Der Ort, an dem sich die Ausstellung »History will repeat itself«, obgleich so brillant wie informativ, schwer tut, die Massen zu bewegen, ist selbst historisch. Die Phoenix Halle in Dortmund, seit einigen Jahren vom MedienKunstVerein Hartware gegengängig bespielt, ist im doppelten Sinne eine schöne und anspruchsvolle Randerscheinung. Zum einen, weil sie sich außerhalb des städtischen Zentrums in einem stillgelegten Industriegebiet behauptet. Zum anderen, weil hier Brandneues präsentiert wird, das in dieser qualitativen Ballung viel zu selten zu sehen ist. In direkter Nachbarschaft der Stahlgiganten aus vorgestriger Zeit sticht das Haus wie ein einsames Monument auf freiem Feld hervor. Im Innern, das mehr an einen illustren Abenteuerspielplatz als an einen hypermodernen Ausstellungsraum erinnert, werden nicht nur ästhetische Diskurse ausgetragen, die anderes als Kunst um ihrer bloßen Form willen erkunden wollen. Es geht um weit mehr. Im aktuellen Fall um kritische, gar subversive Untertöne gegenüber jenen herrschenden Bildmedien, die unser Bewusstsein auf subtile Weise bestimmen – und einengen.
Die Kuratoren Inke Arns und Gabriele Horn, die ihre kluge Schau in Kooperation mit dem KW Institute for Contemporary Art Berlin realisierten, gehen von der allgemeinen Beobachtung aus, dass in der zeitgenössischen Medienkunst wie ebenfalls in Performances mit gewisser Vorliebe historische Ereignisse »repetiert« werden: aber nie affirmativ. Entweder wird da nachgespielt, was einst zu sehen war. Oder es werden die Bilder, die weltweit ausgestrahlt wurden, so geschickt reproduziert, dass sie sich verdichten.
Es sind dabei keine exotischen oder nostalgischen Reisen in andere Zeiten zu erwarten, vielmehr jene Momente, von denen eine Traumatisierung ausging, deren Spuren sich bis in die Gegenwart legen.
Dass die Kuratoren den Blick auf die performativen Wiederholungen lenken, begründen sie auch damit, dass zwischen Welterfahrung und direkter Anschauung längst kein Zusammenhang mehr besteht. Die Abkehr vom Ereignis als unmittelbare, selbstgemachte Erfahrung zugunsten seiner Repräsentation scheint so fatal, dass jeder Versuch, Echt von Falsch zu unterscheiden, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Das Sekundäre ist an der Macht, das Primäre außer Kraft. Mit Geschehnissen außerhalb unserer Reichweite werden wir über die Medien kurzgeschlossen. Sie lügen wahr, was nicht unbedingt der Fall ist, und liefern dazu Bilder, die Nähe suggerieren, wo doch Ferne herrscht.
Wer die Ausstellung erfassen und die Bedeutungen medialer Bilder im Nachhinein verstehen will, sollte beim Rundgang durch die Gedankenwelten der 22 internationalen Künstlern nichts überstürzen. Die Bandbreite der Positionen ist enorm, deren Rezeption extrem zeitaufwendig. Jedes Werk veranlasst uns zu einem Tigersprung ins Vergangene, das plötzlich im Jetzt aufblitzt. Der Brite Rod Dickinson rekonstruiert Teile eines umstrittenen, von dem Sozialpsychologen Stanley Milgram 1961 an der Universität von Yale durchgeführten Experiments. An Freiwilligen testete er deren Gehorsam gegenüber Autoritätspersonen. Von ihnen folgten 60 Prozent ohne großes Zögern den Anweisungen, die verkehrten Antworten ihres Gegenübers mit im schlimmsten Fall tödlichen Elektroschocks zu bestrafen. Von Schauspielern ließ Dickinson die Protokolle des Experiments als Theaterstück aufführen. So ließ sich der Wahnsinn blinder Gefolgschaft nachfühlen und miterleben, Zuschauer konnten sich mit den Tätern identifizieren und fragen, wie weit sie selbst gehen würden, wären sie an Stelle der folternden Probanten.
