Das Glück steckt in den kleinen Dingen! In den mikrokleinen, um genau zu sein: Als Jan Philip Scheibe mit den Recherchen zu einem Kunstprojekt im Jahr 2010 begann, las er von ihm zum ersten Mal: dem mycobacterium vacae. In einer Gruppenausstellung bekam das winzig kleine Bodenbakterium einen großen Auftritt: Im Park des Vorwerk Syke installierte er seinen Namen in Leuchtbuchstaben, blinkend wie auf einer Kirmes. An einem Baum, versteht sich. Forscher*innen hatten schließlich herausgefunden, das Waldluft klug und glücklich macht – dank ihm.
Sein erstes Waldprojekt war das keineswegs. »Genau genommen hat er mich schon immer beschäftigt«, sagt Scheibe, der in Lemgo aufwuchs – ein Stück Forst gleich neben dem Elternhaus. Es ist bis heute so etwas wie seine »Referenzlandschaft«, auf die er sich immer wieder in seinen Arbeiten bezieht: Wie verändern sich Mensch und Natur im Laufe der Zeit? Der Fichtenwald stirbt – was aber genau geht dann mit ihm verloren? Erst vor wenigen Wochen hatte Scheibe im Auftrag des Kunsthaus Wäldchen in Windeck die chemische Zusammensetzung von Bornylacetat als Lichtinstallation in die Landschaft gesetzt – die Substanz ist für den charakteristischen Geruch von Tannen- und Fichtennadelöl verantwortlich. 2020 hinterfragte er im Lemgoer Eichenmüllerhaus das Fichtensterben in einer Ausstellung – nun ist er in Meschede zu Gast, wo der Borkenkäfer gerade hektarweise satte Nadelbäume in braunes Todholz verwandelt. Im Rahmen der »Stadtbesetzung« hat er ein Projekt in fünf Kapiteln konzipiert: Geplant sind Performances, eine Ausstellung, Interventionen im Waldesgrün – oder sollte man besser schreiben: das, was von ihm übrig geblieben ist?
»Mit dem Fichtenwald stirbt auch ein Teil der sauerländischen Kulturgeschichte«, sagt Scheibe, der Objekt-Design an der Fachhochschule Aachen studierte, in Hamburg und Lemgo lebt und aus seinen Projekten regelrechte Langzeitstudien macht: Oft schaut er in die Historie seiner Ausstellungsorte. In Meschede auf ein Stück Wirtschafts- und Kulturgeschichte: »Nach dem Krieg hat das Sauerland ganz Deutschland mit seinen enormen Holzvorkommen versorgt«, so Scheibe, der Gespräche mit Waldarbeitern, Sägewerks- und Waldbesitzern, aber auch Holzgroßhändlern geführt hat. Das prosperierende Ruhrgebiet sei ohne das dortige Brenn- und Baumaterial gar nicht denkbar gewesen.
Um zu zeigen, wie stark sich der Mescheder Stadtwald wandelt, will Jan Philip Scheibe unter anderem eine Waldbaustelle mitsamt rot-weißer Absperrbacken einrichten – als eigenen Ausstellungsort. Aus einer abgestorbenen Fichte ein Ausstellungsobjekt für die Alte Synagoge machen und am 28. August zu einer »prozessionsartigen Performance« aufbrechen: Auf seinem Weg durch ein sterbendes Fichtengebiet trägt er ein blaues Neon-Leuchtschild mit dem Wort »WÄLDER« vor sich her – betrieben von einem Generator. Und gespeist mit Benzin des Ölkonzerns Shell, der zurzeit »klimaneutrales Tanken« möglich machen will: Auf jeden Liter verkauften Benzins wird ein Extrabetrag für Aufforstungsprogramme erhoben. »Das ist nichts anderes als moderner Ablasshandel«, sagt Scheibe, der bewusst den Generator knattern und Abgase produzieren lässt – schließlich hätten auch sie den Niedergang des Waldes vorangetrieben.
Zwischendurch wird Pause gemacht – bei Gedichten und Texten aus der Romantik, die unser Waldgefühl bis heute prägen. Danach ist »Holz hacken« angesagt: Scheibe fällt am 3. September einen abgestorbenen Fichtenbaum, trägt ihn auf seinen Schultern in die Stadt und nutzt das Brennholz für einen Ofen – und ein gemeinsames Essen mit traditioneller Sauerländer Schnibbelbohnensuppe. Am 4. September plant er ein Projekt im öffentlichen Raum – mitten in der Stadt: Scheibe hat die Brutgänge des Buchdruckers an einer abgestorbenen Fichte digitalisiert und animiert, die dann als riesige Videoprojektion auf dem Turm der St. Walburga Kirche gezeigt werden. Ein leuchtendes Denkmal. Für den Fichtenwald, der langsam verschwindet – was kommt danach?
Jan Philip Scheibe: »FICHTEN« in Meschede
25. August bis 5. September