Text Inge Hugschlag
Gleich bei Ankunft in dieser Filmgeschichte, ganz fix, als würde man durch eine Drehtür geschwungen, hält einen die Atmosphäre umfangen. Das Grand Budapest Hotel ist ein Haus, das es nicht gibt. Seine Eleganz ist zeitverloren, die Dekors antiquiert, es wird bewohnt von Figuren aus abgelebten Epochen. Die legendären Peninsula-Hotels werben ähnlich für sich. Auch ihre Kulissenhaftigkeit, die Mischung aus Belle Epoque und etwas Walt Disney, weckt Nostalgie.
Wes Andersons kuriose Geschichts-Komödie »Grand Budapest Hotel« erhielt 2015 vier Oscars in den fälschlich so genannten Nebenkategorien: beste Kostüme, bestes Make-up, beste Filmmusik und bestes Szenenbild. Und wo fanden sich die Requisiten für solch ausgezeichneten Stoff? In Düsseldorf, im Unterbilker Hinterhof bei »Wandel antik«. Hier finden sich verschnörkeltes Mobiliar, ausgefallene Lampen, Chrom-Blitzendes, schräg kurvende Barwagen und mehr.
Markus Wildhagen, der sich ein bisschen als »Oscar«-Gewinner fühlen darf, lieh den Machern die Raritäten aus. Das tut er oft für Film- und Fernsehproduktionen, Thea-ter, Events, Motto-Partys. Oder für visuelles Marketing, wenn Hersteller versuchen, mit einem Produkt gleich eine Welt zu kreieren und zu verkaufen, oder zumindest eine Geschichte zu erzählen. Etwa zum 125-jährigen Jubiläum der japanischen Kosmetikmarke Shiseido, die von der Nippon-Kolonie Düsseldorf aus deutschlandweit operiert.
Nicht nur Weltfirmen klopfen bei Markus Wildhagen an. Manchmal kommen Auszubildende, die für eine Abschlussarbeit oder ein Stimmungsbild dieses und jenes brauchen. Bei »Wandel antik« werden sie fündig. Wenn der Kandidat dann eine Einser-Note erhält, freut sich Wildhagen mit wie ein Schulbub. Vermeintlich leichte Aufträge entpuppen sich manchmal als die schwierigsten. So sollte Wildhagen für eine Tagung der Metro Wahrzeichen aus den diversen Firmensitzen als Dekoration auftreiben. Na ja, es wimmelt doch von Eiffeltürmen, Brandenburger Toren, Tower-Bridges. Stimmt. Aber nicht in der gewünschten Größe.
Wildhagen bietet einen Fundus wie für ein Hollywood-Studio: mehr als 20.000 Einzelstücke auf über 1300 Quadratmetern. »Bei uns findet man Museales ebenso wie Sachen, die die Welt nicht braucht«, beschreibt es Wildhagen. Das Angebot reicht von der Streichholzschachtel bis zur antiken Ladeneinrichtung, die auch eine tolle Bar abgibt. Sie sei gerade vier Wochen für Filmaufnahmen in Luxemburg gewesen, erzählt Wildhagen. Das kostet so um die 3000 Euro Leihgebühr. Für Ab- und Rücktransport muss der Kunde sorgen.
Handel mit Wandel. Das Marketing-Konzept funktioniert und hat zudem etwas Spielerisches. Aber das bald 50-jährige Kind im Mann ist auch Kaufmann. Wenn man Möbel verleiht, anteilig bezahlt und wieder zurückbekommt, ist das beinahe so, als ob man den Kuchen aufessen und gleichzeitig aufheben könnte.
Meistens bleiben die Stücke nicht zu lange im Laden und Lager. Wildhagen verkauft oder verleiht seine Schätzchen nicht nur, er setzt sie auch in Szene. »Wandel Raumkonzept« – der Name ist Programm. Wenn’s sein soll, wird restauriert, neu gepolstert oder verwandelt. So wurde aus einem ramponierten alten Sessel ein Traumteil in Weiß mit frischem Lederbezug. Die Käufer fanden ihn wunderschön, aber seufzten: »Unsere Tochter ist Tierfreundin«. Kein Problem, der Sessel wurde noch mal geschlachtet, das Leder bekam die Vorsilbe »Kunst«.
Die Bistro-Tischchen aus dem »Grand Budapest Hotel« stehen jetzt im »Gare du Nord« an der Düsseldorfer Luegallee. Mit dem Bistro hat die »Kö von Oberkassel« eine weitere Adresse bekommen. Mit seinem Händchen für stilvolle Brüche en détail richtet Wildhagen auch einen Friseur-Salon ein, verhilft den »Röstmeistern« in ihrem gehobenen Coffee-Shop zur Einrichtung mit Aroma, berät den Concept-Store Chrystall, ein Geheimtipp für Mode und Kulinarik am Fürstenplatz und in Flingern. Zudem hat er den »Gentlemen Store« seines Freundes Virgile Bourgueil bestückt, wo man Maßanzüge bestellen und gleichzeitig die Einrichtung miterwerben kann. Dann gibt es noch »Feine Feste«, eine Event-Agentur, die er mit einem Partner betreibt. Auf dem Hof parkt gewissermaßen die nächste Idee in Form eines Karmann Ghia, in den sechziger Jahren eine Art Damen-Porsche von VW.
Wildhagen überlegt, seinen Kunden Platz auf seiner Website einzuräumen, wo sie ihre Oldtimer offerieren können.
Ein junger Mann fand den Weg nach Unterbilk übers Smartphone. Er interessiert sich für einen alten Schreibtisch, Pohlschröder. Was sich da am Preis machen ließe? Vergleichbares gäbe es schließlich auch im Internet, nur viel billiger. Wildhagen verzieht sein ansonsten charmantes Kirk-Douglas-Gesicht. Kennt er: Appetit holen sich Schnäppchenjäger bei ihm; bestellt wird dann im Internet.
Er selbst hat auch eine Website, mit virtuellem Rundgang. Der Kunde gibt bei der Objektsuche die Epoche ein, Jugendstil oder Bauhaus, Art Déco oder Swinging Sixties, und die Kategorie – Kommode oder Korbsessel. Angenommen, eine Agentur möchte ihren Stand auf einer Tourismus-Messe herrichten, findet sie schnell Globus, alte Landkarten, Überseekoffer, Fliegerbrillen, sogar einen Flugzeugsitz. Das ersetzt nicht den Reiz des direkten Kontakts. Wildhagen findet, »das Internet nimmt den Sachen die Seele. Patina kann man nicht googeln, ebenso wenig wie den Geschmack guten Rotweins«.
Aber Geschmack lässt sich schulen während eines Rundgangs durch die riesigen hohen Räume. Manche kommen »nur mal gucken« und bleiben für Stunden, fühlen sich wie Alice im Wunderland, schreiben rührende Geschichten von Erinnerungen und Zeitreisen ins Gästebuch. Jemand habe geschluchzt: »Eben ist mein ganzes Leben an mir vorbeigezogen«. Die stehen manchmal vor einem Stück wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum, sagt Wildhagen.
Saison ist eigentlich immer bei »Wandel antik«, ab Mitte Oktober aber wird der große Pferdeschlitten nach vorn gerückt und ein Weihnachtsmann draufgesetzt. Sogar eine Original-Skigondel wartet auf ihren Einsatz. Uralte Ski und Schneeschuhe lehnen an der Wand. Großes Kino. Das gibt es übrigens auch, komplett mit purpurroten Sitzreihen. Am Rand steht eine glatte, schimmernde Figur in Lebensgröße: Markus Wildhagen kann auch einen »Oscar« verleihen.