Die Flüchtigkeit der Zeit bekam Robert North jüngst zu spüren, als er nach nur neun Monaten seinen Posten als Ballettdirektor der Kompanie Krefeld/Mönchengladbach wieder abgab. Das Angebot, die Ballettakademie München zu leiten, war zu reizvoll. Nun ist er nur noch als Chefchoreograf für die Vereinigten Städtischen Bühnen tätig. Für den ersten eigenen Abend in dieser Funktion, »Tempus Fugit«, hat er drei frühere Arbeiten zusammengefügt, um das Phänomen »Zeit« zu erkunden und insbesondere ihre Musikalität im Tanz sichtbar zu machen.
Die Jugend, so lehrt es »Tempo«, verflüchtigt sich am schnellsten. North lässt Tänzerinnen und Tänzer leichtfüßig gleiten, springen, kreiseln, Ensembles und Duette einander ablösen, als wär’s ein Stafettenlauf. Bei allem Frohsinn und choreografischer Einfallsfülle: Das Kurzballett von 2005 wirkt bieder, was auch an den barocken Einsprengseln liegt, an den Verbeugungen, gespiegelten Schrittkombinationen und kreiselnden Figuren, die North glaubte, Vivaldis Musik schuldig zu sein. Viel hätte sicher ein live spielendes Orchester bewirkt, das man auch bei »Der Tod und das Mädchen« schmerzlich vermisst. Dieses Tanz-Poem, gedichtet nach Matthias Claudius’ allegorischen Versen, schuf North 1980 für das London Contemporary Dance Theatre zu Schuberts Streichquartett d-Moll. Es gilt, völlig zu Recht, als eines seiner Hauptwerke. Der dramatischen Wehmut der Musik setzt er zunächst formstrenge Ensembles gegenüber, um die Allgegenwärtigkeit der menschlichen Vergänglichkeit zu zeigen. Je mehr er sich aber auf den Knochenmann und das Mädchen konzentriert, desto theatralischer stilisiert er die Gesten von Verzweiflung, Gewalt und schließlich Einverständnis. Hier macht sich Norths Vergangenheit als Graham-Tänzer bemerkbar. Von betörender Schönheit ist der zentrale Pas de deux, wenn eine herausragende Elisa Rossignoli ungestüm aufbegehrt, um sich dann resigniert ihrem Schicksal zu ergeben. Gian Luca Multari dagegen fehlt es an nötiger Autorität für ihren morbiden Gegenspieler. Aliaksandr Rulkevich brilliert in »Entre dos Aguas« (1984), nach einem Hit von Paco de Lucìa, im Duende. Das Werk des Nuevo Flamenco, ein rauschendes Tanzfest, integriert Jazzelemente und besticht durch dynamischen Bewegungsfluss. Norths Verbindung von Klassik und Flamenco, schwebender Eleganz und spanischer Angriffslust funktioniert nicht immer, insgesamt jedoch ist »Tempus Fugit« ein sehenswerter Abend, mit dem der Choreograf seinen Zuschauern nicht die Zeit stielt. trouw