Die Performance-Ikone Marina Abramović tritt ihre Gastprofessur an der Essener Folkwang Universität der Künste an.
Kerzengerade sitzt sie auf dem Stuhl, die gefalteten Hände in den Schoß gelegt. Korrekt ihr schwarzes Outfit, glatt und glänzend fällt das lange dunkle Haar über die Schulter, ab und zu huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Ein Star auf der Bühne. Das Rampenlicht im kleinen Pina Bausch Theater der Folkwang Universität der Künste fällt auf Marina Abramović. »Kunstpriesterin«, so hat man die Performance-Spezialistin genannt. Das passt. An diesem Tag performt Abramović in eigener Sache – als Inhaberin der ersten Pina-Bausch-Professur. Gleich im Anschluss an den Auftritt vor der Presse wird sie starten und die sorgsam ausgewählten 26 Studierenden, nach einem vorbereitenden Zoom-Meeting im Oktober, nun zum ersten Mal live unterrichten.
Eine Aufgabe, die sie mit Begeisterung angehe, wie die Künstlerin sagt. Auch wenn sie das Lehren eigentlich aufgegeben habe – mit ihren 76 Jahren. Und so kann man es sicher als Coup bezeichnen, der da in Essen mit der Berufung dieser Traumkandidatin gelungen ist. Zu verdanken ist er allein dem Namen Pina Bausch – dieses »magic word« habe sie noch einmal an die Uni locken können, so Abramović. Die 2009 verstorbene legendäre Choreografin ist für sie so etwas wie eine Seelenverwandte. Kompromisslos, radikal, unerbittlich wie Abramović selbst.
Spartenübergreifendes Miteinander
Auch sieht sie in Pina Bauschs ganz und gar nicht klassischem Verständnis des Tanzes enge Beziehungen zur eignen Performance-Kunst: Stehen, gehen, mit nackten Füßen durch den Schnee rennen, das alles sei für sie Tanz gewesen. Neue Möglichkeiten und Wege möchten auch die Initiator*innen der Pina-Bausch-Professur ermöglichen und im spartenübergreifenden Miteinander neue Konzepten auf den Weg bringen. Die Folkwang Universität der Künste hat die Stelle mit Mitteln der Landesregierung NRW eingerichtet und arbeitet dabei zusammen mit der Pina Bausch Foundation. Weitere Unterstützung kommt von der Kunststiftung NRW. Insgesamt ist die Gastprofessur auf fünf Jahre angelegt – bei wechselnder Besetzung.
Mit Abramović zum Start liegt die Latte nun hoch. Seit 1970 entwickelt sie das Medium Performance fort: konsequent und kraftvoll, vollkommen rücksichtslos gegen sich selbst. Heute steht ihr Name nahezu stellvertretend für jene Gattung, die Zeit und Dauer als neue Faktoren in der bildenden Kunst etablierte: 90 Minuten lang spielten Abramović und ihr damaliger Partner Ulay Türsteher im Haupteingang der Galleria d’arte Moderna in Bologna. Wer ins Museum wollte, musste sich damals zwischen dem nackten Paar hindurchzwängen. 736 Stunden saß die Künstlerin auf einem Stuhl im Museum of Modern Art und starrte nacheinander rund 1500 Besuchern ins Gesicht. Und zwölf Tage lang ließ sie sich in einer New Yorker Galerie beim Schlafen, Duschen und Fasten zuschauen.
Leben und Kunst werden eins. Grenzen löst Abramović auf. Auch deshalb ist sie wohl so enthusiastisch, was die spartenübergreifende Zielrichtung des Pina-Bausch-Projekts angeht. Gut 150 Studierende hatten sich um einen Platz in ihrer Klasse beworben. Unter den 26, die sie ausgewählt hat, sind Sänger*innen und Tänzer*innen, Designer*innen, Fotograf*innen und Schauspieler*innen, Regisseur*innen und Komponist*innen im Alter zwischen 17 und 39 Jahren. Was ihr wichtig ist bei der Arbeit mit den Studierenden? Das Erste, was Abramović auf diese Frage in den Sinn kommt ist: Disziplin. Harte Arbeit an der eigenen Kunst, das steht ganz oben auf ihrer Agenda. Ohne Fieber, ohne Feuer gehe es nicht. Diese Überzeugung nimmt man ihr ab.
Push für die jungen Leute
Immer wieder setzte die Künstlerin sich Extremsituationen aus, die sie durchleben will, um einen weiteren Grad der Erkenntnis zu erlangen. Schon 1974 in ihrer Heimatstadt Belgrad, wo Abramović sich in einen brennenden Stern aus Sägespänen legte, zu wenig Sauerstoff bekam und in Ohnmacht fiel. Unglaublich wütend sei sie gewesen, als der Notarzt sie gerettet und die Aktion beendet hatte: »Mein Körper sollte keine Grenzen haben.« Alles Mögliche hat sie durchexerziert, um diese Grenzen auszutesten: stundenlanges Stehen, Gehen, Sitzen, den Verzehr einer großen rohen Zwiebel, Haare kämmen, bis die Kopfhaut blutet.
Junge Leute seien oft faul, brauchten einen Push – den könne sie geben, darin sei sie gut, so die Künstlerin. Ihre Student*innen in Essen sollen in kleinen Gruppen Arbeiten entwickeln. Am Ende ist für Juli eine große Abschluss-Performance geplant. Aber zuvor steht noch eine besondere Herausforderung auf Abramovićs Lehrplan: Sie nennt es »Cleaning the House«. Früh schon hatte die Künstlerin diese Methode entwickelt und gemeinsam mit Ulay Workshops veranstaltet, die Exerzitien gleichen. Meditieren, nichts essen und schweigen. Extrem frühes Aufstehen und das Bad in eiskalten Gewässern konnten auch Teil der Übungen sein.
Folkwang Rektor Andreas Jacob prophezeit, dass die Studierenden in Abramovićs Klasse für ihr Leben prägende Erfahrungen machen werden. Damit dürfte er Recht behalten.