TEXT: INGO JUKNAT
Gibt es irgendeine Musikrichtung, für die sich David Harrington, John Sherba, Hank Dutt und Jeffrey Zeigler nicht interessieren? Kaum vorstellbar. Die Liste ihrer Kooperationspartner liest sich beinahe komisch. Als Kronos Quartet haben sie mit arktischen Kehlkopfsängern, chinesischen Pipa-Spielern, aserbaidschanischen Folklore-Stars und Bollywood-Musikern gearbeitet. Sie haben im NASA-Auftrag eine Ode an die Erde aufgeführt und mit Philip Glass Soundtracks zu alten Vampirfilmen eingespielt. Für Volker Bertelmann ist das Kronos Quartet ein Glücksfall. Nicht nur, weil es berühmt ist, sondern weil es die Philosophie seines Approximation Festivals zusammenfasst. Es geht um das Überschreiten musikalischer Grenzen. Davon versteht kaum jemand mehr als Harrington & Co.
Das Kronos Quartet ist der Blockbuster beim diesjährigen Approximation Festival. Was nicht heißt, dass sonst keine Stars spielen. Da wären auch noch Alexander Balanescu, Anne Pigalleund andere. Tatsache ist: Die Veranstaltung hat einen erstaunlichen Höhenflug hingelegt. 2005 lud Bertelmann, selbst ein renommierter Künstler am präparierten Piano, erstmals zum Approximation Festival. Am Anfang ging es vor allem um Experimente am Klavier. Die Konzerte fanden im Düsseldorfer »Salon des Amateurs statt« – eigentlich ein Club mit DJ-Musik. Neben Bertelmann selbst (unter seinem Pseudonym Hauschka) traten ein halbes Dutzend Avantgarde-Musiker auf. Das Programm war schon im ersten Jahr international. Später kamen die ersten Weltstars hinzu: Ryuichi Sakamoto, Michael Nyman, Gonzales und andere. Wie erklärt Bertelmann sich solche Zusagen für ein junges Festival? »Ich glaube, da sind viele Dinge zusammengekommen. Wir haben einen Verein gegründet, der die finanzielle Grundlage geschaffen hat. Aber es war auch wichtig, die Verbindung zu den Musikern herzustellen. Andererseits geht es mir nicht um Namen, sondern vor allem darum, Aufmerksamkeit für diese Art von Musik zu schaffen.« Mit der rapiden »Expansion« seines Festivals habe er nicht gerechnet, sagt Bertelmann: »Wir haben uns eigentlich jedes Jahr gefragt, ob wir überhaupt weitermachen wollen. Ich glaube, es ist ein großer Vorteil, wenn man etwas jederzeit loslassen kann und sich nicht darüber definiert. Insofern kam der Erfolg überraschend.«
Es liegt in der Natur der Sache, dass es beim Approximation Festival keinen eindeutigen Schwerpunkt gibt. Und doch – wer genau hinsieht, entdeckt ein paar rote Fäden. Da wäre, zum einen, die Vorliebe für cineastische Musik. Sakamoto und Nyman z.B. haben den Soundtrack für mehrere Hollywood-Filme geschrieben (Sakamoto hat für »Der letzte Kaiser« sogar einen Oscar gewonnen), hinzu kommen Künstler, deren Soundtracks eigentlich nur der Film fehlt: Dustin O’Halloran, Sylvain Chauveau und zuletzt A Winged Victory for the Sullen. In diesem Jahr bekommt das Filmthema einen neuen Dreh. Am 18. Sep-tember vertonen Hauschka und der Düsseldorfer Elektromusiker Stefan Schneider den Vampirklassiker »Dracula« live. Dafür verlässt das Approximation Festival seine Hauptschau-plätze, die Tonhalle und den Salon des Amateurs, und wechselt in die Filmwerkstatt. Ein paar Tage später tritt der nächste Künstler mit Filmerfahrung auf – Alexander Balanescu, auf dessen Konto u.a. die Musik von Peter Greenaways »Der Kontrakt des Zeichners« (1982) sowie »Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber« gehen. Der in Island lebende Engländer Ben Frost wiederum hat jüngst in Berlin live Musik zu Andrej Tarkowskys Science-Fiction-Klassiker »Solaris« eingespielt.
Künstler, die die Erweiterung des Festivals um andere Instrumente spiegeln, sind in diesem Jahr u.a. Zoë Keating und Anne Pigalle. Erstere verfremdet die Klänge ihres Cellos mit elektronischen Mitteln und selbst entwickelter Software (Keating ist im wirklichen Leben IT-Spezialistin). Die Französin Anne Pigalle wiederum ist ein Multitalent: Malerin, Fotografin, Dichterin und Chanteuse mit Hang zu ausgefallenen Mode-Statements. Letztere brachten ihr u.a. den Kompositionsauftrag für einen Jean-Paul-Gaultier-Werbespot ein. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Bertelmann und Co. ihre eklektische Truppe eigentlich aus? Die Antwort fällt simpel aus: »Es sind alles Musiker, die mit ihrem Instrument experimentieren.« Auf Zoë Keating freue er sich besonders, weil sie im letzten Jahr abgesagt hat, sagt Bertelmann. »Aber auch auf Ben Frost und John Kameel Farah, den ich für einen außergewöhnlichen Pianisten halte.« Der Kanadier verbindet in seiner Musik ein halbes Dutzend Instrumente und Musiktraditionen – Barock, Ambient, Minimal, Elektronik und arabische Sounds.
Was der Headliner des Festivals, das umtriebige Kronos Quartet, spielt, bleibt eine Überraschung. Die Amerikaner hatten bei Redaktionsschluss noch kein Programm abgegeben. Und das kann in diesem Fall wirklich alles bedeuten.
Approximation Festival, 19. bis 23. September 2012, Düsseldorf, Salon des Amateurs, Tonhalle und Filmwerkstatt. www.approximation-festival.de