Die Kulturmanagerin Dr. Yvonne Pröbstle berät und begleitet Städte, Regionen und Kultureinrichtungen bei der Entwicklung von kulturtouristischen Strategien. Am 24. November ab 13 Uhr spricht sie bei der LVR-Kulturkonferenz mit der Kunsthistorikerin Anke von Heyl und Jens Nieweg von Tourismus NRW über die »Zielgruppe Kultur«. Ein Interview.
kultur.west: Frau Pröbstle, welche Rolle spielt der Kulturtourismus in NRW?
PRÖBSTLE: NRW besitzt das Potenzial, in der Fläche die gesamte kulturtouristische Klaviatur zu bedienen, gleichwohl gibt es aber Angebote, von denen eine besonders hohe touristische Anziehungskraft ausgeht, etwa die Industriekultur. Bemerkenswert aber finde ich, dass die Touristiker das Kulturreiseland konsequent weiterentwickeln. Mit #urbanana setzt die Destination beispielsweise auf das touristische Potenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet, in Düsseldorf oder Köln. Zugleich rücken in der Vermarktung mit den »Kulturpäckchen« ländlich geprägte Ziele in den Fokus.
kultur.west: Was ist eigentlich ein Kulturtourist?
PRÖBSTLE: So bezeichnen wir jeden, ob Tagesausflügler oder Übernachtungsgast, der während seines Aufenthalts ein oder mehrere Kulturangebote in Anspruch nimmt. Es gibt verschiedene Typen von Kulturtouristen. Für die einen ist Kultur das zentrale Reisemotiv, für die anderen eine Reiseaktivität nebst vielen. Rein quantitativ betrachtet bilden die „Auch-Kulturtouristen“ das größte Segment – also jener Kreis, der Kultur nicht zum primären Reiseanlass nimmt, aber sehr wohl vor Ort konsumiert.
kultur.west: Und was waren bisher klassische Ziele?
PRÖBSTLE:Aus der Marktforschung wissen wir, dass baukulturelle Sehenswürdigkeiten sowie Museen und Ausstellungen zentrale Attraktivitätsfaktoren für ein Gros der Kulturtouristen darstellten. Angebote aus den Sparten Darstellende Kunst und Musik liegen im Durchschnitt deutlich dahinter. Es existiert also ein kulturtouristisches »Spartengefälle«. Gleichwohl können aber Festspiele oder Festivals im Einzelfall auch eine touristisch bedeutende Rolle einnehmen.
kultur.west: Und wohin wird die Reise künftig gehen?
PRÖBSTLE:Kulturtourismus wurde lange vorwiegend als ein Phänomen der Städte und Metropolen betrachtet. Ich bin davon überzeugt, dass der Blick sich weiten wird: Auf die Frage, wo es heute noch etwas zu entdecken gebe, antwortete der Autor Marco d’Eramo in der Neuen Zürcher Zeitung: »Das Exotische ist das Nahe.« Reisen sind zum festen Bestandteil unseres Lebensstils geworden. Der Wohlstand in einer mobilen und digitalen Welt macht es möglich. Kurzum, keine Gesellschaft war je reiseerfahrener. Und doch wächst eine Sehnsucht nach vermeintlich wahren Entdeckungen und authentischen Begegnungen, abseits des Mainstreams.
kultur.west: Aber Corona hat ja nicht nur den Kultur-, sondern auch den Tourismussektor durcheinander gebracht…
PRÖBSTLE: Die Entdecker*innen unter den Tourist*innen halten es vermutlich wie Marco d’Eramo und suchen ihr Reiseglück in der Nähe. Schon vor einigen Jahren prognostizierten Trendforscher*innen vor allem Destinationen auf dem Land eine rosige Zukunft, denn hier scheint der Traum vom exotischen Reisen plötzlich einlösbar – ganz ohne Flugscham. Möglichst nachhaltig eben. Wenn sich also über 2020 hinaus eine gestiegene Landlust breit macht, dann wirken die Folgen von Covid-19 als Beschleuniger für einen Trend, den es schon vor Beginn der Pandemie gab.
24. und 25. November
www.kulturkonferenz.lvr.de