Catherine Nichols leitet mit Eugen Blume das künstlerische Festprogramm zum Beuys-Jahr 2021. Warum ist der politische Beuys aktueller denn je? Ein Gespräch über die Frage, wie Kunst Gesellschaften verändert.
kultur.west: Beuys würde am 12. Mai 100. Was hat er uns heute noch zu sagen, was macht ihn interessant und relevant für unsere Gegenwart?
Blume: Beuys hat sehr früh Dinge gedacht, die jetzt brennen und sehr viel mehr Menschen beschäftigen als noch vor ein paar Jahren.
Nichols: Die Klimaproblematik, der wachsende Populismus überall – viele Menschen haben aktuell das Gefühl, dagegen eintreten und handeln zu müssen.
Blume: Beuys hat dazu Ideen entwickelt. Er hat darüber nachgedacht, wie man die Gesellschaft reformieren kann. Was zeichnet den Menschen aus? Von dieser Frage ist er ausgegangen und zur Erkenntnis gelangt, dass es die Kreativität ist. Und zwar bezogen auf alle möglichen Bereiche: Wirtschaft, Recht, Umwelt, Pädagogik… Diese Kreativität war für ihn gleichbedeutend mit Kunst. Und das ist der Ausgangspunkt für Beuys‘ Plan, in der Gesellschaft von der Kunst her zu wirken.
Nichols: Toll finde ich, dass er dabei nicht ein festes Ziel in ferner Zukunft vor Augen hatte. Er hat vielmehr an einen fortwährenden Prozess gedacht – eine »permanente Konferenz«, bei der alle mitmachen. Das Prinzip verhindert, dass sich verkrustete Vorstellungen etablieren. Alles wird immer wieder infrage gestellt, mitunter aufgelöst, und gemeinsam den jeweils aktuellen Erfordernissen gemäß neu geformt.
kultur.west: In diese Richtung ging wohl auch Beuys‘ Beitrag zur documenta 1972, wo er im »Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung« 100 Tage lang mit Besuchern diskutiert hat.
Blume: Alte Aufzeichnungen zeigen, dass Beuys dabei überhaupt keine Berührungsängste hatte. Es gab keinerlei Ausgrenzung – wie man es heute so oft beobachtet. Er ließ alle Argumente zu.
kultur.west: Sie haben in der Vergangenheit schon viele Ausstellungen und Projekte zu Beuys realisiert. Wie gehen Sie jetzt unter den gewandelten Vorzeichen an das Thema heran? Wird beuys2021 ein Programm präsentieren, das es vorher so nicht gegeben hätte?
Blume: Ja, im Zentrum steht diesmal auf jeden Fall der politische Beuys, der sehr früh Dinge angesprochen hat, die heute heiß diskutiert werden. 1967 zum Beispiel forderte er einen eigenen Rechtstatus für Tiere und Pflanzen.
Nichols: Spannend finde ich auch, wie Beuys die Menschenrechte mit dem Kapital verkoppelt hat. Dieser Punkt ist mir erst bei den Recherchen zu beuys 2021 richtig klar geworden: Er hat erkannt, dass wir die Menschenrechte zwar haben und aussprechen können, dass sie aber nicht viel wert sind, solange das Kapital alles diktiert. Die Verwirklichung der Menschenrechte ist nach Beuys‘ Überzeugung nur möglich, wenn wir das Geld umwandeln. Eine Forderung, die er seit Mitte der 1970er Jahre immer deutlicher formuliert hat.
kultur.west: Nun kommen im Programm von beuys 2021 ja eine Vielzahl von Veranstaltungen zusammen – organisiert von unterschiedlichen Museen und Institutionen in NRW. Legen alle soviel Wert auf den politischen Beuys?
Nichols: Wir hatten die Idee von Anfang an im Kopf und erst später festgestellt, dass dieses Thema offenbar in der Luft liegt. Auch unsere Kolleg*innen, die weitgehend selbst über ihre Ausstellungen und Projekte bestimmen, interessieren sich ganz besonders für den politischen Beuys.
kultur.west: Dabei fällt auf, dass sehr viele zeitgenössische Künstler*innen mitmachen, fast überall bezieht man aktuelle Positionen ein.
Blume: Das liegt nahe. Denn gegenwärtig gibt es eine starke Hinwendung zu politischen Themen in der Kunst. Wie kann man wirksam werden in politischen Prozessen, ohne Politiker zu werden? Wie kann man ein anderes Energiefeld einführen, was die Politiker nicht haben? Fragen, die Beuys einst umtrieben, geraten heute mehr denn je in den Fokus. Es geht dabei um eine von der Kunst her gedachte Einmischung in die politischen und ökonomischen Verhältnisse.
kultur.west: Doch neben zeitgenössischen Künstler*innen spielen auch andere Leute von heute eine Rolle…
Blume: Ja, Menschen, die man im Sinne von Beuys als Künstler sehen kann, ohne dass sie sich vielleicht selbst als solche beschreiben würden. Greta Thunberg etwa ist so eine Figur: Diese Radikalität, die sie in der Durchsetzung ihrer eigenen Ideen hat – das ist eine Haltung, die mir durchaus verwandt scheint mit dem, was Beuys ein Leben lang gemacht hat.
Die künstlerischen Leiter des Festprogramms:
Eugen Blume (Jahrgang 1951) ist ein Beuys-Kenner und und der ehemalige Leiter des Hamburger Bahnhofs – Museum für Gegenwart in Berlin. Feuer fing er Mitte der 1970er Jahre, während seiner Zeit als Kunsthistoriker und Kurator in der DDR. Catherine Nichols (Jahrgang 1974) stammt aus Australien. Am Hamburger Bahnhof entdeckte die Kunst- und Literaturwissenschaftlerin ihre Faszination für den Künstler vom Niederrhein. Gemeinsam haben Blume und Nichols bereits mehrere Ausstellungen zu Beuys realisiert, darunter die vielbeachtete Retrospektive 2008 in Berlin.