Die Neugier auf einen Künstler wächst, wenn er in der Stadtgesellschaft verankert ist – das hatte Bettina Masuch Ende 2015 in einem Interview mit kultur.west gesagt. Wiedererkennungseffekte und emotionale Bindungen auf Seiten des Publikums sind die eine Wirkung des Konzepts »Factory Artists«, das Masuch zu Beginn ihrer Intendanz am Düsseldorfer Tanzhaus NRW einrichtete. Die andere Wirkung zielt auf die Künstler*innen selbst: mehr Luft zum Denken und Ausprobieren unabhängig von sonst so eng getakteten Produktionsstrukturen freier Choreograf*innen.
Zwischen 2014 und 2022 waren daher drei Choreograf*innen für jeweils zwei Jahre in ihrer künstlerischen Arbeit eng mit dem Haus verbunden. Insgesamt neun Künstler*innenhandschriften konnte das Publikum so in regelmäßigen Produktionen kennenlernen. Masuchs Überzeugung: »Gerade die Förderung von jungen Künstler*innen braucht eine langfristige Perspektive und gute finanzielle und strukturelle Arbeitsbedingungen, um Kunst mit gesellschaftlicher Relevanz und überregionaler Strahlkraft hervorzubringen«. Nun zeigen alle sogenannten »Factory Artists« noch einmal besondere Arbeiten zum Abschluss des Programms und der Intendanz Masuchs.
Zur Eröffnung der großen Final-Feier am 4. März zeigte der belgische Choreograf Jan Martens »any attempt will end in crushed bodies and shattered bones«, in dem Generationen aufeinandertreffen: ein atypisches, 17-köpfiges Corps de Ballett in einer Altersspanne von 17 bis 70 Jahren. Martens – Factory Artist von 2014 bis 2016 – arbeitete in dieser Zeit mit verschiedenen Tänzer*innen und Gemeinschaften zusammen, vom aufwachsenden Kind über jugendliche Feminist*innen bis zur alternden Koryphäe. In Soli, Duetten und Gruppenstücken trafen sie aufeinander und forderten sich gegenseitig heraus.
Ligia Lewis war neben Claire Cunningham und Choy Ka Fai von 2017 bis 2019 Teil der zweiten Factory-Artist-Generation. Sie zeigt am 10. März ihre Arbeit »Water Will (in Melody)«, die in ihrer Factory-Zeit entstand und dritter Teil ihrer Trilogie »Blue, Red, White« ist. In ihrem sanft-stürmischen Melodram zeichnet sie eine fiktive Geschichte voller Instabilität, Neuschaffungen und Katastrophen. Wiederaufgenommen wird fürs Factory-Finale auch das spielerische Solo »200 Ways« des Tänzers und Choreografen Alfredo Zinola (3. und 4. April).
Zum gemeinsamen Fest laden die aktuellen »Factory Artists« nutrospektif am 13. März. In »Nutro 10 – eine nutrospektive« zeigen die fünf Tanzkünstlerinnen auch, wie sie sich vor zehn Jahren auf der kleinen Bühne im Tanzhaus als Kollektiv gründeten. Die in Düsseldorf lebende Künstlerin und Choreografin Alexandra Waierstall – »Factory Artist« der ersten Generation – arbeitet zurzeit an ihrem neuen Gruppenstück »In the Heart of the Heart of the Moment«, das Bezug nimmt auf unsere außergewöhnlichen Zeiten in der Pandemie (Preview am 26. März).
Mit der Vorstellung »Leviah« fing die künstlerische Beziehung zwischen der israelischen Choreografin Reut Shemesh und dem Tanzhaus an, 2020 folgte die Einladung zum Factory-Artist-Programm. In »Leviah« (26. und 27. März) steigt Shemesh nun hinab in die Abgründe ihrer eigenen Zeit beim Militär. Choreografie und Technologie sind Thema zweier Arbeiten, nämlich in »Postcolonials spirits« von Choy Ka Fai (29. und 30. März) und »Urban Creatures« von Sebastian Matthias (2. und 3. April). Im Symposium »The Choreography of Care« reflektiert Claire Cunningham mit Kolleg*innen Ethiken in der choreografischen Arbeitspraxis. Als Choreografin, deren Kunst immer auch Aktivismus ist, interessiert sie sich für die Erfahrungen mit einer Behinderung und deren Auswirkungen auf gesellschaftliche Vorstellungen von Wissensvermittlung, Wert und Unabhängigkeit.
»Factory Finale« bis 4. April im Tanzhaus NRW
tanzhaus-nrw.de