INTERVIEW SASCHA WESTPHAL
k.west: Was hat Sie zu Ihrer Recherche über die Clickarbeiter gebracht?
RIESEWIECK: Ich bin selbst Facebook-Nutzer und habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass in Facebook-Timelines so selten Kinderpornografie oder Enthauptungsvideos auftauchen. Im übrigen Internet ist das ganz anders. Selbst bei Google reicht es, eine bestimmte Filter-Funktion wegzulassen, und schon zeigt die Suchmaschine alles nur Erdenkliche an. Facebook und die anderen sozialen Netzwerke wie Twitter sind dagegen sauber. Nur stellt sich damit die Frage, wer oder was sie so sauber hält. Ich habe mir das instinktiv mit einer automatischen Software, einem Algorithmus, erklärt.
k.west: Eine naheliegende, aber kaum haltbare Idee …
RIESEWIECK: Genau. Dafür gibt es einfach zu viele Grauzonen. Es stellt sich immer erst die Frage, ist das Kunst, dient dieses Video, dieses Bild vielleicht der Aufklärung? Daraufhin habe ich genauer recherchiert und bin auf eine Studie der amerikanischen Forscherin Sarah T. Roberts gestoßen. Sie fand heraus, dass großenteils Outsourcing-Firmen die sozialen Medien bereinigen. Unternehmen wie Facebook und Twitter beschäftigen dafür nicht selbst Leute, sondern delegieren die Aufgabe an Firmen, die eine gewaltige Industrie darstellen. Ein Hotspot ist Manila. Von diesen Arbeitern erfährt eigentlich niemand etwas, weil sie alle ein Non-Disclosure-Agreement, eine Stillschweige-Vereinbarung, unterzeichnen müssen.
k.west: Wieso ist ausgerechnet Manila ein Zentrum dieser Industrie?RIESEWIECK: Die philippinischen Outsourcing-Firmen werben im Netz damit, dass die Menschen dort unsere sittlichen Vorstellungen teilen und denselben moralisch-ethischen Kodex haben. Diese Werbespots feiern das Erbe der Kolonisation. Das ist vor dem Hintergrund der Arbeit, die von den sogenannten Content Moderators gemacht wird, der pure Zynismus. Schließlich verwalten sie unseren digitalen Giftmüll. Dafür sind sie besonders geeignet, weil sie einst von uns kolonisiert wurden.
k.west: Dabei denken die Firmen wahrscheinlich an den Katholizismus auf den Philippinen.
RIESEWIECK: Ja, natürlich. Dabei muss man bedenken, dass die philippinischen Katholiken im Vergleich zu den deutschen weit radikaler in ihrem Glauben sind. Das gilt gerade auch für junge Filipinos, die wiederum den größten Teil der Content Moderators stellen. Wenn jemand mit diesem Hintergrund die Arbeit erledigt, die Sünden der Welt aus dem Netz zu entfernen, ist das ein gewaltiger Anschub. Viele haben mir erklärt, das sei nicht irgendein Job, um die Familie durchzubringen, sondern etwas, das wichtig sei, weil man damit das Erbe Jesu antrete.
k.west: Wie unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen für Content Moderatoren in Deutschland und in Manila?
RIESEWIECK: Der größte Unterschied neben dem Lohn – bei uns liegt er etwas über dem Mindestlohn, in Manila bei einem bis drei Dollar – ist, dass es hier zumindest ein gewisses Bewusstsein für die psychischen Schäden gibt, die diese Arbeit hervorruft. Wenn in Deutschland jemand sagt, dass er dadurch traumatisiert sei, weiß jeder Bescheid. In Manila bedeuten psychische Probleme ein Stigma. Wer das zugibt, wird als geistesgestört abgestempelt. Also gibt niemand zu, wie sehr er oder sie unter der Arbeit leiden.
»Nach Manila«: 2. & 5. Juli, Theater Dortmund, Megastore; Moritz Riesewieck: »Digitale Drecksarbeit. Wie uns Facebook & Co. von dem Bösen erlösen«, erscheint im September im dtv Verlag, 256 S., 16,90 Euro.