Das Konzerthaus Dortmund präsentiert ihn als »Curating Artist«: ein Etikett, das die Vielseitigkeit des Pianisten und Universalmusikers András Schiff allenfalls andeutet.
Vor einigen Jahren im Konzerthaus Wien: András Schiff probt mit einem Kammerorchester eines der Klavierkonzerte von Johann Sebastian Bach. Langsamer Satz, leise Passage. Plötzlich geht die Tür auf, ein Mann im Blau-Kittel betritt den leeren Saal, stampft mit donnernden Schritten quer an der Bühne vorbei und entkommt an der Saaltür gegenüber. Schiff unterbricht die Probe, hebt staunend den Kopf, beginnt mit den Füßen auf seinem Hocker im gleichen Rhythmus zu stampfen, um den Eindringling auf seine Ruhestörung aufmerksam zu machen. Der aber merkt von alldem nichts und verschwindet. Schiff dreht sich zum Orchester, schüttelt wortlos den Kopf und setzt im selben Takt ein, wo er zuvor unterbrochen worden war.
Bezeichnend für Schiff: Kunst ist ihm heilig. Für Respektlosigkeit ist da kein Platz. Aufhalten lässt er sich nicht, aber ein sanfter Schubser an alle, die Kunst verhindern, muss dann doch sein. Der gebürtige Ungar, Jahrgang 1953, der die derzeitigen Um- und Zustände in seinem Herkunftsland mehrfach mit klaren Worten kritisiert hat, zeigt, wenn er es für geboten hält, Haltung. Er twittert nicht, ist kein Stammgast in den Social-Media-Kanälen, dennoch findet sein Wort Gehör. Er kann es sich leisten – Schiff zählt zu den bedeutendsten Pianisten der Welt.
Show-Allüren sind ihm fremd, Starkult und Virtuosentum bedeuten ihm nichts. Seine musikalischen Favoriten heißen nicht Liszt, Tschaikowsky oder Rachmaninow, sondern Mozart, Beethoven, Schubert und – allen voran – Johann Sebastian Bach. »Bach ist das Gegenteil von Egoismus. Darum ist er mir schon allein der wichtigste und größte von allen Komponisten. Ich weiß nicht einmal, ob er wusste, wie genial er war.« Mit Bach hat sich Schiff sein Leben lang befasst. Mit seinen ersten Bach-Aufnahmen verlieh er seiner Karriere frühen Schwung, und zu Bach kehrt er auch heute immer wieder zurück.
Doch jedes Spezialistentum lehnt Schiff ab. Er ist Universalmusiker. Sein Denken kreist nicht nur um den Ruhm des Star-Solisten à la Horowitz, der sich umjubelt an einem schwarzlackierten Kasten mit 88 Tasten auslebt. Schon von früh an hat Schiff Kammermusik gemacht, sich eingeordnet in eine Reihe Gleichberechtigter; er hat Sänger begleitet und ihnen ein instrumentales Geleit zur Seite gestellt, das auf ebenbürtiger Partnerschaft beruht.
1999 gründete er sein eigenes Orchester, die Cappella Andrea Barca. Dahinter steckt ein Wortspiel, denn der historische Andrea Barca war ein Pianist der Mozart-Zeit. Wörtlich übersetzt aber bedeutet Andrea Barca auch: András Schiff. »Die Cappella basiert auf Sympathie, Verständnis, Gleichgestimmtheit und gleichen Vorstellungen – ästhetisch, musikalisch und menschlich.« Die Idee dazu ist allein »aus Interesse, aus Neugierde« entstanden. Anfangs waren es kleiner besetzte Klavierkonzerte, die man gemeinsam erarbeitet hat, dann kamen sinfonische Werke, Oratorien und sogar vereinzelt Opern hinzu.
Wider den Einheitssound!
Wenn Schiff dirigiert, braucht er keinen Taktstock, seine Gesten sind beredt, in ihrer Haltung durchaus markant, aber verständlich, für die Musiker und fürs Publikum. Klang-Rede im Schiff’schen Sinne. Gemeinsamer Nenner: Musik lebt immer vom Atem und von Gesanglichkeit.
Längst ist Schiff auch ein gefragter Lehrer. Musikwettbewerbe lehnt er als sportive Veranstaltungen ohne höheren Erkenntniswert ab. Es geht auch ohne, behauptet er und hat daher vor einigen Jahren das Projekt »Building Bridges« initiiert: »meine Antwort als Alternative zu den vielen Musikwettbewerben«. Gesucht werden Leute, die etwas Persönliches und Besonderes zu sagen haben. Doch das sagt sich leicht. Die von Schiff ausgesuchten Talente erhalten (öffentlichen) Unterricht, dürfen ein Konzertprogramm entwickeln und »können spielen, was sie wollen«. Wichtig sind Kriterien wie Selbstreflexion und Vielseitigkeit.
Das gilt natürlich auch für ihn selbst. Daher begnügt er sich schon seit langem nicht, immer nur auf den gängigen Flügelmodellen der Konzerthäuser zu spielen. Wider den Einheitssound! Schiff lässt sich nicht auf einen Hersteller festlegen. Er variiert, je nach Programm, und reist mit dem passenden eigenen Instrument an. Auch für historische Flügel hegt er flammendes Interesse, ob auf einem Clavichord, einem Wiener Flügel von 1820, auf einem Streicher-Flügel oder einem Blüthner aus dem späteren 19. Jahrhundert oder auf einem Bechstein von 1921, auf dem einst Wilhelm Backhaus gespielt hat. Schiff sucht nach Farben und Wahrhaftigkeit.
Im Konzerthaus Dortmund präsentiert sich Sir András Schiff, von der Queen geadelt, auf unterschiedliche Weise. Als »Curating Artist« hat er einen Klavierabend konzipiert, einen Abend mit Kammermusik und einen Auftritt mit seiner Cappella Barca. Er wird eine Meisterklasse abhalten und für ein öffentliches Gespräch zur Verfügung stehen.
23. Oktober: Gespräch mit András Schiff; Konzerte vom 24. bis 29. Oktober; Öffentliche Masterclass am 25. Oktober; konzerthaus-dortmund.de