Längst ist die Digitalisierung als Thema in den Museen angekommen. Man produziert Trailer, Digital-Guides oder Apps. Mit Corona bringt die Krise nun täglich Neues hervor. Was ist davon zu halten?
Da sieht man sie allein durch die Säle streifen. Direktor*innen und Kurator*innen, die sich vor geliebte Werken stellen und ihre Sätze aufsagen. Das Netz ist voll von solchen Auftritten. Wenn der Fotoexperte uns zu Aenne Biermanns Schau im Museum Folkwang begrüßt, dann winkt neben ihm eine entkernte Avocado. Und im Museum Ludwig wackelt die Kamera ein bisschen, weil der Direktor das Handy selbst hält, während er erzählt, warum der mehrdeutige Gesichtsausdruck von Gabriele Münters Knaben so gut in unsere Zeit passt. Fast schwindelig wird einem beim Sprint durch die Sammlungssäle im K20: Kandinsky, Mondrian, Bacon, Beuys im Zeitraffer.
Während also im wahren Museumsleben, drinnen in den Ausstellungsräumen, alles leer und leise geworden ist, tobt draußen auf den Websites und in den sozialen Netzwerken der Bär. Auf allen Kanälen, quer durch die Accounts. Im Museum Folkwang heißt es »exploring the collection«, das Kunstmuseum Bonn blickt »behind the scenes«, die Kunstsammlung NRW widmet sich »Fragen, für die man nie Zeit hatte«. Und alle schauen zu. Auch mit virtuellen 360-Grad-Touren versucht man hier und da, dem Kunstfan die schwere Zeit der Ausstellungs-Abstinenz zu erleichtern – doch wirken die Rundgänge am Bildschirm eher deprimierend als tröstlich.
Etwas erfreulicher die Idee von WDR 3: Unter dem Motto »allein im museum« bietet der Sender den Museumsleuten in NRW eine Bühne für kleine Geister-Führungen durch ihre verwaisten Häuser, mitunter begleitet von blinkenden Pfeilen oder zwinkernden Katzen. Auf dem Weg zeigen sie uns ihre Lieblingswerke und berichten, wie es jetzt bei ihnen aussieht, wer überhaupt noch vor Ort ist und wie es für sie weitergehen könnte.
Besonders einfallsreich in kontaktarmen Zeiten zeigt sich das Museum Ludwig, wo in diesen Tagen und Wochen alle in die Produktion für Instagram, Youtube & Co. eingebunden scheinen. Da gibt’s etwa »digitaltours« und das »museum from home«, diverse Kunst-Quiz-Spielereien und für das Wochenende eine »art challenge«, die uns mit dem Teilen von Blumenbildern aufmuntern möchte. Es ist ein Feuerwerk an Schnellschüssen, ausgelöst durch die Krise und mehr oder weniger zielsicher ins Netz gesetzt.
Langfristig geplant: Die Kinderseite des Kunstpalast
Diesen spontanen Projekten stehen überall langfristig geplante Vorhaben gegenüber. Einige sind schon online, wie eine vom Kunstpalast erdachte Kinderseite, die erste und einzige eines deutschen Museums. Oder die App des Museum Folkwang – sie führt den Besucher mit allerhand Informationen durchs Haus, funktioniert aber auch ohne den Blick aufs Original. Daneben sei man gerade dabei, die bisher nur mit Highlights bestückte »Sammlung Online« massiv auszubauen, erklärt Museumsleiter Peter Gorschlüter.
Schon seit Jahren produziert die Bundeskunsthalle Clips, Trailer und kleinere Filme zu ihren Ausstellungen und Veranstaltungen – dafür hat sie einen eigenen Kameramann und Schnittplätze vor Ort. Wenn im Sommer die neue Intendantin nach Bonn komme (ein Interview mit Eva Kraus finden Sie hier), wolle man das Repertoire um eine etwas persönlichere Note bereichern – etwa zeigen, wer in der Bundeskunsthalle arbeitet und hinter der Projekten steht, so Pressesprecher Sven Bergmann.
