Gottfried Böhm ist in diesem Jahr 100 geworden. In Hürth-Kalscheuren hat man eine seiner Kirchen in eine Galerie verwandelt. Zu Besuch zum virenfreien Kunstgenuss in luftiger Architektur.
Raum. Viel Raum um uns herum. Das brauchen wir jetzt, in Zeiten von Corona. Ganz in der Nähe von Köln, in Hürth-Kalscheuren gibt es das: viel wunderbaren Raum mit Kunst darin. Die »Böhm Chapel« hieß früher, als sie noch eine Kirche war, schlicht St. Ursula und war in Erwartung wachsender Einwohnerzahlen 1956 geweiht worden. Heute ist sie ein Kunstort, den der Galerist Rafael Jablonka eingerichtet hat. Zwei Ausstellungen pro Jahr zeigt er dort – David LaChapelle, Ulrich Rückriem oder Franz Gertsch waren schon zu sehen. Derzeit füllen die Betonskulpturen des US-Amerikaners Michael Heizer die sechs Konchen des Rundbaus. Die »Object Sculptures« wirken ungegenständlich, sie sehen modern aus – um fassen zu können, an was sie erinnern, braucht es einen Hinweis: Es handelt sich um übergroße Nachbildungen steinzeitlicher Werkzeuge. Mit ihrer zeitlosen, eleganten Form scheinen sie wie gemacht für diesen Raum, dessen kuppelförmiges Dach ebenso elegant über ihnen schwebt.
Gottfried Böhm hat einen Zentralbau als moderne Adaption eines antiken Tempels geschaffen, einer der ersten Betonschalenbauten im Erzbistum Köln und eine der wenigen reinen Rundkirchen der Nachkriegszeit. Der kreisförmige Grundriss setzt sich zusammen aus sechs halbrunden Konchen aus nichttragenden Betonschalen. Über und zwischen ihnen spannen sich Glasflächen, deren Gestaltung an Fischernetze erinnert. So entsteht ein Wechselspiel von hellem Licht und geheimnisvollen Schatten, das dem Innenraum immer noch eine religiöse Erhabenheit verleiht, auch wenn die sakrale Ausstattung, die Gottfried Böhm eigens für diesen Raum entworfen hatte, längst entfernt wurde.
Dies geschah 2006 – genau 50 Jahre nach ihrer Weihe wurde die Kirche in einem feierlichen Gottesdienst profaniert. Zu diesem emotionalen Ereignis waren die Kirchenbänke voll besetzt, sonst aber war die Kirche meist leer. Hürth-Kalscheuren war damals hauptsächlich Gewerbegebiet, direkter Nachbar von St. Ursula waren die MMC-Studios, wo Shows und Seifenopern produziert wurden. Auch MMC ist inzwischen umgezogen, das Gelände an den gleichen Projektentwickler verkauft, der damals das Kirchengelände erwarb.
Um die weitere Nutzung der unter Denkmalschutz stehenden Kirche gab es viel Streit, der Käufer beteuerte, er wolle ein Ausstellungs- und Konzerthaus schaffen. Konkret waren aber nur die Pläne, eine Einfamilienhausbebauung bis dicht an den Böhmschen Rundbau zu ziehen. Diese ist tatsächlich entstanden, von einem anderen Unternehmer – und mit Gestaltungsauflagen: Höhe und Farben des Kirchengebäudes werden von den Reihenhäusern aufgenommen, die den Zentralbau in U-Form säumen. Ihnen fehlt aber die gekonnte Linie des Ensembles mit den tragenden Säulen um die Betonschalen und Glasflächen herum und dem freistehenden Glockenturm mittig vor dem Eingang. Aber mit ihrer Zurückhaltung und – mit Verlaub – Spießigkeit kann man sie auch als das sprichwörtliche Dorf um die Kirche interpretieren. Störender ist der einfache Stahlzaun, der sich rund um das Kirchengelände zieht. Das eigens entworfene Tor allerdings, das Rafael Jablonka in den Zaun hat setzen lassen, gleicht dies wieder aus: Es nimmt die Netz-Gestaltung der Kirchenfenster auf und leitet so zum Gebäude hin.
Seit 2010 ist Jablonka Eigentümer der Kirche. Per Zeitungsannonce hatte der ursprüngliche Käufer den Bau angeboten und Jablonka, der damals noch eine Galerie in Köln hatte, griff spontan zu. Nach ein paar Anpassungs- und Renovierungsarbeiten und der Namensgebung – alles in enger Absprache mit Gottfried Böhm – fand schon 2010 die erste Ausstellung statt. Zeit, diesen Ort zu entdecken.
Die Böhm Chapel ist an Samstagen und Sonntagen von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Um 12 Uhr spielen die Glocken im Turm eine Komposition von Philip Glass. Die Ausstellung mit Werken von Michael Heizer läuft bis 20. September 2020.
Zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm und dem zehnjährigen Jubiläum der Böhm Chapel als Galerie ist im Verlag der Buchhandlung Walther König eine Publikation erschienen (mit Text von Wolfgang Pehnt und einemPhoto von Candida Höfer).
Mehr Infos unter: www.boehmchapel.com