»Als junger Mann in New York war er arm, hässlich, unbeliebt, das Kind von Einwanderern, homosexuell, unerträglich schüchtern, ein Außenseiter in jeder Beziehung«, so startet unter A wie Andy das Warhol-Alphabet im Katalog. Die Ausstellung dazu will sich zum ersten Mal gründlich um den Menschen hinter dem Pop-Art-Mythos kümmern. Will versuchen, Warhols Werk mit Blick auf die besondere Biografie besser zu verstehen und in einem zeigen, was der 1987 verstorbene Künstlerstar einer jüngeren Generation heute, im Zeitalter von Migration und gesellschaftlicher Diversität, zu sagen hat. Ein großes Vorhaben, für das sich das Kölner Museum Ludwig zusammengetan hat mit der Tate Modern in London, wo die Schau bis in den September hinein zu sehen war. Neben den bekannten Cola-Flaschen, den Campbell’s-Dosen, neben den prominenten Siebdruckporträts von Marilyn bis Mao kommt auch allerhand zum Vorschein, das weniger geläufig ist.
Zum Beispiel drei von mehr als 100 Perücken zwischen strohblond und hellbraun, die der Künstler trug, seitdem er in den 50er Jahren die ersten Haare verlor. Private Seiten schlägt auch Warhols Anti-Film »Sleep« von 1963 auf. Stundenlang schaut der Künstler da seinem Liebhaber, dem Dichter John Giorno, beim Schlafen zu. Zeigt, wie er sich wälzt und lächelt. Dazu passt eine ganze Reihe schlichter, intimer Strichzeichnung anonymer Männer, die Warhol mit Ende 20 in New York zu Papier bracht. Eine ganz andere Sprache sprechen die großen farbigen Akte der »Torso«-Serie aus den 1970ern und die schrillen »Ladies and Gentlemen«-Bilder, für die Drag Queens und Transfrauen aus New Yorker Nachtclubs posierten. Im bunten Großformat ebnet Warhol der Subkultur den Weg in die Popkultur.
Eines von drei Hauptkapiteln der Ausstellung heißt »Queer«. Die anderen beiden sind mit »Immigrant« und »Tod/Religion« überschrieben. Aus diesen speziellen, persönlich, biografisch geprägten Blickwinkeln wird das Werk aufgefächert und neu gesehen. Dabei helfen Familienfotos oder auch der Film »Mrs. Warhol«, den der Künstler 1965 mit seiner 76-jährigen Mutter drehte. Die spielte auch in Andys Leben eine Hauptrolle: Julia Warhol wohnte im Souterrain seines Hauses, kochte ihm Suppe, kümmerte sich um ihre siamesischen Katzen und verfolgte die Karriere ihres Sohnes. Die Schau in London erinnerte etwa an einen spektakulären Auftritt in der Galerie Leo Castelli, wo Warhol 1966 seine »Silver Clouds« steigen ließ. Sicher werden die silberglänzenden, mit Helium gefüllten Luftkissen auch in Köln Eindruck machen – schwebend, verspielt.
Alles Unbeschwerte platzte am 3. Juni 1968, als Warhol einen Mordanschlag nur knapp überlebte. Die Ärzte brauchten fünf Stunden, um Lunge, Leber, Gallenblase, Milz, Speiseröhre, Darm und Lungenarterie zu reparieren und ihn zurück ins Leben zu holen, das von nun an ein anderes war. Richard Avedon fotografierte seinen kreuz und quer vernarbten Oberkörper. In Warhols Werk wird nun stärker sichtbar, was ihn von Kindheit an prägte: Die Angst vor dem Tod verfolgte ihn, seit er das qualvolle Sterben seines Vaters miterleben musste. Hinzu kommt die Religion: Die Eltern hatten den Jungen streng griechisch-katholisch erzogen – Kirchgänge waren an der Tagesordnung.
Sicher nicht zufällig zeigt der Künstler Marylin Monroe in seinem runden Seidendruck wie eine »wahre Ikone«: eine eigenartige Vermischung von Heiligen- und Starkult. Unmittelbarer noch spiegeln in den 1980er Jahren Werke wie die Siebdruck-»Crosses« seine religiöse Prägung – interessant, wie selbstverständlich er das zuvor auf Cola-Flaschen, Promi-Porträts, elektrische Stühle oder Dollar-Noten angewandte Prinzip der Siebdruckreihe auf das christliche Kreuzmotiv überträgt.
»Wenn Sie alles über Andy Warhol wissen wollen, dann brauchen Sie sich nur die Oberfläche anzuschauen, die Oberfläche meiner Bilder, meiner Filme, meiner Person – und schon wissen Sie, was es mit mir auf sich hat. Hinter der Oberfläche ist nichts«, mit solchen Sprüchen hat er sein Image begründet. Es wird sicher spannend sein, in Köln hinter der oberflächlichen Kunstfigur den Menschen Warhol zu entdecken.
Museum Ludwig, Köln
9. März bis 13. Juni 2021