Was bringt uns die Industrie 4.0? Die Themenwoche »Arbeit« des Medienkunstfestivals FUTUR 21 geht in Oberhausen und Bocholt dem spannungsreichen Verhältnis von Mensch und Maschine nach.
Michelangelo musste noch selbst Hand anlegen. Er befreite den Marmor von allem überflüssigen Gestein und legte so die in ihm schlummernde Idee einer Figur frei. Seine nur fragmentarisch erkennbaren Körper, noch halb mit dem Fels verschmolzen, sind heute weltberühmt. Auch Davide Quayola war schon immer fasziniert von der unvollendeten Perfektion des Klassikers. Mit seiner »Sculpture Factory« denkt er den Ansatz des legendären Meisters der Renaissance weiter.
In der Zinkfabrik Altenberg, wo früher Bleche gewalzt und verarbeitet wurden, ersetzt der aus Rom stammende Künstler Micheangelos Hand durch einen Robotor. Auf Basis digitaler Blaupausen befreit sein metallener Arm Schicht um Schicht die Skulptur vom Rohmaterial. Für alle Besucher*innen nachvollziehbar entstehen dabei nicht nur Reproduktionen von Michelangelos Werken. Die Maschine erschafft Abbilder des Menschen, der einmal ihr Schöpfer war.
Davide Quayolas »Sculpture Factory« soll nicht nur eine »Hommage an Michaelangelo« sein, wie er sagt. In der Oberhausener Zinkfabrik, wo mehr als 100 Jahre lang Maschinen den Takt und Rhythmus vorgaben und bald eine neue Dauerausstellung die Auswirkungen der Industrie auf Lebens- und Arbeitswelt untersucht, will seine Roboterarbeit zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Maschine einladen. Wird der Mensch in Zuge der fortschreitenden Automatisierung womöglich eines Tages überflüssig? Und wer hat noch das Sagen: der Algorithmus oder der Geist, der ihn erschaffen hat?
»Für mich wichtig ist die Zusammenarbeit mit einer Intelligenz, die sich von der unseren unterscheidet«, so Davide Quayola. »Ich bin fasziniert davon, wie Maschinen die Art und Weise verändern, wie wir die Welt sehen. Computer verändern sich ständig, sie sehen uns immer ähnlicher, aber letztlich verändern auch wir uns und entwickeln uns in Richtung Technologie.«
Das Spannungsfeld zwischen antiken, klassischen Vorbildern und digitalen Medien durchzieht das Werk Davide Quayolas. »Mich interessiert der Kontrast und wie man diese Ikonen neu sehen kann.« Landschaftsmalerei, klassische Skulptur und Ikonographie dienen ihm als Ausgangspunkt für hybride, multimediale Kompositionen, die auf dem Sundance Film Festival ebenso zu sehen waren wie auf der Ars Electronica in Linz oder im National Art Center in Tokio.
Ein ambivalentes Verhältnis zur Technik zeichnet auch den Beitrag von Atelier E aus, einem Künstlerduo aus Berlin. Ihre Arbeit ist in Bocholt zu sehen und zeigt oberflächlich betrachtet zunächst ein Gewebe aus Licht und Garn. Schimmernde, gleichmäßig fließende Patterns, die schier endlos entstehen und zerfließen. Vereinzelt, langsam ziehen Knoten vorbei. »Loom«, englisch für Webstuhl, heißt das Werk, das eine Kontemplation über den produktiven Prozess sein kann, eine ästhetische Reflexion über die Arbeit der Maschine.
Partitur aus Licht und Garn
Viele hundert dieser mechanischen Anlagen verrichteten einst ihre Arbeit in der florierenden Textilstadt am westlichen Rand des Münsterlandes. Der maschinelle Webstuhl war eine Revolution. Viele Weber machte er Ende des 18. Jahrhunderts mit einem Schlag überflüssig. Die übrigen zwang sie in ein starres Korsett der Bewegungen, damit die Choreografie der Abläufe nicht aus dem Takt geriet. Wie sich die Abläufe und die Lebenswelten der Unternehmen und Arbeiter änderten, lässt sich im »TextilWerk« des LWL anschaulich nachvollziehen. Auch die Arbeit »Loom« will den Blick auf die Automatisierung und deren Auswirkung auf die Arbeitswelten der Menschen lenken.
Daniel Dalfovo und Christian Losert, die als Atelier E gemeinsam ein interdisziplinäres Studio für kreative Technologien gegründet haben und an der Schnittstelle zwischen Kunst, Forschung und Technologie arbeiten, verbinden mit ihrer Partitur aus Licht und Garn aber noch mehr: »Die Webstühle erscheinen uns aus heutiger Sicht wie kunstvolle Relikte einer vergangenen Epoche, deren mechanische Details und Lösungsfindungen meisterlich erdacht wurden.« Gesteuert wird daher ihre audio-visuelle Installation »Loom« von einem alten Steuerungselement aus der Arbeitswelt: der Lochkarte. Sie war die Vorläuferin von digitalen Datenträger-Systemen und bereitete mit ihrem binären Prinzip den Weg für unsere modernen Computer. »Die raumgreifende Licht- und Klanginstallation ‚Loom‘ ist für uns eine Hommage an das von Joseph Marie Jaquard erfundene System der Lochkarte«, erläutern Dalfovo und Losert. Die Garne und Textilien seien zwar verschwunden, die Maschinen außer Betrieb, doch das Prinzip der Mustererzeugung mittels binärer Lochkarten manifestiere sich bis heute: »Das binäre Prinzip des Mediums – die Reduktion von Information auf eine Serie aus zwei möglichen Zuständen – hat bis heute eine Kraft, die zum Wesen unserer beschleunigten Welt wurde.«
Davide Quayola: Sculpture Factory, Zinkfabrik Altenberg
Atelier E: Loom, Textilwerk Bocholt
5. bis 12. März 2022