TEXT: HELGA MEISTER
Ferdinand Kriwet ist Selfmademan, eine Spezies, wie sie nur in den Aufbruchjahren nach dem Zweiten Weltkrieg möglich war. Der 1942 geborene Sohn eines Düsseldorfer Würstchenbudenbesitzers (»Kriwets Schnellimbiss«) erlitt als Schüler auf mehreren Internaten zwar Schiffbruch und erreichte keinen Abschluss, machte aber seinen Weg. In Ausstellungen und Hörspielen und bei Bühnenauftritten analysierte er die Sprache von Werbung, Fernsehen und Fotografie und wurde zum Pionier der Medienkunst.
Vom Düsseldorfer Kunsthallen-Chef Gregor Jansen wird Ferdinand Kriwet mit der ersten umfassenden Retrospektive nach 35 Jahren gewürdigt. Sie präsentiert Rundscheiben, Poem Paintings, Hör- und Sprechtexte, Publikationen, Film- und Fernsehbeiträge, Neonarbeiten und Mixed-Media-Installationen. Es soll auch neue, eigens für die Schau konzipierte Arbeiten geben. Jansen findet seinen Künstler »aktueller, als er es wahrscheinlich je gedacht« habe. Jemand, der »verschiedene Register für diverse Medien zieht. Alle haben eine analoge Optik. Damit reizt er im digitalisierten Zeitalter.«
Mit 15 Jahren begann Kriwet das Buch »Rotor« ohne Punkt und Komma, ohne Anfang und Ende zu schreiben: ein Text voller Assoziationen auf seine Kindheit und den Alltag in der jungen Bundesrepublik. Als Kriwet 19 war, brachte es DuMont in Köln heraus.
Die Literatur befreite er aus ihrer ruhenden Lage zwischen Buchdeckeln und druckte seine »Sehtexte« simpel auf Außen- und Innenwände, Teppiche und Schwimmkissen, Fahnen und Fassaden. Der Leser ist gezwungen, selbst an der Bedeutung mitzuarbeiten.
Kriwets Buttons und Rundscheiben, die heute Kultstatus genießen, geben keine Leserichtung vor, ihr Inhalt ist unbestimmt. Von einem Schildermacher ließ er sie in Leichtaluminium herstellen, ein Material, das normalerweise Autoschilder prägt. Kriwet legte die Buchstaben zuvor in einen Kreis oder klebte sie als Pappbuchstaben auf, bevor sie in Alu geprägt wurden. Stets blieb die Technik simpel.
Eine Fähigkeit schon des Schülers bestand darin, Kontakte zu pflegen und Chancen zu nutzen. »Ich war ja zunächst ein Nichts, ein Nobody, mich kannte kein Mensch. Aber ich lernte Leute kennen, die spürten, dass da nicht nur ein arroganter Schnösel ist.« Über Jean Pierre Wilhelm, Galerist und Übersetzer, machte er im Schneeballsystem die Bekanntschaft mit Franz Mon und Max Bense, Helmut Heißenbüttel und Claus Bremer, mit der Literatur- und Musikszene in Köln, Frankfurt, Heidelberg und Darmstadt. Schließlich war Kriwet in der konkreten Poesie ebenso zu Hause wie in der modernen Musik und Bildkunst.
Seine erste Uraufführung erlebte der 20-Jährige am damals durch Kurt Hübner berühmten Ulmer Theater, mit 21 folgte die erste Galerie-Ausstellung bei Niepel, bei der er das neue Fernsehen als Medium einsetzte. 1963 war das noch ungewöhnlich. Bei Neckermann lieh er sich ein Fernsehgerät, nahm eine Überwachungskamera und verband beides miteinander; der Künstler selbst saß unten im Lager und war oben in der Ausstellung nur auf der Mattscheibe zu sehen: eine Reflexion darüber, anwesend und abwesend zugleich zu sein.
Doppelschau mit Man Ray
Bald darauf bereitete man ihm im Ulmer »Studio f« eine Doppelschau mit keinem Geringeren als Man Ray, Gründervater der künstlerischen Fotografie. 1967 führte Kriwet zur Eröffnung der legendären Szene-Kneipe »Creamcheese« in der Düsseldorfer Altstadt »Lokaltermin« auf, einen Text für sechs Solisten, die weniger miteinander als eher durcheinander sangen, sprachen, lachten und zischten. Heutzutage, wo ein Mischpult zum Zubehör gehört, würden solche Performances rührend komisch wirken. Damals war es sensationell.
