Ein großer Parkplatz und ein Stromanschluss reichen, um auch im entlegensten Ort einen temporären Plattenladen zu öffnen. Denn dann macht Michael Lohrmann Halt mit seinem Vinylbus – und 3500 Schallplatten.
Egal, ob blauweiß oder schwarzgelb: Beim Stöbern sind sie alle gleich. Michael Lohrmann, Dormunder seit 30 Jahren und bekennender Borusse, hat daher nur kurz gezögert, bevor er seinen zufällig in Vereinsfarben gestrichenen Vinyl-Bus in die Herzkammer der königsblauen Fan-Gemeinde steuerte. Kaum haben sich die Türen des amerikanischen Schulbusses in Gelsenkirchen geöffnet, sind die Reaktionen so wie schon andernorts in NRW: Die Leute kommen rein und die Mundwinkel gehen noch oben. »Die meisten sehen aus wie Kinder im Laden vollen Süßigkeiten«, sagt Lohrmann. Das Geheimnis ist seine Fracht: 3500 Schallplatten, handverlesen aus seiner fast zehn Mal so großen Sammlung.
2019 war der Vinyl-Bus erstmals in NRW auf Tour gegangen. Folgen sollte 2020 eine umfangreiche Reise durch die ganze Republik folgen. Alles schon gebucht. Aber Corona trat auch bei ihm auf die Bremse. Nach Willich war Gelsenkirchen die zweite Station in diesem Jahr, wo nun wieder nach Herzenslust auf Raritätenjagd gegangen oder nur gestöbert werden konnte. Meist sind es Männer, die meisten sind 50 aufwärts. »Die Mär vom alten weißen Mann ist hier nicht negativ behaftet«, schmunzelt Lohrmann. Und die Erfahrung zeigt ihm vor allem eines: »Vinyl ist nicht tot und es war nie.«
Seit Ende der Nuller-Jahre erlebt die Platte eine Umsatzsteigerung, von der manches Dax-Unternehmen gern träumen würde. Insgesamt 4,2 Millionen Schallplatten wurden 2020 verkauft. Seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts hat sich die Zahl der abgesetzten Exemplare damit versechsfacht. Wer künstlerisch etwas auf sich hält, lässt wieder pressen.
Der Trend zeichnete sich schon ab, als Lohrmann 2015 Mint aus der Taufe hob, das Fachblatt für die Vinyl-Szene, das heute mehrere zehntausend Leser monatlich über Trends und Technik informiert. Es war bereits sein dritter Streich. Mit den Magazinen Visions und Galore hatte er bereits zwei viel beachtete Titel in den Zeitschriften-Markt gesetzt. 2018 zog er sich aus dem Verlegergeschäft weitgehend zurück und folgt seither seiner bis dato privat gepflegten Leidenschaft. Lohrmann hatte schon vorher »aus Spaß« alte Sammlungen aufgekauft. Rock und Independent vor allem, da kennt er sich aus. Nun kaufte er einen alten amerikanischen Bus und machte sich ans Werk. »Ich hatte ja schon vorher viel gearbeitet. Aber das war Hardcore.« Auch wenn der ehemalige US-Schulbus schon mit TÜV geliefert wurde: An den Bodenplatten nagte Rost, das Dach hatte kleine Löcher, und die Dämmung war auf die Verhältnisse in Florida zugeschnitten, nicht aber auf die in Mitteleuropa. Kisten für die teure Plattenfracht wurden eigens hergestellt, ausgepolstert und stabil verankert. Die Umbauarbeiten dauerten ein Jahr.
Schwerte, Holzwickede, Paderborn. Grundsätzlich reichen ein hinreichend großer Parkplatz und ein Stromanschluss, um auch im entlegensten Ort einen temporären Plattenladen zu öffnen, wo es keinen mehr gibt. Wo es einen gibt, sorgt Lohrmanns auffälliges Gefährt für zusätzliche Aufmerksamkeit. Man kennt sich ohnehin, und als Gründer des Fachblattes ist er in der Szene bestens vernetzt.
Die Resonanz spricht für sein Idee: »Die Leute rennen mir den Laden ein.« Und kaum einer geht mit leeren Händen wieder hinaus. »Manche Fans haben hier schon für über tausend Euro eingekauft«, sagt Lohrmann. Denn: Vinyl wird nicht nur als Hobby wieder entdeckt. Die Preise für gut erhaltenes Vinyl sind parallel mit der Nachfrage nach Neuware deutlich gestiegen, und manch einer spekuliert bereits auf seltenes Hartplastik als Wertanlage in Krisenzeiten.
Nächste Tourtermine in NRW: 5. Oktober: Gütersloh, 8. Oktober: Coesfeld, 12. Oktober: Hagen, 13. Oktober: Moers, 14. Oktober: Wuppertal, 15. Oktober: Bergkamen, 18. Oktober: Ratingen, 21. Oktober: Lüdenscheid, 22. Oktober: Mülheim an der Ruhr, 28. Oktober: Bielefeld, 29. Oktober: Bochum; vinylbus.de