TEXT ANNIKA WIND
Da lag sie also, jene schlanke Schönheit im asiatischen Palmenhain. Unter einen Sonnenschirm hatte die Firma J.G. Mouson & Co. eine Dame mit Sonnenhut drapiert und ihr einen wackeren Mann zur Seite gestellt. Der war auf der exquisiten Seifenverpackung aus dem Jahr 1924 mit den wichtigen Dingen des Lebens beschäftigt: mit Angeln. Dass im Hintergrund gerade ein Vulkan ausbricht und eine Aschewolke in den Himmel spuckt – geschenkt! Erotik und Exotik waren die Themen jener Verpackung, die aus einem schnöden Seifenstück in einer schlichten Pappschachtel eine reizvoll-duftende »Erlebniswelt« machen sollte.
Verpackung und Verheißung: Das liegt schließlich noch heute eng beieinander. Für den Kunsthistoriker Hans-Georg Börcher ist sie daher ein »Kulturgut«, Ausdruck von Zeitgeist und sich ständig wandelnder Bedürfnisse: Wie Mode Menschen verhüllt und zugleich in Szene setzt, inszeniert Verpackung unsere Wünsche. Ein Besuch im Deutschen Verpackungsmuseum in Heidelberg, das Börcher leitet, wird daher auch zum Streifzug durch die Konsumgeschichte: Zu sehen ist etwa eine der ersten Milka-Verpackungen, auf der – weil Schokolade nun mal auch aus Milch besteht – eine dralle Bäuerin eine Alm hinabsteigt, flankiert von ihren (noch nicht lilafarbenen) Kühen. Da wird erklärt, dass schon die Römer Holzfässer nutzten und der französische Camembert bereits im Mittelalter in Spanschachteln verschwand. Oder dass es Konservendosen seit 400 Jahren gibt, ihre Öffner aber erst seit ein paar Jahrzehnten, weshalb man ihre Lötnaht jahrhundertelang mit Hilfe von Bügeleisen öffnete. 1915 entstand schließlich die Cola-Flasche, so wie wir sie heute noch kennen: mit vertikalen Rillen und einem prägnanten Bauch, angelehnt an die kugelige Frucht des Kakao-Baums.
Jedes Jahr zeichnet das Deutsche Verpackungsmuseum Designklassiker aus: Zur »Verpackung des Jahres« wurden schon die Koelln Flocken prämiert, die Tic-Tac-Pastillen oder, in diesem Jahr, die Maggi-Flasche, die schon vor 100 Jahren Soldaten mit ins Feld nahmen – Alltagsmoment im Wahnsinn des Ersten Weltkriegs. Aber was macht eigentlich eine gute Verpackung aus? Und wie schafft ein Unternehmen, sie zur Marke zu etablieren? »Der Inhalt muss einfach, klar und deutlich kommuniziert sein«, erklärt die Essener Designerin Ninetta Orfgen, die unter anderem Verpackungen für Werkzeuge gestaltet, die die Lebensmittelkette Lidl vertreibt. Kunden, die hier einen Hammer oder Bohrer kaufen, wollten das Produkt im Innern schon außen in Aktion sehen, dazu Handlungsanweisungen nachlesen können. »Schützen, erklären, verkaufen« sei die Formel einer Verpackung, sagt Orfgen. Hinzu komme noch: Kenne deine Kunden. Die seien im Fall der Hundeleckerlis, denen sie kürzlich eine entsprechende Hülle gegeben hat, kritisch und sensibel, was ihre Lieblinge da genau zu fressen bekommen. Die Hühnerbrüste in Streifen oder Hühnchenstückchen mit Reis und Sesam kann der Kunde daher schon im Supermarkt genauer inspizieren, durch große Sichtfenster.
Die führten im Fall von Lacy Kuhns Entwurf direkt ins Maul eines gefräßigen Bären. Noch während ihres Studiums an der Western Washington University hatte die Designerin aus Seattle eine Verpackung für Kekse gestaltet, die selbst Jahre danach noch immer in der Bilddatenbank Pinterest geteilt wird, weil sie vielen Nutzern so gut gefällt. In den Handel kam ihr Entwurf allerdings nie, dabei müsste doch eigentlich der Sympathiewert solcher Verpackungen das Kaufverhalten positiv beeinflussen. Tut er aber nur bedingt: »Die deutschen Käufer sind sehr kritisch«, sagt Orfgen, Im Vergleich seien Amerikaner oder Asiaten unkonventionellem Design weitaus aufgeschlossener.
Gerade deshalb zeichnet der Art Directors Club, ein Zusammenschluss renommierte Designer, Journalisten, Produzenten und Werber, jährlich originelle Ideen aus: Wie müsste eine Flasche aussehen, in der frischgepresster Orangensaft verkauft wird? Diese Frage hatten sich in diesem Jahr die Designer der Frankfurter Agentur Leo Burnett gestellt, eine von rund 500 Einsendungen in der Kategorie Verpackung und Markenbildung. Auf eine konventionelle Glasflasche setzten sie einen Plastikverschluss, der aussieht wie eine halbe Orange auf einer Zitronenpresse. »Wir waren beeindruckt, wie bildhaft hier eine Message verkauft wurde«, erinnert sich Katrin Oeding an die Jurysitzung, in der sie den Vorsitz führte. Eine gute Verpackung müsse Emotionen wecken, sagt die Hamburger Designerin. So wie die Bierflaschen, die neuerdings als »Scratchbottles« verkauft werden. In ihre Flaschenhälse lassen sich Muster oder Männchen ritzen. Die merkwürdige Angewohnheit vieler Clubgänger, die die Produktdesigner allerdings für sich nutzten und zu einer Art Markenzeichen des Bierlabels ausbauen wollen.
350 Wörter hatte die Münchener Agentur Serviceplan auf die Verpackung der neuen »Im-Nu-Nudeln« gedruckt. Eine Anzahl, für die ein Durchschnittsleser drei Minuten Zeit benötigt. So lange, bis die Nudeln fertig sind. Eine gute Verpackung muss eben auch eine Geschichte erzählen. Vom Orangensaft, der direkt aus der Presse in die Flasche kommt. Vom Liebespaar, das entspannt einer Naturkatastrophe zuschaut, um für eine Seife zu werben. Oder von Teigwaren, deren Verpackung Auszüge aus Romanen bietet. 350 Wörter als Leseprobe – einen QR-Code zur Fortsetzung und eine schnelle Mahlzeit inklusive.