In Dortmund hat der Tresor.West geöffnet. Einfach eine neue Disco? Nicht ganz, denn der Techno-Club ist eine Filiale des weltweit bekannten Tresor in Berlin. Eine Nacht mit harten Beats.
Um ein Uhr morgens ist der Phoenix-Platz in Dortmund-Hoerde besonders wenig einladend. Öde liegt er zwischen dem noch nicht fertigen Neubau eines Bürohauses und der Warsteiner Music Hall. Von wilder Party keine Spur. So will es die Tradition des Undergrounds: Der Club versteckt sich vor den Nicht-Eingeweihten. An einem neu angelegten Wasserbassin stehen junge Menschen herum und trinken aus großen Plastikflaschen mitgebrachte Alkoholmischungen. Vorglühen, damit der Club-Besuch das studentische Portemonnaie nicht überstrapaziert. Jetzt biegt auch schon der dumpf wummernde Beat um die Ecke.
Die Anfänge in Berlin
Der Tresor in Berlin war 1991 im Untergeschoss eines ehemaligen Wertheim-Kaufhauses eröffnet worden. 2007 musste er aus den namengebenden Tresorräumen in ein ehemaliges Heizkraftwerk umziehen. Techno Detroiter Spielart war von Anfang an die stilbildende Richtschnur. Etliche DJs aus der US-amerikanischen Autostadt spielten ihr erstes Set in Deutschland dort. Auf dem gleichnamigen Plattenlabel erschienen einige ihrer legendärsten Veröffentlichungen. Ab 2004 verlor der Tresor etwas an Bedeutung, weil das »Berghain« ihm den Rang als exzessivster Techno-Club in Berlin streitig machte.
Den Plan, in NRW nun einen zweiten Tresor zu eröffnen, hatte Dimitri Hegemann bereits Mitte der 90er Jahre, damals in seinem Geburtsort Werl. Er scheiterte an der Kommunalpolitik. In den ausgedehnten Lagerräumen unter der Warsteiner Music Hall fand er in Dortmund die passenden Vorraussetzungen für die Umsetzung des Projekts.
Ab Frühjahr mit »Garten«
Es ist wenig überraschend, dass sich der Tresor.West gleich als perfekt gemachter Club zeigt. Dimitri Hegemann weiß, wie es geht. Vor der unscheinbaren Tür sortieren Absperrgitter die Warteschlange und markieren einen vorläufigen Raucherbereich – bis der 2000 Quadratmeter große »Garten« im Frühling eröffnet wird. Im Club herrscht Fotoverbot und jeder Gast muss sich die Kameras seines Smartphones abkleben lassen. Dann ist erstmal Orientierung in den ausgedehnten, labyrinthischen Gängen angesagt. Backsteinmauerwerk, Betonboden, wenig Licht, schwere Eisengitter sperren Seitengänge ab, als lauere dahinter Kerberos.
Zwei Areas gilt es zu entdecken. Im »T.W.« treibt die Bassdrum, der Bass lässt die Schädeldecke vibrieren und die Highhat zischt scharf. Nebel und Stroboskop entgrenzen den Raum. Klassischer Loop-Techno pumpt. Die zweite Area »Ufo« ist den etwas langsameren und experimentelleren Techno-Varianten vorbehalten. Einbauten wie DJ-Pulte und Tresen orientieren sich an der industriellen Rohheit der Räume. Die Atmosphäre stimmt, der Sound ist laut und so brillant, dass er nicht schmerzt.
Konzerthalle für elektronische Musik
Ein gut gemachter Club ist für Dimitri Hegemann allerdings nur der Anfang: »Ich denke, dass der Tresor ein Kick-Off sein sollte, dass andere Clubs nachfolgen, und ich bin im Gespräch mit dem Kulturdezernenten für einen Round-Table, damit wir hier ein bisschen Leben in die Nacht bekommen, vibrating Nightlife.« Zuerst müssten die Verantwortlichen aber begreifen, dass der Tresor.West nicht einfach eine Vergnügungsstätte ist, wie etwa eine Table-Dance-Bar. »Konzerthalle für elektronische Musik«, sagt Hegemann dazu. »Wir sind ein Kulturstandort, der sich nicht nur mit Musik beschäftigt, sondern auch mit Raum, Licht und gesunder Ernährung.« In Zukunft sollen Kunst, Mode und Literatur hinzukommen. Für die weitere Entwicklung der Ausstattung des Clubs sei Hegemann mit Lichtleuten aus dem Studio des Künstlers Olafur Eliasson im Gespräch, im Garten sollen Studierende der Kunsthochschule Düsseldorf arbeiten. »Und dann ist da noch eine ganz alte Idee, die Dortmund merkwürdigerweise annehmen will«, erzählt Hegemann, »eine Bildungseinrichtung für Querdenker, ich nenne das Academy for subcultural understanding.« Manchmal klingt Hegemann wie Dieter Gorny in den Anfangszeiten seines »ECCE«-Projektes.
Vorbild ist für ihn die »Nighttime-Economy« Berlins, für die die dortigen Clubkommission gerade einen Brutto-Umsatz von 168 Millionen Euro im Jahr 2017 geschätzt hat. Allerdings ist Berlin auch längst zu einem Hotspot des weltweiten Party-Tourismus geworden, den kaum mehr als die Musik von Ibiza und Mallorca unterscheidet. Dahin ist es in Dortmund noch ein langer Weg – auch was die vielbeschworene Kreativität der Berliner Szene angeht. Im Tresor.West dominieren T-Shirts und Jeans auf der Tanzfläche, auf der eher gewippt als exzessiv gefeiert wird. Fetisch, Drag oder Genderfluides, wie es die Vorstellung von der Berliner Nacht bestimmt, fehlen. Eine Gruppe junger Frauen trägt sogar bunte Knicklichter als Armreifen, wie es zuletzt Anfang der 90er schick war. Da muss Dortmund noch kräftig aufholen, bis es an Berlin, oder auch nur an Clubs wie die »Rotunde« in Bochum und das »Hotel Shanghai« in Essen heran kommt.