Die Biologin und Wissenschaftsjournalistin Caroline Ring hat ein viel beachtetes Buch zu Bäumen in der Stadt geschrieben – nun widmet sie sich Vögeln im urbanen Raum. Ein Gespräch (auch) über Tauben in Bochum und Halsbandsittiche in Köln.
kultur.west: Als studierte Biologin haben Sie sich bisher eher mit Insekten und Spinnentieren beschäftigt. Warum geht es in Ihrem ersten Buch um Bäume?
RING: Bäume sind sehr prominent, wenn es darum geht, Natur zu beschreiben. Nicht umsonst hatte »Das geheime Leben der Bäume« von Peter Wohlleben so einen Erfolg. Bäume sind mächtig, mystisch, auch Ehrfurcht gebietend. Sie sind gute Stellvertreter für die Natur. Das gilt allerdings nicht unbedingt für die Bäume, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadtmenschen stehen. Solche Bäume werden gerne übersehen. Genau wie mit meinem aktuellen Buch über Vögel war es mir ein Anliegen, zu zeigen, dass Natur auch in der Stadt um uns herum da ist, dass wir sie wahrnehmen sollten, mit ihr und in ihr leben, ein Teil von ihr sind. Von Städten denkt man oft, dass sie lebensfeindlich ist, von Menschen geschaffene Strukturen, in denen sich auch nur Menschen wohlfühlen können. Aber wilde Natur existiert oft direkt nebenan. Vögel zum Beispiel haben schon immer mit uns Menschen gelebt und kommen in der Stadt nicht nur gut klar, sie finden hier oft regelrechte Refugien.
kultur.west: Peter Wohlleben hat ein Kapitel explizit über Stadtbäume geschrieben, nennt sie die Straßenkinder, denen außerhalb ihres eigentlichen Lebensraums selten ein gutes, langes Leben bevorsteht. Kann man ihnen helfen?
RING: Es gibt in den Städten viele tolle und auch sehr alte Bäume – die nicht in erster Linie Eichen oder Linden sind, die ja meistens zu den ältesten zählen. In der Stadt kann man eine erstaunliche Vielfalt von Bäumen finden, für die ich den Blick schärfen wollte. Sie leben in der Stadt aber ganz anders als im Wald. Ein Baum ist immer ein Lebewesen, das nicht weg kann, mit dem Boden verwachsen ist. Im Wald müssen Bäume oft sehr stark miteinander konkurrieren, weil sie dort eng stehen. In der Straße sind sie mit Abständen aufgereiht, in Parks stehen exotische Arten oft ganz imposant für sich. Im besten Fall haben sie also viel Licht und Platz zum Wurzeln – und dann gibt es oft auch noch Menschen, die sich um sie kümmern, sie wässern, vielleicht Äste wegschneiden, die den Baum niederreißen könnten. Ein Leben in der Stadt ist für einen Baum nicht zwangsläufig schlecht.
kultur.west: Würden Sie für mehr Bäume in der Stadt plädieren?
RING: Auf jeden Fall. Sie haben mehrere sehr wichtige Funktionen. In den vergangenen Sommern ist es auch in Deutschland sehr heiß geworden und trocken. Je mehr Bäume eine Stadt hat und je älter sie sind, desto mehr Schatten spenden sie und kühlen auch die Luft, weil sie bei der Photosynthese Wasserdampf an die Luft abgeben. Außerdem gibt es mittlerweile diverse Studien, die zeigen, dass Menschen schneller gesund oder auch seltener krank werden, wenn sie einen Blick ins Grüne haben.
kultur.west: Welche Bäume in NRW sind Ihnen von der Recherche besonders in Erinnerung geblieben?
RING: Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gerne an meinen Spaziergang mit einer guten Freundin zum Judasbaum, der auf dem Universitätsgelände in Münster steht. Ich kannte diese Bäume bis dahin noch gar nicht aus eigener Erfahrung. In Münster war ich im Spätherbst, der Baum verlor gerade sein Laub. Es sind superschöne Bäume, eine Freundin, die aus dem Iran stammt, konnte mir viel über diese Art erzählen, die in ihrer Heimat sehr verbreitet ist. Judasbäume bilden ihre Blüten direkt aus dem Stamm heraus, im Frühjahr sehen sie dann aus wie lila Wolken. Ihre Blätter sind ganz rund, wie Taler. Hierzulande werden Judasbäume in Zukunft sicher häufiger werden, weil sie zu den sogenannten Klimawandelbäumen zählen: Solche Arten können auch unter den klimatischen Bedingungen, die bei uns mittlerweile herrschen, gut überleben.
kultur.west: Warum sind Sie für Ihre Bücher so viel durchs Land gereist?
RING: Ich hätte sowohl für das Baum- als auch für das Vogelbuch meine Stadt nicht verlassen müssen. Berlin ist die Vogelhauptstadt von Deutschland, hier findet man zwei Drittel aller vorkommenden Arten. Und auch die floristische Vielfalt ist sehr groß. Aber ich wollte zeigen, dass es in jeder Stadt sehens- und schützenswerte Natur gibt und habe deshalb bundesweit nach besonders spannenden und außergewöhnlichen Geschichten gesucht – aber jenseits von »Maler XY hat im 17. Jahrhundert unter diesem Baum gesessen«. In den einzelnen Kapiteln versuche ich Themen zu behandeln, die ganze Arten – oder auch mehrere Arten – betreffen. Zum Beispiel, wenn es um die Amseln in Bamberg geht: Diese Vögel haben einen großen Wandel in ihrer Lebensweise durchgemacht, als sie aus den Wäldern in die Städte zogen. Das ist mittlerweile bei so einigen Arten passiert, aber bei Amseln kann man es besonders gut sehen und erzählen.
kultur.west: In Bochum sind Sie Tauben ihrem Weg durch die Stadt gefolgt. Ist das nicht ein Klischeebild – das Ruhrgebiet und die Tauben?
