15. April 1874: In Paris eröffnet die erste Ausstellung der bald darauf »Impressionisten« genannten Künstler*innen. Das Wallraf in Köln nimmt den runden Jahrestag zum Anlass für eine große Schau.
Soeben erwacht auf schäumender Gischt. Umschmeichelt vom langen seidigen Haar und geblendet vom hellen Licht. Komplett nackt räkelt sich Alexandre Cabanels Göttin im Wellenbett. Glatt die Haut, zartrosa der Teint. Ein Skandal wäre es gewesen, hätte der Maler diese unverschämte Schönheit in seinem Gemälde nicht als »Venus« ausgegeben. So betitelt jedoch, konnte sie vom Publikum des Pariser Salons 1863 ganz ungeniert betrachtet werden. Wie in jedem Jahr waren es wieder Hunderttausende, die sich bei diesem staatlich gelenkten Kunstevent in den Sälen drängten. Auch Napoleon III. kam, sah und sicherte sich Cabanels vielbeachtete Liebesgöttin für seine privaten Gemächer.
Der offizielle Salon entschied über Künstlerkarrieren. Wer die konservativ besetzte Jury überzeugte und hier ausstellen durfte, hatte gute Karten. Der oft fortschrittlichere Rest konnte sich dagegen kaum Chancen auf dem Markt ausrechnen. Cabanel zumindest war nach 1863 ein gemachter Mann, auch wenn seine zuckersüße Venus heute eher belächelt, denn bewundert wird.
Sie ist mittlerweile zu Hause im Pariser Musée d‘Orsay und aktuell zu Gast im Kölner Wallraf-Richartz Museum. Denn hier feiert man mit einer großen Ausstellung den runden Geburtstag des Impressionismus. Am 15. April ist es genau 150 Jahre her, dass in Paris die erste Ausstellung der bald darauf »Impressionisten« genannten Künstler*innen eröffnet wurde – im Nachhinein eines der bedeutendsten Ereignisse in der europäischen Kunstgeschichte, dessen runder Jahrestag im Ausstellungsbetrieb hierzulande ansonsten keinerlei Niederschlag findet.
Nun drängt sich natürlich die Frage auf, was Cabanels rund herum akademisch gemalte Venus auf der Kölner Geburtstagsfeier für die Impressionisten verloren hat. Die Antwort gibt Kuratorin Barbara Schaefer, die sich als Organisatorin des Fests gegen die geschlossene Gesellschaft entschieden hat. Sie zeigt die große ganze künstlerische Gemengelage rund um das denkwürdige Datum. Dazu bringt sie im Wallraf Werke aus drei bewegten, wichtigen Jahrzehnten zusammen – von den frühen 1860er bis in die 1880er Jahre reicht das Spektrum.
Brillant Eduard Manets »Toter Torero« von 1864, wie er ausgestreckt den dunklen Bildraum ausfüllt – vom pomadigen Schopf rechts vorne bis zu den polierten Schuhen, die links hinten in der Ecke glänzen. Eigenartig Théodore Rousseaus Jura-Landschaft, 1865 in feinen Punkten detailliert und wie im Weitwinkel erfasst. Stürmisch Claude Monets 1866 gemalte »Grüne Welle« in rauer See mit wild bewegten Segelbooten.
Schnell wird klar, dass die allzu scharf gezogene Grenze nicht hält: Hier die angestaubt akademische Salonmalerei, dort die freie fortschrittliche Kunst der avantgardistischen Impressionisten. Das wäre viel zu einfach. Denn der Impressionismus hat eine lange Vorgeschichte, in der auch der Salon eine Rolle spielt. Die Kölner Schau beschreibt allmähliche Übergänge, macht klar, wie schleichend doch diese künstlerische Revolution verlief. Und startet nicht umsonst 1863. Mit Cabanel und Konsorten, die im Salon nicht unter sich blieben. Traditionelle Tendenzen überwogen zwar in der offiziellen Leistungsschau, doch neben akademisch glatt gemalten Heroen und Historien bekam beispielsweise auch ein Maler wie Jean-François Millet einen Platz für seinen radikal realistischen »Mann mit der Hacke«. So viel Mut hätte man der Salonjury kaum zugetraut. Auch in der Kölner Schau ist der sozialkritische Ackerbauer nun präsent – allein auf dem Feld, am Ende seiner Kräfte.
Ein für die Kunstgeschichte viel wegweisenderes Ereignis ging in diesem wichtigen Jahr 1863 allerdings direkt neben dem Salon über die Bühne. Denn während Millet mit seinem abgekämpften Landarbeiter Einlass fand, wurden wieder unzählige innovative Kollegen abgewiesen und rebellierten noch lauter als in den Jahren zuvor. Auf Ausgleich bedacht, rief der Kaiser persönlich für die Zurückgewiesenen den »Salon des Refusés« ins Leben. Und brachte damit, sicher ungewollt, die Kunst-Revolution ins Rollen.
