Im September feiert das NRW Kultursekretariat seinen 40. Geburtstag. Die interkommunale Initiative mit dem Ziel, zu »fördern, was es schwer hat«, wie der langjährige Slogan hieß, erfreut sich vor allem bei Kunstschaffenden ungebrochener Beliebtheit, weil sie kontinuierlich und unerschrocken viele avancierte künstlerische Projekte in allen Sparten (außer Film) ermöglichte, die sonst kaum eine Chance gehabt hätten. Zum Jubiläum führt K.WEST ein Gespräch mit Christian Esch, nach Karl Richter und Dietmar N. Schmidt seit 2004 Direktor des Kultursekretariats.
K.WEST: Als das Kultursekretariat gerade erwachsen war, 1998, wäre es beinah abgeschafft worden. Die damalige SPD-Landesregierung wollte ihm den Geldhahn zudrehen. Existenziell scheint das Sekretariat seitdem nicht mehr gefährdet zu sein. Wird es in zehn Jahren seinen 50. feiern?
ESCH: Daran zu zweifeln habe ich keinen Anlass.
K.WEST: Das heißt, man hat sich mit der Existenz des Kultursekretariats abgefunden?
ESCH: Ich hätte es anders ausgedrückt, denn tatsächlich hört man immer wieder: Gäbe es das Kultursekretariat nicht, man müsste es erfinden. Einfach weil aufgrund der Vielzahl der Städte in NRW eine Organisation nötig ist, die auf kommunaler Ebene übergreifend arbeitet. Eine oder eben zwei: Wir haben ja zwei Kultursekretariate.
K.WEST: In den vergangenen vier Jahrzehnten ist das Kultursekretariat immer wieder auch für Auseinandersetzungen vorrangig mit dem Land gut gewesen. Liegt die Stacheligkeit des Sekretariats daran, dass es eine Organisation der Kommunen ist, die sich in diesem kommunenreichen Land in einer natürlichen Spannung zur Landesebene befinden? Oder an anderem?
ESCH: Zunächst einmal gab es zuletzt eine lange Zeit – meine Amtszeit –, in der zwischen Land und Kultursekretariat eine gute Zusammenarbeit existierte. Was auch derzeit überwiegend der Fall ist. Natürlich gibt es bei konkreten Fragen auch gelegentlich Dissens, etwa beim »Impulse«-Festival. Aber das ist ein Zwist, wie er in der Kulturarbeit nun mal vorkommt. Natürlich – alles kann immer auch noch besser sein …
K.WEST: Etwa ein klares, auch finanzielles, Bekenntnis des Landes zu den »Impulsen«. Dessen Fehlen macht auch den Bund geizig … Aber das Sekretariat – sein jeweiliger Direktor – hat gern auch immer dezidiert kritische kulturpolitische Standpunkte vertreten, etwa zu Entwicklungen, die die ökonomische Seite der Kunst in den Vordergrund rücken wollten. Legendär ist der Satz Ihres Vorgängers Dietmar N. Schmidt: »Kultur in NRW ist scheiße«. Das war in der Ära Clement, der zum 50. Landesjubiläum ein Musical aufführen ließ und auch sonst den Eindruck erweckte, die Kultur sei ein Wirtschaftszweig wie andere.
ESCH: Ja, damals war in der Denkweise einiger Politiker die Ökonomisierung der Kultur noch stärker ausgeprägt als heute, wo man eher die Frage stellen müsste: Sollten Kunst und Kultur wirklich so überwiegend anwendungsbezogen begriffen werden, wie das häufig geschieht? Anders gesagt: Wie frei, experimentier- und risikofreudig darf Kunst sein? Muss sie immer allen gleichermaßen dienlich sein? Oder muss man nicht auch freimütiger akzeptieren, dass sie von Minderheiten gemacht wird und manchmal auch für Minderheiten geeignet ist?
