Einer kehrt zurück, Max. Er fragt nach den Seinen und weshalb der Mann auf dem Bauernhof ihn, seine Frau und seinen Sohn verraten habe. Der Bauer schlägt ihn nieder: Juden könne man immer noch töten, auch wenn der Krieg verloren gegangen sei.
Deutschland, 1945 – eine andere Geschichte. Eine beinahe geheime, lange verschwiegen, die in Israel auch erst spät öffentlich diskutiert und von Zeugen bestätigt wurde. Max ist Jude und hat die Konzentrationslager überlebt. Heimat gibt es nicht mehr. Er und ein alter Mann, Avraham (Yehuda Almagor), suchen nach Essen und treffen auf einen Trupp der Jüdischen Brigade – einer Einheit aus Palästina, die in der Britischen Armee dient, und nun auf dem zerstörten Kontinent Aufräumarbeit leistet. Sie helfen bei der Organisation von Flüchtlingscamps; und sie machen Namen und Aufenthalt untergetauchter Männer und Frauen ausfindig, die an der Todesmaschinerie beteiligt waren, SS-Offiziere, Schreibtischtäter, Verantwortliche für Erschießungskommandos, Wachpersonal in den KZs. Sie richten sie und richten sie hin, wenn ihre Verbrechen durch zwei Personen beglaubigt wurden. Selbstjustiz nach Regularien.
Es sind nicht nur inoffizielle, sondern illegale Aktionen, an den Alliierten vorbei und auch von jüdischen bzw. zionistischen Organisationen weder genehmigt noch überhaupt mit deren Einverständnis. Max schließt sich der Gruppe unter Führung von Michael (Michael Aloni) an. Im KZ war er gezwungen worden, die Ankommenden an der Rampe zu empfangen, ihnen das Gepäck abzunehmen und sie anzulügen. »Lämmer zur Schlachtbank« führen, das ist der Selbstvorwurf, mit dem Max zu leben hat. Es war dies auch der absurde Vorwurf an die Opfer – und wurde Teil der historischen Debatte bis hin zu Hannah Arendts Buch über »Eichmann in Jerusalem« und darin enthaltene kritische Überlegungen zur Funktion der jüdischen Kapos.
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Neben der Brigade operiert ein zweites Kommando aus dem Dunklen heraus: die Zelle Nakam unter Leitung von Abba Kovner (Ishai Golan). Es sind Überlebende, ehemalige Opfer der NS-Gewaltherrschaft in Europa, die Aufenthalt hatten in der Hölle. Ihre Vergeltung wählt andere Wege. Sie wollen nicht nur verantwortliche Täter töten, sondern auch deutsche Zivilisten in mehreren Städten, darunter Köln, Hamburg, München und Nürnberg: gewissermaßen im Namen des jüdischen Volkes. Sie schleusen eigene Leute, darunter Max, in die Wasserwerke ein, um das Wasser zu vergiften. Sechs Millionen tote Deutsche für sechs Millionen getötete Juden.
Im Alten Testament, 3. Buch Mose, 24, Vers 20 heißt es: »Und wer seinen Nächsten verletzt, dem soll man tun, wie er getan hat. Schaden um Schaden, Auge um Auge, Zahn um Zahn; wie er einen Menschen verletzt hat, so soll man ihm auch tun.« Nicht mehr, nicht weniger. So dekretiert die Bibel nicht das Prinzip Rache, sondern spricht Recht.
Ein Zeichen! Sühne für Kollektivschuld. Falls es die gibt. Auch diese Frage spaltet den Diskurs. Vom Film nur angerissen wird in dem Zusammenhang, inwiefern der Marshall-Plan und die allzu flinke Entnazifizierung politisch korrekt und für die westliche Nachkriegsordnung opportun waren.
Das ist die verbürgte Geschichte von »Plan A«, die Doron und Yoav Paz erzählen. Dass die Israelis Thriller-Regisseure sind, die dem Regelwerk des Genres folgen und den Preis kennen, der die Beherrschung dieser Mittel kostet, wissen sie, wohl nicht zuletzt durch Steven Spielberg und »Schindlers Liste«. Spannungsdramaturgie (wie herankommen an die Verteilerstelle im Wasserwerk?, woher das Gift beschaffen?, Austricksen der Gegenseite) und Emotionalisierung (Traumata und Erinnerungs-schmerzen der Überlebenden, eine knappe Love Story) sind notwendig, aber heikel angesichts des Themas. Anders gesagt: Indiana Jones konnte zwar gegen Nazis um den Gral kämpfen, aber ihn nach Auschwitz zu führen, hätte sich verboten.
Starker Epilog
Vielleicht lässt sich das moralische Problem für einen Film nur ästhetisch lösen, so wie ein Buch eine eigene, bisher ungeschriebene Sprache für das sprachlos Machende finden muss, denken wir an Primo Levi oder Imre Kertész. Und da ist »Plan A« nicht befriedigend: handwerklich solide und konventionell, in bräunliche Farben getunkt, mit hochgeschraubter Musik, an manchen Stellen ungelenk und mit israelischen und deutschen Darstellern wie August Diehl, der auch als Max nichts verkehrt macht, wenn er den Zweikampf mit seinem Gewissen bestehen muss.
»Plan A« hat – wie Leon Uris’ / Otto Premingers »Exodus« – die Antwort auf die Gewissensentscheidung: Sie heißt Israel. Der Triumph über Nazi-Deutschland besteht im Schaffen des jüdischen Staates. Was bedeutet Siegen: zu töten, was getötet oder das Töten zugelassen hat, oder am Leben zu sein und damit das mörderische System zu überwinden? Am Ende von »Plan A« sehen wir – ähnlich wie im Epilog von »Schindlers Liste« – einige sehr alte Menschen, die damals mit dabei waren. Das ist die beste Szene des Films: die echte.
»Plan A«, Regie: Doron und Yoav Paz, Israel / Deutschland 2020, 104 Min. Start: 9. Dezember.