»Cabaret Voltaire berufen sich auf den Dadaismus. So kann es nicht verwundern, dass die Platte sich anhört, als würde jemand eine halbe Stunde ununterbrochen gegen die Serra-Plastik ›Terminal‹ am Bochumer Bahnhof pinkeln.« So lasen sich die Musikkritiken Wolfgang Welts im Bochumer Stadtmagazin Marabo in den 80er Jahren – gnadenlos subjektiv, ehrlich und voll auf die Zwölf. Dem Lokalheiligen Herbert Grönemeyer bescheinigte er damals, dass dessen Debüt und das Folgealbum »Zwo« »unter aller Sau« seien, was dieser ihm Jahre später mit einem »Hattest recht« bestätigt haben soll.
Das Label »Popliterat« klebt an Wolfgang Welt wie Pattex, was nicht nur mit seinen Musikkritiken, sondern auch mit dem Ton seiner realitätsnahen, lässigen Romane wie »Peggy Sue«, »Der Tick« oder »Doris hilft« zu tun hat. Geboren am 31. Dezember 1952 in Bochum-Langendreer, wächst Welt in der Zechensiedlung Wilhelmshöhe auf, bricht sein Englisch- und Geschichtsstudium ab, verdient sein Geld als Plattenverkäufer und schreibt erste journalistische Texte für Marabo, Musikexpress und Sounds. Ab 1982 arbeitet er als Nachtwächter, davon 25 Jahre an der Pforte des Schauspielhauses Bochum. 1983 erkrankt Welt an einer schizophrenen Psychose mit manisch-depressivem Einschlag, 1986 erscheint sein erster autobiografischer Roman »Peggy Sue«. Am 19. Juni 2016 stirbt Wolfgang Welt in einem Hagener Krankenhaus.
Sich durch Wolfgang Welts Werk zu lesen, gestaltete sich bisher nicht einfach. Seine Romane sind zwar stets bei Suhrkamp erhältlich – aufgrund der Empfehlung Peter Handkes. Seine journalistischen Arbeiten und Textfragmente aber waren verstreut oder erschienen vor Jahren gesammelt in kleiner Auflage. Nun sind mit »Die Pannschüppe« und »Kein Schlaf bis Hammersmith« direkt zwei schick ausgestattete Bände erschienen; insgesamt fast 800 Seiten, die diese Lücke locker füllen. Herausgeben von Martin Willems vom Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut, der dort 2018 gemeinsam mit Jan von Holtum bereits eine Ausstellung über Welt kuratiert hat. »Die Pannschüppe« vereint Welts Prosa-Stücke, in denen er seinen Alltag zu Literatur machte, darunter auch den unvollendeten Roman gleichen Titels. Hinzukommen Literaturkritiken, etwa über Bernhard, Walser, Hermann Lenz.
»Kein Schlaf bis Hammersmith« zeigt den Buddy-Holly-Ultra Welt lässig mit Fan-Shirt auf dem Cover und ist eine Reise durch die musikalischen Schön- und Schrecklichkeiten der 80er Jahre: Heinz Rudolf Kunze, Lou Reed, Freddy Quinn, Dire Straits, Nina Hagen. Ein Wühlen durch Welts Musikkritiken. Und durch seine Fotoalben – beide Bände besitzen je zwei Bildteile voller Entdeckungen. Alte Konzerttickets, Familienfotos, Welt mit Hank Williams im Sommer 1981, Passbilder, auf denen er aussieht wie der junge Bill Murray und ein letztes Foto hinter der Scheibe der Pförtnerloge des Schauspielhauses. Wer nicht lesen will, der kann auch hören – durch QR-Codes gelangt man zu ausgewählten Texten, gelesen von Wolfgang Welt selbst.
Wolfgang Welt: »Die Pannschüppe«, 400 Seiten, 20 Euro,
»Kein Schlaf bis Hammersmith«, 368 Seiten, 20 Euro
Herausgegeben von Martin Willems, Verlag Andreas Reiffer, Meine, 2020