Neben Romanen, die ganz aus der Psychologie der Figuren erstehen, hat Michael Köhlmeier auch solche geschrieben – und nicht seine unwichtigsten –, in denen Individuelles am Gitter des Historischen emporwächst, etwa »Abendland«, dem das ganze 20. Jahrhundert Raster und Rahmen bildet.
So verfährt Köhlmeier auch in seinem jüngsten Roman; allerdings ist die historische Rankhilfe hier armdick und durch Überlieferung ihrerseits so reich ausgebildet, dass alles neu Wachsende schütter wirken muss. Denn die titel- und strukturgebenden »Zwei Herren am Strand« sind niemand anderes als die Jahrhundertgiganten Charles Spencer Chaplin und Winston Spencer-Churchill.
Um diese zwei mächtigen historischen Stützen rankt sich ein erzählerisches Pflänzchen von eleganter Schwärze und giftiger Frucht: die Schwermut. Ch. & Ch., so Köhlmeiers Teilfiktion, lernen sich 1927 in Santa Monica kennen, verlassen die Party, wandern am Meer entlang, erkennen im anderen einen Seelenverwandten, beschließen, sich einmal im Jahr zu sehen, zwei Stunden gemeinsam zu laufen und miteinander zu sprechen. Über den Freitod.
Teilfiktion deshalb, weil Chaplin und Churchill tatsächlich befreundet waren und letzterer immer wieder an Depressionen litt. Und ist nicht der Kern der Komik des Tramps, dass er mit dem Tode spielt? Dass sich beide ineinander spiegeln in ihrem gemeinsamen Kampf gegen den »schwarzen Hund« der Schwermut sowie den Hund Hitler, »der eine mit Lachen, der andere mit Krieg«; dass sich Chaplin in seiner Figur des Vagabunden selbst als Menschen reflektierte, dem nichts geschehen kann, Churchill seinen zukünftigen Feind A. H. schon in Ludwig XIV. aufscheinen sah, den er in seinem Geschichtswerk »Marlborough« porträtierte; dass beide den Großen Diktator Adolf Hitler/Anton Hynkel verstehen, weil sie etwas von ihm in sich selber tragen; dass mit Hilfe einer verlorengegangenen Schrift Adornos über das Komische eine »Methode des Clowns« entwickelt werden kann, die leben, also weiterleben hilft – das alles ist Roman.
Es muss ein großer Reiz für Köhlmeier gewesen sein – und über weite Strecken wird er miterlebbar –, den bulligen Macher und den zierlichen Spaßmacher in ihrer gegenseitigen sowie ihrer Tag-und-NachtDialektik zusammenzuerzählen. Ganz gelingen konnte die Paarung nicht.
Michael Köhlmeier: »Zwei Herren am Strand«. Hanser, München 2014, 254 Seiten, 17,90 Euro.
Lesung am 29. Oktober 2014 im Literaturhaus Köln