Einen radikalen Schritt weiter geht Jeremy Deller mit »The battle of Orgreave«. Er lässt die Chronik des britischen Bergarbeiterstreiks von 1984/85 von den damaligen Opfern aus deren Sicht nachstellen. Dabei kristallisiert sich heraus, wie wenig sich die medialisierten mit den inneren Bildern der Betroffenen decken. Die Inszenierung ist insofern ein besonderes Kunstwerk, als es sich als Epilog der Erfahrung sowie als Korrektur eines manipulierten Bildes lesen lässt.
Wie Wiederholungen von Ereignissen zu propagandistischen Zwecken missbraucht werden, zeigt die interpretatorische Umdeutung, die Nikolai Evreinow von der Erstürmung des Winterpalastes am dritten Jahrestag der Russischen Oktoberrevolution von 1917 vornahm. Die an sich unspektakuläre Aktion wurde durch theatralische Mittel zu einem der größten Massenspektakel aufgebauscht. Auf der wurden der Bourgeoisie und der provisorischen Regierung satirische Züge angedichtet, während die Zuschauer die Rolle der aufständischen Massen und auch deren Bewusstsein übernehmen sollten.
Mediale Bilder erweisen sich in der Dortmunder Schau mal als Fake, mal als Simulation. So auch in der Fotoserie »Positive« von Zbigniew Liberas. Zunächst meinen wir das berühmte, von Nick Ut im Vietnam-Krieg geschossene Pressefoto von dem nackten, schreienden Mädchen zu erkennen, das sein mit Napalm zerbombtes Dorf hinter sich lässt. Erst auf den zweiten Blick löst sich das Grauen in etwas Schönes und positiv Gestimmtes auf. Das Objekt der Kamera ist gar nicht das vietnamesische Opfer, sondern eine Europäerin, die in ihrer Euphorie dem Fotografen in die Arme läuft. Und auch die Amerikaner im Hintergrund sind keine Tod bringenden Soldaten, sondern harmlose, Fallschirm springende Touristen.
Während Liberas eine letztlich komische Distanz zum fixierten Schreckensbild schafft, nähert sich Omer Fasts mit seiner Videoinstallation »Spielbergs Liste« diesem analytisch. Er bannt neben den verfallenen Ruinen des echten KZ Plaszow auch den allmählichen Zerfall der für die Filmaufnahmen zu »Schindlers Liste« verwendeten Nachbauten. Zudem sehen wir Interviews mit Statisten, die von ihren KZ-Erlebnissen berichten. Wobei offen bleibt, ob sie von Erinnerungen an die Dreharbeiten oder ihre genuinen Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges berichten. Wie also wird der Teil von Geschichte in naher Zukunft wirken, wenn keine Augenzeugen mehr befragbar und nur noch Bilder abrufbar sind, die Fiktionales mit Realem vermischen? Faction-History.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Rumänin Irina Botea mit »Auditions for a Revolution« (2006). Minutiös kopiert sie Fernsehbilder – Farbigkeit, Kamera-Einstellungen, Bild- und Tonqualität sollen dem TV-Original möglichst entsprechen. Von jungen Amerikanern lässt sie die Aufnahmen der vom Fernsehen übermittelten Revolution in Rumänien so authentisch wie möglich nachspielen. Dabei werden die Schwierigkeiten beim Artikulieren rumänischer Dialoge durch nichtrumänische Schauspieler zur Metapher für das fast Unlesbare von Geschichte. Im Grunde geht es der Künstlerin nicht nur um das Nacherleben der Historie, sondern auch um die Einschreibung des Subjekts in deren Verlauf.
All den Arbeiten haftet etwas Gemeinsames an. Sie löschen die Distanz, die wir gegenüber geschichtlichen Prozessen einnehmen, sie machen etwas Unerlebtes nacherlebbar. Der passive Betrachter mutiert zum Akteur, der kollektives in individuelles Wissen übersetzt. Das Damalige geht dabei in Gegenwärtiges über, wodurch sich das Abstrakte endlich konkretisiert. »Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen«, fasste es der Amerikaner William Faulkner in seinem Roman »Schall und Wahn« zusammen. //
Bis 23. September 2007; 0231/823106; www.hmkv.de