K.WEST: Die Wahrnehmung ist also richtig, dass sich das Kultursekretariat nach wie vor als Mahner versteht, als Ideengeber, als Anwalt der geistigen Seite der Kunst?
ESCH: Mahner klingt mir zu sehr nach Zeigefinger. Diese Rolle würde ich mir nicht anmaßen. Aber auch ich verstehe das Kultursekretariat als eine Einrichtung, die Initiativen ergreift, die vielleicht sonst nicht ergriffen würden. Die fokussiert, was andernorts vielleicht untergehen würde – aus personellen oder politischen Gründen. Wir wollen nicht zu sehr eingenormt werden durch die Ansprüche einer übergreifenden kulturpolitischen Gesamtausrichtung, wenn es die denn gäbe.
K.WEST: Trotzdem gibt es seit einiger Zeit Zielvereinbarungen mit dem Land.
ESCH: Ja, das sind Vereinbarungen zwischen dem Land und uns mit dem Ziel, für die Mittel, die das Land uns zur Verfügung stellt, überprüfbare Arbeit zu leisten. Zielvereinbarungen geben einen Rahmen, nicht mehr. Und viel mehr dürfen sie auch nicht sein. Das Programm des Kultursekretariats ist Sache der Vollversammlung der Städte, und das ist letztlich bindend. Doch so ein Programm ohne Berücksichtigung der landeskulturpolitischen Rahmenbedingungen zu verabschieden, wäre absurd. Aber man kann nicht behaupten, wir dienten vor allem den Interessen des Landes. Wir berücksichtigen sie jedoch.
K.WEST: Nicht vergessen soll sein, dass das Kultursekretariat auch stets für Kritik an der anderen Seite gut ist, den Städten, etwa wegen der Vernachlässigung ihrer Kultur. Mein Bild zeigt das Kultursekretariat, wie es zwischen den Stühlen sitzt: Welche Kante drückt denn am stärksten?
ESCH: Es drückt an so einigen Stellen, aber das Sein zwischen den Stühlen bedeutet ja auch Bewegungsfreiheit. Auf den Stühlen ist man eher festgenagelt, das kann auch wehtun. Durch die finanzielle Notsituation der Kommunen ist es an der Kante dieses Stuhls härter geworden, manchmal auch durch den schwindenden Mut zu Kultur und Kunst. Inzwischen dominieren in den Städten oft die Verwaltungen und überwuchern Kreativität und Produktivität. Denken Sie an Sicherheitsvorschriften bei Veranstaltungen im öffentlichen Sektor seit der Love Parade und denken Sie an den aktuellen Umgang mit »Totlast« von Gregor Schneider.
K.WEST: Was waren denn die Haupt-Verdienste des Kultursekretariats in den letzten vier Jahrzehnten?
ESCH: Ich glaube fünferlei. Erstens die Stärkung polyzentrischer Strukturen auch in der Kultur und Kulturförderung; dann die starke Konzentration auf künstlerische Freiheit und künstlerische Experimente; die Initiativen, die kulturpolitisch von hier ausgegangen sind, ich nenne nur den Komplex »Kultur und Alter« oder auch an »Next Level« zu den Games; ganz wichtig ist die Fähigkeit des Kultursekretariats, sehr nah an den Städten, ihren Einrichtungen und Verantwortlichen zu sein und mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Und fünftens resultiert daraus, was ich Bottom up-Verfahren nennen will: Wir verfügen nicht ex cathedra Programme, sondern entwickeln sie gemeinsam mit den Städten und künstlerischen Partnern. Dabei ist Verdichtung, Verstetigung immer unser Anliegen. Denken Sie an den »Transfer« mit internationalen Kulturszenen: Was wir da machen, führt über zwei oder drei Jahre, hat den Verbund von Szenen und Institutionen im Blick. Denn wir haben es inzwischen mit einer derartigen Projektarbeitsorientierung auf allen Ebenen zu tun – es werden nur noch Projekte gefördert, immer weniger Institutionelles –, dass eine enorme Kurzatmigkeit entstanden ist. Dem wollen wir möglichst entgegensteuern.
