Neue Erlebnisräume und Impulse für die Oper – all das soll das neugegründete Laboratorium des Musiktheaters im Revier schaffen. Ein Gespräch über das MiR.LAB mit der künstlerischen Leiterin Nora Krahl.
Musiktheater mit digitaler Technologie, neue Erlebnisräume und Impulse für die Oper – all das soll das neugegründete Laboratorium des Musiktheaters im Revier schaffen. Das MiR.LAB hat seine Heimat Am Rundhöfchen 6 mitten in Gelsenkirchen gefunden. Die künstlerische Leitung liegt bei Nora Krahl, die sich als Komponistin, Cellistin und Regisseurin in verschiedenen Bereichen der zeitgenössischen Musik profiliert hat und gut vernetzt ist. Was genau ist das MiR.LAB? Ein Gespräch.
kultur.west: Frau Krahl, was sind Ihre Pläne?
KRAHL: Unser erstes Vorhaben ist ein Projekt, in dem das Publikum Virtual-Reality-Brillen aufsetzt und sich mit zwei Sänger*innen in einem Raum frei bewegt. Es geht um die Vermischung von Realität und VR im Zusammenhang mit Musiktheater. Daran hab ich in den vergangenen anderthalb Jahren gearbeitet, jetzt werden wir es mit dem MiR-Team verwirklichen.
kultur.west: Das heißt also, das Publikum kommt ganz klassisch zu einer Vorstellung?
KRAHL: Das ist mir sehr wichtig für die Arbeit im MiR.LAB. Digitalisierung bedeutet nicht, dass ich zu Hause isoliert vor meinem Bildschirm sitze. Okay, auch mit solchen Formaten werden wir uns beschäftigen. Aber für mich bedeutet Theater, dass man in einem Raum zusammenkommt und zum gleichen Zeitpunkt ein gemeinsames Erlebnis mit Livemusik und Live-Darstellenden hat.
kultur.west: Und dann treffen die Realitäten aufeinander, der wirkliche Raum und die digitalen Welten?
KRAHL: Ja, es ist ein apokalyptisches Stück. Das gesamte Universum zerfällt, auch die physikalischen Gesetze, die Zeit, die Logik und die Struktur der Welt. Der Bühnenraum ist digital virtuell nachgebaut. Die VR-Brillen haben einen Kameramodus. Ich sehe meine Umgebung, und die wird überblendet mit Bildern, die in der Realität so nicht herstellbar wären. Wir werfen das Publikum in eine relativ große Verwirrung.
kultur.west: Kommen die Darstellenden aus dem MiR-Ensemble?
KRAHL: In diesem Falle sind es zwei Sängerinnen, die schon lange mit mir an diesem Projekt gearbeitet und viel investiert haben. Sonst arbeiten wir schon mit der Dance Company zusammen und sind mit dem Direktor Giuseppe Spota verabredet, um uns zu Workshops zu treffen. Ähnliche Verabredungen gibt es mit der Puppensparte. Mittelfristig wollen wir dann auch mit Sänger*innen und Musiker*innen arbeiten.
kultur.west: Werden Sie als Leiterin das MiR.LAB auch künstlerisch prägen, als Komponistin, Regisseurin und Cellistin?
KRAHL: Das war für mich ein Grund, diese Leitungsfunktion anzunehmen. Natürlich will ich kuratieren und organisieren, aber unsere Produktionen auch künstlerisch färben, wahrscheinlich vor allem als Regisseurin. Ich bin mit Herz und Seele Künstlerin.
kultur.west: In Ihrer Beschreibung steht, dass es auch um Transformation geht. Wie ist das zu verstehen? Wollen Sie auch den Kernspielplan des Opernhauses verändern?
KRAHL: Ja. Allerdings steckt die Technik – zum Beispiel was die VR-Brillen angeht – noch in den Kinderschuhen. Ich hoffe, dass wir bald von AR-Brillen (Augmented Reality) sprechen können, die dann von der Handhabung her ganz normale Brillen sind. Dann können wir sie auch im großen Saal des Musiktheaters einsetzen. Bisher werden virtuelle Welten mehr als Add-On eingesetzt, um die Aufführungen noch bildgewaltiger zu machen. Ich finde es viel interessanter, Digitaltechnologie in die Konzeption, in die Struktur der Stücke miteinzubeziehen.
kultur.west: Ein weiterer Begriff in Ihren Arbeitsbeschreibung lautet „radikale Teilhabe“. Was bedeutet das?
KRAHL: Klingt doch schon mal gut, oder? Da gibt es mehrere Bereiche. Einmal immersive Aufführungen, in denen ich etwas mitsteuern kann. Aber auch der Bereich davor, in der Frage, welche Geschichten im Musiktheater verhandelt werden. Einige Stories sind heute auf der Bühne schwierig zu erzählen. Wir möchten mit Menschen, die zu uns kommen, reden, welche Geschichten sie aus ihren Lebenswelten erzählen möchten. Vielleicht können wir das mit traditionellen Opern in Verbindung setzen, vielleicht aber auch neue Werke erstellen. Wir wollen Menschen – auch Statist*innen – stärker einbeziehen, damit sie sich noch mehr als Teil der Aufführung betrachten.
kultur.west: Das wird ja im Sprechtheater oft gemacht, im Musiktheater ist das schwieriger, oder?
KRAHL: Ja, wegen der musikalisch festgelegten Form. Wir entwickeln da einige Ideen weiter, die andere Künstler*innen und Kollektive schon ausprobiert haben. Es funktioniert, Laien an Schnittstellen einzubeziehen, so dass am Ende ein künstlerisches Werk entsteht, kein Vermittlungsprojekt.
kultur.west: Das MiR.LAB wird ja vom Fonds Neue Wege des NRW-Kultursekretariats und von der Stadt Gelsenkirchen gefördert. Ist das Budget okay für Ihre Arbeit?
KRAHL: Das ist schon eine substanzielle Summe, die uns hier zur Verfügung gestellt wird. Wir können damit unseren Ort etablieren, ein Team zusammenstellen und langfristig angelegte Konzepte für das community building entwickeln. Für einige Projekte, die wir uns vorstellen, müssen wir allerdings auch noch zusätzliche Förderungen akquirieren. Wir planen für den Sommer einen opera city walk, einen Performance-Audiowalk durch die Stadt. Generell kann man sagen: Wir können natürlich nicht mit den Gaming-Welten moderner Computerspiele konkurrieren. Aber das muss ja keine Schwäche sein. Wir werden einfach unsere eigene künstlerische Ästhetik finden.
Das MiR.LAB ist im Rundhöfchen 6 in Gelsenkirchen zu finden und donnerstags von 15 bis 19 Uhr zugänglich.
Zur Person
Die Regisseurin, Cellistin und Komponistin Nora Krahl setzt sich mit der zeitgenössischen Musik und den experimentellen digitalen Formen des Musiktheaters auseinander. Ursprünglich als klassische Cellistin gestartet, widmete sie sich der Musikwissenschaft, bevor sie sich Improvisation und elektronischer Komposition zuwandte und weltweit konzertierte. Seit 2010 in den darstellenden Künsten tätig, arbeitete sie als Musikerin am Schauspielhaus Köln, Deutschen Schauspielhaus Hamburg und an der Staatsoper Berlin. Sie kollaborierte mit Opera Lab Berlin und SHE SHE POP und realisiert seit 2016 eigene Regieprojekte. Als Regisseurin setzt sich Nora Krahl besonders mit Grenzgängen, digitalen Technologien und neuen Erzählformen auseinander.