Silke Schönfeld hat viel zu sagen. Beim Treffen im Dortmunder Atelier und noch mehr in ihren Arbeiten. Als Künstlerin nähert sie sich Menschen oder Gemeinschaften. Und findet im Film ein perfektes Medium, ihre Erkenntnisse für andere aufzubereiten.
Silke Schönfeld hat viel zu sagen. Beim Treffen im Dortmunder Atelier und noch mehr in ihren Arbeiten. Als Künstlerin nähert sie sich Menschen oder Gemeinschaften. Und findet wiederum im Film ein perfektes Medium, ihre Erkenntnisse für andere aufzubereiten. Ein Besuch in ihrem Dortmunder Atelier.
Die Adresse lässt aufhorchen. Silke Schönfeld hat ihr Atelier im Künstlerhaus Dortmund, wo offenbar so einige Fäden zusammenlaufen. Zunächst verbinden sich hier Industrie- und Kunstgeschichte. Denn in den 1980er Jahren hatten Künstler*innen das einst als Waschkaue der Zeche Westphalia errichtete Gebäude besetzt und für die Kunst gesichert. Ateliers und Ausstellungen zogen ein. 1996 wurde hier, wo sich früher einmal die Kumpels den Ruß vom Körper schrubbten, der HartwareMedienKunstVerein gegründet.
Da war Schönfeld gerade einmal acht Jahre alt und lebte noch in Idar-Oberstein. Jetzt ist sie 36 und sitzt in ihrem eher kleinen, gemütlichen Arbeitsraum im Erdgeschoss des Künstlerhauses. Mit Couch, Sessel und ein paar Zimmerpflanzen hat sie sich eingerichtet. Am Fenster ein Schreibtisch und darauf der Computer – das reicht. Denn als Bildende Künstlerin konzentriert sie sich ganz auf das Medium Film. Und ist mit ihren Arbeiten derzeit ziemlich präsent bei Festivals und in Ausstellungshäusern.
Beim Besuch steckt Schönfeld mitten in den Vorbereitungen zur Einzelausstellung im HMKV. Hochschwanger eilt sie durchs Künstlerhaus, sucht Schlüssel, kocht Kaffee, bietet Kekse an – überlegt sich dann, das Gespräch doch lieber einige Treppen hinauf ins oberste Stockwerk zu verlegen, wo sie vorübergehend ein zusätzliches Atelier belegen darf und für die Planung der Ausstellung nutzt: Auf dem Tisch ein kleines Modell der Räumlichkeiten des HMKV, mit Fotos, Figürchen und bunten Pappstreifen bestückt. Auf dem Stuhl daneben sind ein paar Stoffmuster abgelegt.
Aus farbigen Vorhängen will die Künstlerin im Dortmunder U runde Kojen für ihre Videoinstallationen schaffen. Insgesamt fünf hat sie ausgesucht. Und beginnt, mit Blick ins Modell, Details dazu auszubreiten. Die jüngste Arbeit, die sie im HMKV präsentieren will, ist noch nicht ganz fertig. Die älteste stammt von 2019: Silke Schönfeld war gerade mit dem Kunststudium fertig, als sie filmisch rund um eine neurechte Bürgerinitiative zu forschen begann.
Erstaunlich, was alles passiert ist in den fünf Jahren, die zwischen den beiden Werken liegen. Ausstellungen hier und dort – gar nicht lange zurück liegt die in der Kunsthalle Bielefeld. Dazu kommt eine Ehrung nach der anderen. 2023 etwa die Auszeichnung bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen und wenig später der Deutsche Kurzfilmpreis für eine Arbeit, die tief in ein dunkles Kapitel der eigenen Familiengeschichte eintaucht: Im Zentrum Schönfelds Mutter, die als Kind vom eigenen Vater sexuell missbraucht worden ist. »Wir haben beide nicht gedacht, dass der Film so große Kreise ziehen würde«, so Schönfeld. »Ich konnte verfolgen, wie meine Mutter mit dem Erfolg auch immer stolzer wurde – darauf, dass sie sich getraut hat, über ihre Geschichte zu sprechen, sie öffentlich zu machen.«
In der eigenen Familie oder in einem Dorf in Sachsen sucht sie ihre Storys. Auch im Kick-Boxring hat Schönfeld schon gedreht und in einer stillgelegten McDonald‘s Filiale in Herne. Wie findet sie ihre doch sehr unterschiedlichen Schauplätze und Geschichten? Das Wichtigste sei ein eigenes Interesse: »Dass ich eine Leidenschaft für das Thema habe, aber vielleicht noch keine feste Haltung dazu.« Die Arbeit am Film kommt für Schönfeld dann oft einer persönlichen Annäherung gleich. Sie schaut und fragt, sucht fremde Lebenswelten zu ergründen, vielleicht auch zu verstehen. Und lässt im Einzelfall immer wieder allgemeine gesellschaftliche Zusammenhänge erkennbar werden.