Im Museum Ludwig wurde jüngst erst eine Mitarbeiterin eingestellt, die künftig regelmäßig Podcasts erarbeiten wird. »Da sollen nicht Experten zu Experten sprechen«, sagt Direktor Yilmaz Dziewior. Vielmehr gehe es ihm darum, zu zeigen wie das Museum funktioniert und die Institution auf diese Weise nahbarer zu machen. Erste Podcast-Folgen, die ab Sommer online gehen, werden zunächst mit den verschiedenen Abteilungen des Instituts bekannt machen.
Digital-Guide mit Bildern, Texten und Zitaten
Vielversprechender noch erscheint das Online-Vorhaben der Kunstsammlung NRW, die mit der noch laufenden Picasso-Ausstellung unlängst ihre Serie »K+« gestartet hat. Ein Digital-Guide, der das Thema mit Bildern, Texten und Zitaten, Timelines, vielen historischen Fotos, kleinen Filmen und Audios aufbereitet. Werke werden beschrieben und eingeordnet, man lernt Wegbegleiter kennen oder gewinnt Einblicke in die Lebenswelt des Künstlers: Das Atelier, Picassos Stammlokal, den kleinen Park, wo er oft mit seinem Hund spazieren ging… Eine runde, fundierte Sache. Aktuell arbeite man an einer zweiten Folge, die auf ähnliche Weise die für September geplante Thomas-Ruff-Ausstellung begleiten soll.
Von den NRW-Museen wünschte man sich mehr solch sorgfältig recherchierter Online-Angebote, die mit den technischen Möglichkeiten des Mediums umzugehen wissen. Hier gibt es noch viel Spielraum nach oben. Weit abgeschlagen rangieren die hiesigen Kunstmuseen etwa hinter Vorreitern wie dem Frankfurter Städel, das online diverse Register zieht und demnächst mit einem aufwändig gestalteten Tablet-Game sicher auch Kinder ab acht im Handumdrehen mit seiner Sammlung vertraut machen kann. Hier gibt es in NRW noch einiges zu tun.
Bleibt die Frage, ob die Museen daneben nicht vielleicht auch die vielen spontanen Ideen und Initiativen, die der Shutdown hervorgebracht hat, in irgendeiner Form verfolgen sollten. Mit Zurückhaltung beantwortet Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung NRW, diese Frage: Man müsse prüfen, ob die Formate den eigenen Ansprüchen genügen. Etwas offener Yilmaz Dziewior: »Die Not macht erfinderisch, und davon können wir auch nach der Wiedereröffnung unseres Hauses profitieren.« Formate, die funktionieren, will er fortführen, wenn die personellen Ressourcen es erlauben.
Schon vor Corona war das Kölner Museum speziell in den Social Media recht umtriebig und sammelte speziell in den letzten Wochen viele neue Follower. Inzwischen ist man bei 57.000 Abonnenten auf Instagram; Bundeskunsthalle und Kunstsammlung NRW kommen nicht einmal auf die Hälfte. Ein Erfolg, der sich – und das ist entscheidend – auch im realen Museumsleben niederschlägt. Zum Beispiel am »Langen Donnerstag«, der einmal im Monat vor allem viele junge Leute lockt. Die meisten informierten sich via Instagram oder Facebook über das besondere Angebot, so habe man ermittelt, sagt Dziewior.
Das sollte sich klar machen, wer die inhaltlich zuweilen eher platten und technisch etwas unbeholfenen Auftritte des Museumspersonals in den sozialen Medien belächelt. Statt nach dem didaktischen Nutzen von digitalen Diashows oder kunsthistorischen Quizspielen zu fragen, sollte man lieber auf die Zielgruppe schauen. Beim 16-Jähriger weckt der witzige Picasso-Post sicher eher Interesse als ein ausführliches Digitorial. Es muss alles geben – das Tablet-Game und das schnelle Pop-Art-Quiz, den kunsthistorisch fundierten Hintergrund und die wissenschaftlich aufbereitete »Sammlung Online«. Wer weiß, vielleicht helfen die vielen unbefangenen Experimente der Corona-Zeit ja dabei, den Nutzen und die Notwendigkeit neuer, spielerischer Formen der Vermittlung zu erkennen und die hehre Museumskunst im Netz etwas lockerer zu betrachten.