RING: Eigentlich wollte ich nach Bochum kommen, um Professor Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität zu besuchen. Er ist Biopsychologe und erforscht die Intelligenz und das Bewusstsein von Tieren, sein wichtigstes Forschungsobjekt sind Tauben. Wegen Corona konnte ich ihn dann leider nicht persönlich treffen und mit ihm durch die Stadt gehen. Ich habe mich dann stattdessen auf den großen Konflikt zwischen Mensch und Taube konzentriert. Tauben werden ja insgesamt sehr ambivalent betrachtet. Einerseits gibt es wenige Vögel, denen so viel Abneigung entgegengebracht wird. Andererseits existiert eine große Liebe zu den Tieren: Wenn sie zum Beispiel bei großen Festen freigelassen werden oder als Symbol herhalten. Tauben spielen in vielen Kulturen eine wichtige Rolle, auch im persischen Raum, der römischen Antike oder dem alten Ägypten.
kultur.west: Und in Deutschland?
RING: Bei uns ist ein wichtiger Punkt die private Taubenzucht, die im Ruhrgebiet ihre längste Tradition hat. Das war für mich der zweite Grund, um für die Tauben nach Bochum zu reisen. Stadttauben stammen von Felsentauben ab, die wiederum auf Klippen, in grauen und steinigen Gegenden leben. In Städten finden Tauben genau das, was ihre Vorfahren als Lebensraum bevorzugen: steinige Strukturen. Die Bochumer Innenstadt bietet ihnen also, was sie brauchen. Stadttauben sind unheimlich faszinierende Tiere, die sich zum Beispiel durch einen hervorragenden Orientierungssinn auszeichnen und den starken Drang, immer wieder zu einem Ort zurückzukehren. Aber, wie gesagt, sie polarisieren auch sehr – unter anderem, weil ihr biologisches Programm dafür sorgt, dass sie immer wieder den gleichen Balkon anfliegen, auch wenn man sie dort nicht haben will. Eine Studie hat mal die Sympathiewerte von Wildtieren in der Stadt erfragt: Unter den Vögeln waren Tauben dabei die einzigen, die überwiegend negativ abschnitten.
kultur.west: Auch das andere NRW-Thema aus dem Vogelbuch polarisiert stark: Die Kolonien von Halsbandsittichen in Köln werden allein aufgrund ihrer Lautstärke gerade von Anwohnern oft gehasst…
RING: Das ist schon interessant, dass wir Menschen besonders stark auf Dinge reagieren, die irgendwie fremd erscheinen. Wenn man die Halsbandsittiche hört, fühlt man sich gleich wie im Zoo. Es war bei uns einfach sehr lange nicht normal, dass man frei lebende Papageien in Massen um sich herum hat. Die Vögel haben die Eigenart, dass sie sich nachts in großen Gruppen am wohlsten fühlen und sich deshalb in ihren Schlafbäumen zusammenfinden. Abends, wenn sie bei den Bäumen ankommen und morgens, wenn sie von dort wieder aufbrechen, sind sie dann wahnsinnig laut. In Köln hat deshalb sogar mal ein Anwohner zu Selbstjustiz gegriffen und eine Bölleranlage gebaut, um die Vögel aus dem nahe gelegenen Baum zu vertreiben. Aber die Vögel suchen sich ihre Bäume eigenständig aus. Wenn man sie von dort aktiv vergrämt, setzt es sie nicht nur unter Stress, sondern hält die Wirkung auch nur vorübergehend. Man muss sich dann schon fragen: Wie viel wilde Natur wollen wir zulassen? Handeln wir nach dem Motto: »Natur ist schön, aber bitte nicht vor meiner Haustür«? Was ich mit meinen Büchern unter anderem erreichen will, ist, dass Menschen ein Gespür dafür bekommen, dass wilde Natur ihren Platz braucht und verdient. Schottergärten zum Beispiel sind absolut lebensfeindlich und für Jungvögel ist es tödlich, wenn im Frühjahr Katzen frei laufen dürfen. Es ist nicht egal, wie wir mit der Natur um uns herum umgehen. Was wir ganz persönlich tun, hat sehr wohl Auswirkungen – negative, aber auch durchaus positive.
Zur Person
Die Berliner Wissenschaftsjournalistin Caroline Ring hat 2020 »Botschafter des Lebens – Was Bäume in Städten erzählen« veröffentlicht, in dem sie etwa von einem Bonner Bergahorn und einer Rosskastanie in Düsseldorf erzählt, die sogar Briefe empfangen kann. Die 37-Jährige studierte Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsbiologie in Hamburg und Berlin. Nach Stationen im Berliner Naturkundemuseum, bei der Financial Times Deutschland und im Wissensressort der Welt arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin.
Am 25. März, 19.30 Uhr, liest Ring aus ihrem Buch »Wanderer zwischen den Welten
– Was Vögel in Städten erzählen« (Berlin Verlag, 288 Seiten, 24 Euro) im Bochumer
Ratssaal.
Zu Gast ist auch der Biopsychologe Prof. Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität,
der zur Intelligenz von Vögeln (insbesondere Tauben) forscht.