Der Druck war weg. Denn von nun an gab es parallel zum offiziellen Salon eine große Bühne, die offen war. Auch für jene, die aus der Reihe tanzten, die frei und fern der Vorstellungen einer konservativen Jury nach neuen Wegen suchten. In der Köln Schau treffen sie jetzt aufeinander – Zugelassene und Zurückgewiesene der Jahre 1863 bis 1874. Daumen hoch hieß es für Berthe Morisot. Mit ihrer Träumerin, die versunken am Flussufer ruht, wurde sie vorgelassen im Salon. Mitten in der Natur zeigt Morisot ihr Modell. Ein mythologisches Mäntelchen, wie bei Cabanels Venus, ist hier nicht nötig, denn die junge Frau trägt ihr eigenes Kleid und kommt ohne erotische Anspielungen aus.
Claude Monet musste dagegen draußen bleiben und seine »Frauen im Garten« bei den Refüsierten ausstellen. Vielleicht stieß sich die Jury am flüchtigen Mal-Duktus im sonnenbeschienenen Grün. Die runzelige Großmutter, von François Bonvin ganz unmittelbar und realistisch ins Bild gesetzt, war den Juroren dagegen genehm. Anders Paul Cézannes krudes Porträt des Dichterfreundes Antony Valabrègue, das wohl missfiel, weil dem jungen Mann statt feiner Pinsel das Palettenmesser des Malers ins Gesicht geschrieben scheint.
Über zehn Jahre fanden unangepasste Ideen wie diese im »Salon des Refusés« ihr Forum – allerdings unter offizieller Ägide. Naheliegend scheint der nächste Schritt: Eine Schau, die von den progressiven Künstler*innen in Eigenregie durchgeführt wird. 1874 war es soweit. Beim »Salon des Independants« kam im ehemaligen Atelier des Fotografen Nadar die Avantgarde zusammen – und zog reichlich Häme auf sich. Ein »Vergehen gegen die künstlerischen Manieren, gegen die großen Meister und die Form« sei ihre Ausstellung, so wetterte die Kritik.
Derzeit rekonstruiert eine Jubiläumsschau im Pariser Musée d‘Orsay das einst beschimpfte, heute gefeierte Ereignis. Darum muss Köln ausweichen und präsentiert ausgewählte Exponate der sieben folgenden Ausstellungen der »Unabhängigen«. 1886 fand die letzte statt. Da hatte der mittlerweile etablierte Impressionismus seine Hochzeit bereits überschritten. Und die nächsten Neuerer bekamen den Spott ab. Allen voran Georges Seurat und Paul Signac. Das Wallraf zeigt Signacs »Ansicht des Hafens von Saint Briac«, die mit grünen und violetten Akzenten im blauen Meer bereits die Anfänge des Pointillismus erahnen lässt. Verhöhnte man einst die »Impressionisten«, so wird man sich nun bald auf die »Konfettikunst« einschießen.
»1863 – Paris – 1874. Revolution in der Kunst«
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
bis 28. Juli
Wallraf 200
Der runde Impressionist*innen-Geburtstag ist nicht das einzige Jubiläum, das 2024 begangen wird. Man gedenkt im Wallraf-Richatz-Museum auch des großen Gönners Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824), der vor 200 Jahren starb und der Stadt all seine Schätze vermachte: rund 2000 Gemälde, über 500 Handschriften, mehr als 40.000 Kupferstiche, Holzschnitte und Zeichnungen, dazu mittelalterliche Rüstungen und Waffen, antike Funde, Bücher, Urkunden und Mineralien. Es war die Geburtsstunde der Kölner Museen. Ein wichtiger Punkt im Jubiläumsprogramm wird ab Herbst die Ausstellung »Museum der Museen« im Wallraf sein. Eine Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und Sehens, die von Wunderkammern und barocken Gemäldegalerien über radikale Künstlerkonzepte von Daniel Spoerri und John Cage bis in das Museum der Zukunft führt (11. Oktober bis 9. Februar). Weitere Ausstellungen gibt es im Historischen Archiv der Stadt, wo unter dem Titel »Ein Buch ist ein Ort« die Bibliothek von Ferdinand Franz Wallraf in den Fokus rückt (bis 9. Juni). Und im Stadtmuseum, das mit einer digitalen Präsentation über alle Etagen hinweg unterschiedliche Aspekte der Sammelleidenschaft anschaulich macht – von Ferdinand Franz Wallraf ausgehend, bis hin zu heutigen Sammlungen (27. September bis 24. November). Das Projekt »WASTA – Wallraf Street Art« holt den Kölner Großsammler im September auch auf die Straßen der Stadt: Ferdinand Franz Wallraf selbst schmückte Köln für besondere Anlässe mit ephemeren Inschriften. Als »Urban Tweet« werden zehn Künstler*innen an diese Idee anknüpfen und Installationen in den öffentlichen Raum bringen (5. bis 15. September).