In Essen leitet er die Fotografische Sammlung das Museums Folkwang. In Venedig kommt jetzt noch ein Job dazu: Dort verantwortet Florian Ebner 2015 als Kurator die Ausstellung im deutschen Pavillon der Biennale. Dabei setzt der 44-Jährige gleich auf fünf Künstler: Tobias Zielony, klassischer Fotograf, lichtet bevorzugt Randgruppen ab. Hito Steyerl aus München macht Dokumentarfilme mit politischem Anspruch. Die Künstlerin Jasmina Metwaly arbeitet seit Jahren mit dem Autor und Filmer Philip Rizk zusammen – beide gründeten ein Medienkollektiv, das sich als Sprachrohr von Aktivisten der ägyptischen Revolution versteht. Der fünfte Künstler für Venedig ist zugleich der prominenteste in Ebners Biennale-Bund: Olaf Nicolai, geboren in der DDR, hat sich als Bildhauer, Konzept- und Medienkünstler einen Namen gemacht.
K.WEST: Herr Ebner, es scheint, als hebe Ihre Künstlerauswahl für Venedig sehr stark auf das Jetzt ab. Auf die Gegenwart der Bilder. Auf den vielbeschworenen Umbruch in der Fotografie – und auf seine Folgen. Wie wichtig ist Ihnen dieser Aspekt des Aktuellen?
EBNER: Fotografie hatte im Deutschen Pavillon schon immer einen Platz. Auch deshalb war es meine Überlegung, den aktuellen Wandel in der Bedeutung der Fotografie anzusprechen. Dem fotografischen Bild kommt ja in unserer heutigen Gesellschaft, in unserer Wahrnehmungswirklichkeit eine ganz wichtige Rolle zu. Und ich fand es spannend, Künstler auszusuchen, die genau das in ihren Arbeiten reflektieren. Es hat damit zu tun, dass wir gerade jetzt die Auswirkungen spüren, die jene Omnipräsenz der Bilder mit sich bringt.
K.WEST: Das große Thema des Biennale-Auftritts ist also die Gegenwart der Fotografie. Trotzdem haben Sie nicht nur Fotografen eingeladen. Wie kommt das?
EBNER: Es geht eher um das Fotografische. Das Fotografische als Kriterium von Bildern ist sehr viel weiter gefasst als der Begriff Fotografie. So kann damit auch eine gewisse Form von Zeugenschaft angesprochen werden. Mich interessiert, wie sich diese Zeugenschaft im Zeitalter des Digitalen wandelt. Was heute eigentlich passiert, wenn Leute die Kamera in die Hand nehmen und fotografieren.
K.WEST: Was passiert dann? Was hat sich unter digitalen Vorzeichen verändert?
EBNER: Früher war der Fotograf eher der Voyeur. Heute ist er oft fast ein Exhibitionist, der sich selbst ins Netz stellt. Da hat sich sehr viel verändert. Früher hatten nur einige wenige die Teilhabe am Leben anderer. Heute gibt es ganz viele, die ihr Leben mit anderen teilen wollen – in einem absoluten Exzess der Selbstdarstellung. Das Medium ist in einem starken Umbruch. Wir wollen in Venedig der Frage nachgehen, was Zeugenschaft heute eigentlich bedeutet. Dabei wird es sehr stark um die Teilhabe an politischen Prozessen gehen, die durch Bilder möglich ist.
K.WEST: Die Künstler, die unter diesem thematischen Dach in Venedig zusammenkommen werden, scheinen sehr unterschiedlich. Was ihre Herkunft betrifft, aber auch mit Blick auf ihr bisheriges Schaffen. Wie begründen Sie die Zusammenstellung?
EBNER: Sie sind sehr unterschiedlich, das stimmt. Doch alle stellen diese Frage nach der Teilhabe. Es geht um migrierte Bilder – also Bilder, die wandern, zirkulieren.
K.WEST: Alle Künstler für Venedig haben mit Information, mit Fotos, Filmen zu tun. Olaf Nicolai scheint da etwas außen vor zu stehen. Was spielt er für eine Rolle?
EBNER: Das ist eine wichtige Frage. Er ist jemand, der sehr gut mit Räumen umgehen kann. Jemand, der die historische Schichtung von Räumen in besonderer Weise lesen und verstehen kann. Er ist in der Lage, Räume in Bühnen zu verwandeln. Das waren Gründe dafür, dass ich ihn ausgewählt habe.
K.WEST: Gibt es schon konkrete Ideen, was die Künstler im Pavillon machen werden?
EBNER: Ja sehr konkrete. Es werden ganz neue Arbeiten entstehen. Doch bitte ich um Verständnis, wenn ich mich bedeckt halten möchte.
K.WEST: Sollen die so unterschiedlichen Positionen in Dialog treten?
EBNER: Das ist meine Hoffnung. Dass es nicht ein Nebeneinander wird, sondern ein Miteinander.
K.WEST: Es gibt viel zu tun. Wie wird sich Ihr Arbeitsalltag in den kommenden Monaten gestalten?
EBNER: Ich werde mich sicher oft mit den Künstlern treffen. Anfang März wollen wir dann beginnen, den Pavillon umzubauen. Daneben gibt es natürlich auch viele Dinge im Museum Folkwang zu erledigen.
K.WEST: Sie sind seit 2012 als Leiter der Fotografischen Sammlung in Essen. Ihre Vorgängerin Ute Eskildsen hatte Sie für diese Aufgabe vorgeschlagen.
EBNER: Seit 1993 habe ich immer wieder in der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang gearbeitet. Vieles von dem, was ich gelernt habe über die Fotografie, habe ich in Essen gelernt. Deshalb sehe ich meine Nominierung als Biennale-Kurator nicht nur als eine persönliche Auszeichnung. Es ist eine Auszeichnung für das Museum und für die Stadt, weil sie so früh den Mut hatte, die Fotografie zu sammeln, zu erforschen und auszustellen. Die Nominierung ist sozusagen der Lohn dieser Tradition.
K.WEST: Im Museum in Essen haben Sie 2013 auch die vielbeachtete Ausstellung »Kairo – Offene Stadt« gezeigt, die von der deutschen Sektion des internationalen Kunstkritikerverbandes AICA zur Ausstellung des Jahres gekürt wurde. Meinen Sie, dass diese Ehrung eine Rolle gespielt hat bei ihrer Berufung zum Biennale-Kurator?
EBNER: Es wird nicht geschadet haben.
K.WEST: Knüpfen Ihre Pläne für Venedig in irgendeiner Weise an die Essener Erfolgsausstellung an?
EBNER: »Kairo – Offene Stadt« war einfach mal ein Experiment. Die Ausstellung zog einen ganz großen Querschnitt durch die Bildproduktion unserer Zeit – vom internationalen Magnum-Fotografen bis zu den verschiedensten Formen des Bürgerjournalismus. Das war einfach meine Bestandsaufnahme. Das, was wir im Pavillon vorhaben, ist etwas anderes. Hier geht es darum, dass Künstler über eine gegenwärtige Bildkultur nachdenken. Das Thema ist also um eine Ecke weitergedacht.
K.WEST: Sehen Sie sich unter einem großen Druck als Biennale-Kurator?
EBNER: Ja, dieser Druck ist immer da. Aber man darf nicht immer daran denken. Man muss einfach arbeiten und einen Vorschlag machen. Ich glaube, wenn es eine ernsthafte Geschichte ist, dann ist auch ein Scheitern erlaubt – ein produktives Scheitern.