TEXT: INGO JUKNAT
Manchmal kann man Hindernisse nur durch Frechheit überwinden. Wir schreiben das Jahr 2004. Die Musiker von MIT bemühen sich um einen ersten Auftritt. Sie haben eine Handvoll Songs geschrieben, ziemlich frühreife Elektronik der rheinischen Schule. Monatelang drücken sie Klingeln, suchen nach Auftrittsorten, ohne Erfolg. Was dann passiert, hat MIT-Sänger Edi Winarni schon oft erzählt – grinsen muss er immer noch. An jenem Abend geht er mit seinen Bandkollegen zum Kölner Gebäude 9. Am Abend tritt Peaches auf, ein Weltstar. Vor dem Gebäude steht der Veranstalter, die völlig unbekannten MIT drücken ihm ein Demo in die Hand. Ob sie nicht im Vorprogramm spielen dürfen? Man erwartet das übliche Ich-geb‘s-mal-weiter-wir-melden-uns, aber es kommt anders. Der Veranstalter spielt Peaches das Band vor – und sie mag es. MIT treten im Vorprogramm auf. Und so beginnt die Konzerthistorie dieser Band nicht in irgendeinem Jugendzentrum vor 15 Freunden, sondern vor ausverkauftem Haus, in einem der renommiertesten Clubs des Landes.
Wollte man die MIT-Geschichte mythologisch weiterstricken, dann müsste nun das Myspace-Profil folgen, der Internet-Hype und erste Anfragen aus dem Ausland. Der Witz ist – so war es auch. MIT werden in englische Clubs eingeladen, bevor sie in Deutschland eine einzige Tour gespielt haben. Zuhause kommt der Erfolg über Bande. Mit der Peaches-Story und den Auftritten in Großbritannien im Rücken finden MIT nun auch in Deutschland Gehör. Zu diesem Zeitpunkt haben die drei Bandmitglieder noch nicht mal Abitur.
Das ist inzwischen fünf Jahre her. MIT haben seitdem zwei EPs und Alben veröffentlicht. Das neueste heißt »Nanonotes«, und es kann gut sein, dass die Band damit den Sprung vom Insider-Tipp zum Pop-Phänomen schafft. Das treffendste Wort für den Sound der Platte ist »retrofuturistisch«. Nanonotes zu hören ist ein bisschen so, als blätterte man in alten Science-Fiction-Heften: Man schaut auf Erfindungen, die einst für die Welt von morgen standen und nun ein bisschen nostalgisch wirken. MIT übertragen dieses Gefühl auf die Musik. Sie beziehen sich vor allem auf Kraftwerk, den wichtigsten rheinischen Pop-Export aller Zeiten. Mit Emil Schult stand ihnen sogar ein ehemaliges Kraftwerk-Mitglied beratend zur Seite. Manche der MIT-Stücke könnte man in Platten wie »Autobahn« oder »Die Mensch-Maschine« einschmuggeln, ohne dass es jemand merken würde – sicher ein großes Kompliment.
Der retrofuturistische Klang war nicht einfach herzustellen. »Nanonotes« wurde in London eingespielt, auf mannshohen Analogsynthesizern aus den 70ern. »Enigma« hat die Band diese Maschinen getauft, nach dem deutschen Chiffriergerät aus dem Zweiten Weltkrieg. Vor der Aufnahme in England klang die Platte noch ziemlich anders. Winarni muss lachen: »Als wir die Demos eingespielt haben, waren das noch 1a-Popnummern. Die hätten glatt von Lady Gaga sein können.« Davon ist inzwischen nichts mehr zu hören. »Nanonotes« klingt zwar immer noch ein bisschen poppig, aber nicht nach Mainstream. Dem eindeutigen Vorbild zum Trotz, wirken MIT nicht epigonal. Ein Unterschied besteht u.a. in dem echten Schlagzeug, das dem Sound von »Nanonotes« eine gewisse Wärme verleiht, für die Kraftwerk nicht gerade bekannt sind.
Für Musiker, die gerade Anfang 20 sind, haben Winarni, Tamer Özgönenc und Felix Römer auch sonst ziemlich ungewöhnliche musikalische Vorlieben: Postpunk, No Wave und deutsche »Gründerzeit-Elektronik«. Findet Winarni es nicht kurios, dass sie sich für Bands interessieren, zu deren großer Zeit sie noch gar nicht geboren waren? »Ich glaube, das ist nicht unbedingt eine Generationsfrage, eher eine der musikalischen Sozialisation. Ich habe früher in Köln-Buchforst gewohnt, das ist ganz in der Nähe vom Gebäude 9. Da waren wir eine zeitlang jedes Wochenende und haben alles mitbekommen von japanischem Schrei-Punk bis Elek-tronik. Auch zuhause haben wir immer Bands wie LCD Soundsystem und The Rapture gehört. Manche davon orientieren sich ganz offensichtlich an deutschen Vorbildern. Da schließt der Kreis sich wieder.«
Passend zu seinen Vorbildern singt Winarni in der eigenen Sprache. Eine ideologische Entscheidung war das allerdings nicht: »Mein Englisch ist nicht gut genug, dass ich darin singen könnte. Deutsch ist die Sprache, in der wir uns am besten ausdrücken können.« Trotzdem scheint »Nanonotes« die These zu belegen, dass Deutsch besser zu elektronischer Musik passt als zu, sagen wir, Indie-Pop. Manche Zeilen wirken wie kryptische Slogans, die man schwer loswird, wenn man sie einmal gehört hat. Wer das überprüfen will, spiele nur die aktuelle Single »Pudong« an (»Der Hai hat Hightech-Haut und -Flossen«).
Der Name MIT ist übrigens Zufall. »Wir waren auf der Suche nach einer Präposition«, sagt Winarni, »erst Jahre später haben wir gemerkt, dass es dieses M.I.T. in Massachusetts gibt.« Eine technische Forschungsstätte. Nicht unpassend, wirklich.
MIT: »Nanonotes«, erschienen bei Cooperative Music/Universal