Schon länger sind Konzerte, Aufführungen und Ausstellungen auch ohne große Hürden finanzieller Art zu sehen. Theater bieten eine, wenn auch begrenzte Zahl von Tickets zu Preisen im einstelligen Eurobereich, viele Museen kostenlosen Zugang zu ihren Sammlungen, entweder für bestimmte Tage oder Altersgruppen. Empfänger*innen von Transferleistungen erhalten vielerorts stark ermäßigte Karten; Kulturlogen und -listen mit ihren Kontingenten und Restkartenverteilern tun ein Übriges.
Allein: Die Umworbenen gehen trotzdem mehrheitlich nicht hin. Der Anteil der Nichtnutzer*innen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen liegt bei rund 50 Prozent der Gesamtbevölkerung, Tendenz steigend. Die überdurchschnittlich gut besuchten Bibliotheken verdecken dabei sogar noch die deutlich schlechteren Zahlen in anderen Bereichen: Für den Landeskulturbericht Nordrhein-Westfalen von 2017 gaben drei Viertel aller Befragten an, noch nie in der Oper gewesen zu sein; 78 Prozent sagten, sie gingen seltener als einmal im Jahr in ein Kunstmuseum, der größere Teil davon nie.
Woran liegt das? Viele Nichtbesucher-Studien nennen hohe Preise und Terminfragen als häufigste Hürden. Aber es ist wohl vor allem bequem, als Grund für das eigene Fernbleiben auf einem Fragebogen »zu teuer« oder »keine Zeit« anzukreuzen. Werden nämlich auch Interviews zu den Gründen geführt, stellt sich oft heraus: Die Eintrittspreise für Oper, Theater und Museen sind kaum bekannt oder werden maßlos überschätzt. Umso mehr sagen stattdessen sehr ehrlich: »Das ist nichts für mich!« Die sogenannte Hochkultur gilt auch weiterhin als ein Vergnügen reicher und hochgebildeter Schichten – zu denen sich eine Mehrheit der Menschen in Deutschland selbst nicht zählt.
Seit vier Jahren freier Eintritt in die Sammlung des Museum Folkwang
Gratisangebote sind deshalb nicht automatisch wirkungslos. Das Essener Folkwang Museum zum Beispiel bietet seit vier Jahren freien Eintritt in die Sammlung an (ermöglicht durch die Krupp-Stiftung). Der Zuspruch ist enorm: Verdreifachung der Besucherzahlen, bei Schülern sogar eine Versechsfachung. Dass es aber an Rhein und Ruhr insgesamt mehr Museumsgänger gäbe, lässt sich in den jährlichen Museumsstatistiken nicht ablesen. Ob das neue Publikum in Essen den kostenpflichtigen Häusern des übrigen Ruhrgebiets fehlt? Niemand weiß es genau. Regionale Kontextuntersuchungen gebe es nicht, sagte Museumschef Peter Gorschlüter im Herbst 2018 am Rande einer Anhörung zum Thema im nordrhein-westfälischen Landtag. Ihm kann man nicht vorwerfen, dass es im größten Bundesland mit fast 1000 Museen zwischen Aachen und Minden bis heute keine landesweite Besucherforschung gibt. Detailzahlen liegen oft nur für einzelne, überregional bedeutende Häuser vor.
Die absolute Zahl der Eintritte steigt oft, wenn es kostenfrei wird, mitunter drastisch. In den allermeisten Fällen aber geht sie – anders als in Essen – schon bald wieder deutlich zurück und pendelt sich dann knapp oberhalb des Ausgangsniveaus ein. Viele Untersuchungen zeigen: Der verbleibende Zuwachs beruht vor allem auf häufigeren Besuchen jener Museumsfreunde, die schon immer da waren. Sie kommen noch öfter, wenn es umsonst ist, dafür bleiben sie im Durchschnitt kürzer. Das belebt das Museum zwar, doch darum ging es ja eigentlich nicht.
Und selbst wo das Besucherplus aus Bevölkerungsgruppen stammt, die man in der Regel nur schlecht erreicht (Kinder und Jugendliche, Familien, wirtschaftlich schwache Milieus und Migranten aus den großen Zuwanderergruppen etc.), handelt es sich vielfach bloß um Verlagerungen zwischen den kulturellen Zielen in einer Stadt oder Region. Oft entscheidet der Eintrittspreis nicht über den Museumsbesuch an sich, sondern nur darüber, wo es tatsächlich hingeht. Das gilt für Schulausflüge wie für kommerzielle Stadtrundfahrten. Die öffentlichen Kassen treffen diese Effekt übrigens doppelt: Sie müssen die fehlenden Einnahmen aus dem Ticketverkauf ja auch dort ausgleichen, wo bisher zahlende Besucher abgewandert sind – zu Museen mit freiem Eintritt. Die Betriebskosten werden hier wie dort nicht geringer.
Die Kulturforscher*innen nicht nur in Düsseldorf und Köln, sondern auch in Paris und New York wissen allerdings aus vielen Studien und eigener Erfahrung: Menschen, die nicht in Museen gehen, könnten mit speziell auf sie zugeschnittenen Angeboten sehr wohl in die Häuser geholt werden (gilt ähnlich für Theater). Dafür bräuchte man Personal, einen guten Plan und sinnvollerweise jene Summen, die gerade in den freien Eintritt fließen. Doch wen interessiert Sinn, wenn es etwas Anderes – scheinbar – umsonst gibt: Freiheit für alle!