kultur.west: Herr Buether, Sie sind in Ihren Studien damit beschäftigt, die Wirkung von Farbe zu erforschen – welche Bedeutung hat Grün?
BUETHER: Grün ist die Farbe aller Farben. Neben Hell und Dunkel ist es in unserem Wahrnehmungssystem enorm wichtig: Ungefähr die Hälfte aller Töne, die wir überhaupt wahrnehmen können, sind grün. Das schlägt sich auch auf die Farbnamen nieder – k.west: für keine zweite Farbe gibt es so viele Begriffe im Deutschen.
kultur.west: Woran liegt das?
BUETHER: Wahrscheinlich daran, dass sich unser Wahrnehmungssystem in einer grünen Umgebung gebildet hat, in der wir zwischen Millionen von Grüntönen differenzieren mussten. Nicht, weil wir an der Bestimmung von Pflanzen interessiert waren, sondern um uns zu orientieren, um Nahrung und unsere Partner zu finden, um Reviere zu markieren…
kultur.west: Die vielen Begriffe für Grün erinnern an die Eskimos, die sehr viele Bezeichnungen für Weiß kennen…
BUETHER: Ja, das ist damit vergleichbar. Was auch daran liegt, dass wir in Europa in einem extrem grünen Umfeld leben. Das Grün ist aber auch seit jeher mit wichtigen Funktionen der Pflanzenwelt verbunden. Als Regulator des Klimas, bei der Nahrungssuche oder als Sauerstoffspender. Daher hat die Entwicklung des Grüns auch wiederum mit unserem Wohlbefinden zu tun. Sprich: Im arabischen Raum, in dem es etwa in den Wüstenregionen nur wenig Grün gibt, ist die Farbe umso wichtiger. Als heilige Farbe des Islam.
kultur.west: Seit wann spielt Grün in der europäischen Politik eine Rolle?
BUETHER: Das ist eine relativ junge Erfindung, die allerdings mit dem Schwinden unseres Grünanteils zu tun hat. Erst seitdem wir Bilder aus dem All kennen, steht uns quasi vor Augen, wie die grünen Parts der Erde immer kleiner werden. Nicht zuletzt deshalb haben Umweltbewegungen auch das Grün als Symbolfarbe gewählt. Als liturgische Farbe oder in der Farbsymbolik ist es erst seit kurzem relevant. Rot oder Gold oder Schwarz sind da viel stärker aufgeladen.
kultur.west: Wenn ein Farbinstitut wie Pantone plötzlich ein frühlingshaftes Grün zum Ton des Jahres ausruft, was bedeutet das?
BUETHER: Es geht darum, Trends zu setzen, die in die Produktwelt übernommen werden. Interessant ist aber, dass Pantone sich nicht einfach auf irgend welche Farben festlegt, sondern sich Themenfelder über die Töne erschließt. Der Konzern betreibt Trendscouting, schaut, was die Menschen zurzeit interessiert und welche Farbe für diese Interessensgebiete stehen.
kultur.west: Und was verbinden die Menschen im Moment mit Grün?
BUETHER: Wir haben dazu mehr als 500 Probanden befragt. Für sie symbolisiert Grün zunächst die Natur. Es steht für Pflanzen, Klima, Wachstum und Umweltschutz. Dann ist es aber auch wichtig für Themen wie Gesundheit und Ernährung, für Sicherheit. Denken sie nur an die grüne Ampel, aber auch für das Paradies. Zudem fielen den Befragten Begriffe wie Heimat, Garten, Erholung und Romantik zum Thema Grün ein.
kultur.west: Auffällig ist, dass sich Billig-Supermarktketten inzwischen verstärkt in Grüntönen präsentieren. Warum?
BUETHER: Farben stehen für Bedeutungen, für Inhalte, für Dinge, die uns bewegen, die Handlungen forcieren sollen. Sie sind ein Kommunikationsmedium ähnlich wie die Sprache. Die Frage ist also: Was wollen die Supermarktketten ihren Kunden durch die neuen Grüntöne sagen?

kultur.west: Und?
BUETHER: Das Grün zieht immer stärker in die Konsum- und Warenwelt ein. Viele Produkte werden damit gekennzeichnet, um den Absatz zu steigern. Denn wir erschließen uns das Thema Natur zurzeit immer mehr in Bezug auf unsere Lebensqualität und Gesundheit. Und werten das Grün als Symbolfarbe immens auf. Denken Sie an McDonald’s. Um glaubhaft zu machen, dass der Konzern sich nun auch für Umweltbelange einsetzen will, arbeitet man seit längerem an einem neuen Erscheinungsbild. Wichtig ist zu zeigen, dass das McDonald’s-Essen nicht mehr schädlich ist oder womöglich dick macht, sondern auch der Gesundheit dient. Daher wurde auch das Logo von Rot auf Grün geändert. Es geht auch darum, die Zukunftsfähigkeit des Konzerns zu demonstrieren.
kultur.west: In einem offiziellen Statement erklärt Pantone, dass dieser »Greenery«-Ton ein »Symbol nach neuer Hoffnung in einem komplexen sozialen und politischen Umfeld« sei. Was bedeutet solch ein Satz: Ist das reiner Marketing-Sprech oder steckt darin auch ein Funken Wahrheit?
BUETHER: Grundsätzlich sind Farben dazu da, uns Orientierung zu bieten. Wenn Farben umcodiert werden, sind wir schnell irritiert. Nicht umsonst gibt es Farbleitsysteme, die unseren Alltag erleichtern sollen. Insofern bieten Farben durchaus Halt und Sicherheit.
kultur.west: Welcher Farbton wird die Menschen also 2018 beschäftigen?
BUETHER: Die Frage müsste eher lauten: Welche Themen werden für sie relevant sein? Gesundheit ist das Thema der Zukunft – und in unserer alternden Gesellschaft Vitalität. Ich tippe auf Gelb.