser Art eine Sonderstellung in Griegs Schaffen hat, sowohl textlich als auch musikalisch. Ihre spartenübergreifende Musiktheater-Kreation lenkt den Blick nicht nur auf Veslemøys Liebesgeschichte, sondern greift auch die mythologischen und märchenhaften Aspekte des Stoffes auf. Dafür hat Thijs van Vuure eigene Kompositionen geschaffen, die in einen künstlerischen Dialog mit Griegs Werk treten.
Veslemøy lebt in einer Art Zwischenreich. Zum einen ist sie die Tochter von kleinen Bauern, von der erwartet wird, dass sie auch einen Bauern heiratet und dessen Hof mitführt. Andererseits sieht sie Trolle und Geister, was sie ohnehin schon zum Outcast macht. Aber es sind nicht nur ihre Visionen, die die junge Frau von der Gemeinschaft um sie herum isolieren.
Veslemøy will nicht einfach die Rolle akzeptieren, die ihr soziales Umfeld ihr vorgibt. Sie weiß um die Entbehrungen und die Ausbeutung, die zum Leben als Bäuerin, Ehefrau und Mutter gehören. »Sie hat diese unabhängige und sehr moderne Haltung, die für Arne Garborgs Zeit erstaunlich ist«, erklärt Eline Arbo und fügt hinzu: »Sie ist eine freie Denkerin«. Eben das lässt sich über die Regisseurin sagen. Wie Veslemøy, die schließlich ihren eigenen Weg wählt, will sich auch Arbo weder von gesellschaftlichen Normen noch von tradierten Erwartungen einengen lassen.
»Natürlich kann man sagen, dass ‚Haugtussa’ um eine weibliche Protagonistin kreist. Aber in meinen Augen ist das eine Verengung. Meine Arbeiten haben etwas Feministisches. Ich wünschte mir allerdings, in einer Welt zu leben, in der eine Frau auf der Bühne einfach ein Mensch auf der Bühne ist.« Arbos Ideal einer universalistischen Sicht auf das Theater und das Leben hat in Zeiten, in denen Kunst zum Gegenstand identitätspolitischer Debatten und Forderungen wird, fast etwas Utopisches. Sie träumt von einer Welt, »in der sich das Theater ganz auf existentielle Fragen und Probleme konzentrieren kann, mit denen alle von uns Tag für Tag zu kämpfen haben.«
13. September (Uraufführung), 14. und 15. September
Jahrhunderthalle Bochum