Als 1969 die Mondraumkapsel Apollo 11 von Houston abhob und mit einer speziellen Landefähre auf dem Erdsatelliten aufsetzte, saß Kriwet nicht im Kontrollzentrum von Florida, sondern in einem New Yorker Hotel, das ihn 450 Dollar kostete. Er hatte sich acht TV-Apparate organisiert und hielt ganz primitiv das Mikrofon vor die Geräte, um Gespräche und Geräusche aufzunehmen. »Ich wollte meinen Eindruck von der Mondlandung im Fernsehen haben, nicht von dem Ereignis selbst. Ich habe nie an eine Medienkritik gedacht.« Wie sollte er wissen, dass er die Anfänge der Massen-Medialisierung der Gesellschaft dokumentierte.
Wieder zurück am Rhein, hockte er als Eremit im Atelier und verarbeitete alles in mühseliger Arbeit zu Medien-Collagen. PCs gab es ja damals noch nicht. Das Ergebnis kam als »Apollo Amerika« in Buchform bei Suhrkamp und in Zitaten aus US-TV-Aufnahmen in diversen Rundfunkanstalten heraus. Darin enthalten Kuriosa wie etwa die ersten Luftpost-Briefmarken von der Mondlandung, Kriwets Hotel-Adresse auf der 5th Avenue oder der Weißkopfseeadler, Wappentier der USA, als Abzeichen der Apollo-Mission. In genialischer Montage kompilierte er 24 Zeitungen von der New York Times über den Boston Herald Traveler bis zu The Montreal Star, zitierte die Headlines und kombinierte sie mit Gebeten und Comics zu einer nationalen Mentalitätsgeschichte.
Seine nächste größere Produktion hieß »Media Campaign« (1974 erschienen beim Verlag Droste) und bezog sich auf den Wahlkampf von 1972 zwischen Richard Nixon und George McGovern. Wieder arbeitete er mit Emblemen, Fernseh-Schnipseln, Bildern wie dem Einmarsch der Fahnenträger etc. Ein Mix von Stimmen und Tönen. Tricky Dick Nixon selbst verlagerte ja schon sehr konsequent seinen persönlichen Wahlkampf in die Medien, über die er später stürzen sollte.
In der damaligen Werbe-Metropole Düsseldorf staunte Kriwet: »Wie die Botschaften der Firmenmarken überall frei flottieren, im Fernsehen, im Radio, in Büchern, in Zeitschriften, auf Häusern, an Wänden, auf Flugzeugen. Werbung als Total-Text-Theater.« Er zog für seine Kunst die Konsequenz daraus und plakatierte Super-Sehtexte auch auf Werbetafeln. Die Text-Fahnen, Comic-Strips und Text-Ballons gingen allerdings allesamt kaputt, weil das Material schnell brüchig wurde. Nur die Textteppiche, Siebdruck auf PVC, gibt es noch. Kriwet kaufte Rollware und ließ sie in einer Werbedruckerei fertigen.
Zwischen 1960 und Ende der 70er Jahre ein gefeiertes Multimedia-Talent als Autor, Installations-Künstler, Grafiker und Bildgestalter, eroberten seine Neonschriften, Wandbemalungen, Mixed-Media-Installationen und Leitsysteme den öffentlichen Raum. In engem Kontakt zu Architekten, realisierte er Kunst am Bau-Projekte mit Büros wie HPP, Deilmann oder Fritz Eller, schuf zum Beispiel das Landeswappen im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags oder eine Licht-Text-Säule für ein Essener Postamt. 1978 gewann er den Wettbewerb für die Gestaltung des Heinrich-Heine-U-Bahnhofs in der Landeshauptstadt. Doch aus dem Entwurf einer ins Blech gestanzten Punktrasterschrift in 17.000 Lichtpunkten auf einer gefalteten Licht-Text-Decke wurde nichts. Dem Stadtrat waren die Kosten zu hoch.
Da hatte Kriwet, der heute in Dresden zuhause ist, seine Heimatstadt längst verlassen. Seinen Abgang begründet er prosaisch: »Die Zeit war zu Ende.« Irgendwann war er Schloss-Besitzer mit 34 Zimmern ohne Heizung in Dodenburg und stotterte die Raten ab. Allmählich zog er sich aus dem Kunstbetrieb zurück, geriet fast in Vergessenheit, machte eine schöpferische Pause, hielt sich mit Immobiliengeschäften über Wasser und lebte praktisch auch mal von der Hand in den Mund.
Er habe immer schon etwas größer gedacht, als es ökonomisch verantwortbar war, sagt er im Rückblick.
Ferdinand Kriwet – Yester ’n’ Today; 19. Februar bis 1. Mai 2011