K.WEST: In den letzten 40 Jahren ist gesamtgesellschaftlich sehr viel passiert. Was hat sich gewandelt in der Ausrichtung des Kultursekretariats?
ESCH: Das Sekretariat hat am Anfang sehr viel mehr damit rechnen können, komplementäre Mittel und Strukturen in den Städten vorzufinden, damals hat es eher verbunden und hinzugefügt. Das tut es auch heute noch, aber weniger. Heute initiieren wir häufiger und managen auch häufiger, einfach weil Kraft und Geld dazu in den Städten weniger als früher vorhanden sind.
K.WEST: Und was hat sich programmatisch verändert?
ESCH: Nun, es gibt sehr viel mehr Digitalität, sowohl in der Gesellschaft als in der Arbeit des Kultursekretariats. Darüber hinaus sind die internationalen Perspektiven sehr viel selbstverständlicher geworden, es gibt heute keinen wichtigen Kultursektor mehr, der nicht irgendwie auch international, mindestens aber interkulturell wäre. Wir haben Programme, die diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Unser Bild im Kopf zeigt uns immer noch eine bürgerliche Gesellschaft auf den Fundamenten des 19. Jahrhunderts. Doch de facto ist das längst nicht mehr der Fall, das ist überwiegend Oberfläche. Tatsachlich ist die Gesellschaft fragmentiert und partikularisiert. Es ist nicht mehr möglich, wenn es denn überhaupt noch wünschenswert wäre, von oben herab zu verfügen, das Repräsentative geht zurück und das unmittelbar Individualistische nimmt zu.
K.WEST: Das Verlangen nach Partizipation andererseits aber auch.
ESCH: Richtig. Die gemeinsame Gestaltung von Prozessen, die Teilnahme Vieler, die sich in Schwärmen zusammenfügen. Wir haben es mit einer volatilen Gesellschaft und auch Kultur zu tun, der man natürlich mit ganz andern Arbeitsweisen und Programmen begegnen muss. Und da hat das Kultursekretariat über die Jahrzehnte hin immer wieder Dinge getan, die sich später als sehr wichtig erwiesen haben. »Kultur und Alter« habe ich genannt, damit waren wir schon sehr früh dabei, 2004, noch bevor das Thema öffentlich virulent wurde. Das wird jetzt landesseitig bzw. in der Akademie Remscheid fortgesetzt. Oder »Baglama für alle«, ein interkulturelles Musikschulprogramm. Oft hat das Kultursekretariat Entwicklungen angeschoben, die es oft schon deshalb nicht weiter verfolgen konnte, weil wir die Mittel und Strukturen dazu nicht haben, Entwicklungen, die aufgegriffen und andernorts fortgesetzt wurden: Mülheimer Stücke, Duisburger Akzente, eben »Baglama« usw.
K.WEST: Was ist das Kultursekretariat eher: Scout oder letzter Mohikaner?
ESCH: Scout nach wie vor. Die letzten Mohikaner sind vielleicht die, die glauben, zur Befriedung aktueller kulturpolitischer Gemengelagen Stillstand dem Vorwärtsdenken vorziehen zu müssen.
Das NRW Kultursekretariat ist eine öffentlich-rechtliche Institution mit Sitz in Wuppertal, es wird von den 21 großen (theatertragenden) Städten NRWs sowie dem LV Rheinland gebildet, das Land hat in den Gremien Sitz und Stimme. Der Beitrag der Kommunen beläuft sich jährlich auf ca. 350.000 Euro, das Land finanziert die Projekte mit ca. 1,5 Mio Euro jährlich. Das KS arbeitet mit sechs festen sowie jeweils wechselnden externen Fachkräften. Die Jubiläumsfeier findet am 5. September 2014 in der Historischen Stadthalle Wuppertal statt. www.nrw-kultur.de