Dabei bleibt das Ende offen. Es kann vorkommen, dass sie im Prozess die eigene Meinung ändert, oder Vorurteile über Bord wirft. So bei der Dokumentation über traditionelle Mönchszüge, die im sächsischen Oybin entstand. Im ersten Anlauf habe sie die die Prozessionen mit Gesang im Fackelschein voreilig in die Schublade rechts außen sortiert, beim Gespräch mit zwei Beteiligten dann aber schnell gemerkt: »Stopp, das ist keine politische Veranstaltung für die – sie haben ein eher subversives Anliegen, das ich total spannend fand.« Denn sowohl im Nationalsozialismus als auch zu DDR-Zeiten sei alles, was mit der Kirche zu tun hatte, nicht gern gesehen gewesen. »Aber die haben ihr Ding durchgezogen, jedes Jahr.« Die Themen und Interessen scheinen vielfältig. Was alle Arbeiten jedoch verbindet ist Schönfelds ausgeprägtes Interesse am Menschen und sozialen Konstrukten.
Dazu passt ein gewisses Unbehagen, das die Künstlerin an diesem Tag beim Treffen im Atelier beschleicht. Weil sie die ganze Zeit nur von sich und ihrer Arbeit rede, ohne das Gegenüber zu befragen. Eine fremde Situation für eine, die so sehr auf andere eingeht. Die Bilder sammelt und Geschichten, die Fragen stellt, um aus all dem angehäuften Material Erzählungen zu entwickeln. »Wahrscheinlich bin ich erst so spät zum Film gekommen, weil ich immer dachte, man muss vor dem Filmen schon einen festen Plan haben«, so die Künstlerin.
»Dass Filme auch ohne Drehbuch, erst im Prozess entstehen können, war mir lange nicht klar.«
Silke Schönfeld
In der Tat verging einige Zeit, bis sie auf Umwegen zum Film fand. Zuvor hatte sie auf Lehramt Kunst, Philosophie und Deutsch als Fremdsprache studiert und währenddessen an Museum intensiv in der Kunstvermittlung gearbeitet. Auch habe sie leidenschaftlich gern gemalt: »Aber dann habe ich erkannt, dass ich meine Bilder regelmäßig mit Inhalt überfrachte.« Da liegt der Schritt zum bewegten Bild nicht fern. Noch während des Staatsexamens entschloss sich Schönfeld, auf diese Schiene zu wechseln, und startete ihr Studium an den Akademien in Münster und Düsseldorf bei Aernout Mik und Marcel Odenbach.
Seither macht sie mit Begeisterung Filme und hat sich in diesem Medium immer weiter professionalisiert. Was Schönfeld als Malerin in ein einziges Bild gepackt hätte, kann sie nun mit Zeit ausbreiten. Das kommt ihr entgegen, denn sie hat einiges zu sagen – und will damit auch ankommen. »Ich liebe am Film, dass er so niedrigschwellig ist, alle Menschen sehen gerne Bewegtbild«, meint die Künstlerin. »Auch wenn die Themen hart und schwer sind, ist der Zugang da einfacher und direkter.« Was aber auch Gefahren berge, ein Film könne leicht vereinnahmend werden.
Vielleicht ist die Sprache ihrer Arbeiten eher nüchtern und zurückhaltend, um der befürchteten Überwältigung entgegenzuwirken. Lange Einstellungen geben in Schönfelds Filmen Raum und Ruhe für eigene Reflexionen. Der Blick verharrt in der Landschaft um Oybin, im Zimmerpflanzendickicht eines verlassenen Schnellrestaurants oder auf den geschickten Fingern von Tante und Mutter, die strickend aus Kindertagen berichten. Was die beiden zu erzählen haben? Im HMKV kann man es erfahren, wenn Silke Schönfelds Film »Die Unvorzeigbarkeit dessen, was nie hätte geschehen sollen« Premiere feiert.